Dr. Kurios: Mit einem Bein im Gefängnis – wegen Medikament
Der Mann in den frühen 60-ern war beunruhigt. Seit zehn Monaten hatte er keinen Alkohol mehr getrunken. Trotzdem war in den letzten vier Urinproben, die er beim Bewährungsamt in Philadelphia abgeben musste, Alkohol nachgewiesen worden. Dem anscheinend rückfällig Gewordenen drohte nun eine Gefängnisstrafe.
Hilfesuchend wandte sich der Mann an seine Hausärzte und gab dort eine Urinprobe ab: Kein Alkoholnachweis. Zucker hingegen fanden die Ärzte in seinem Urin. Das war aber auch zu erwarten.
Denn dieser Patient hatte Diabetes Typ 2. Dagegen bekam er ein Medikament, das die Zuckerausscheidung über die Nieren fördert. So sinkt der Blutzuckerspiegel, während der Urin zuckerhaltig wird. Dieser Befund liess also vermuten, dass der Mann das Medikament wirklich einnahm.
Kolumne «Dr. Kurios»
Choleraausbruch mitten in Paris, Explosion des Patienten bei der Darmspiegelung, Halluzinationen durch Hirsebällchen – in der Medizin passieren immer wieder unglaubliche Dinge. Glücklicherweise aber nur sehr selten. Seit über 20 Jahren sammelt die Autorin – sie ist Ärztin und Journalistin – solche höchst ungewöhnlichen Krankengeschichten. Ihre Kolumnen sind bisher in zwei Büchern erschienen: «Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen» und «Der Junge, der immer in Ohnmacht fiel».
Sein Arzt telefonierte dem Bewährungsamt, um zu erfahren, wie dort die Analysen vorgenommen wurden. Die Behörde sammelte alle Urinproben und schickte sie einmal täglich an ein Labor. Bis es so weit war, wurde der Urin bei Zimmertemperatur gelagert – ein Fehler, der den Mann fast ins Gefängnis gebracht hätte.
Denn die im Urin vorhandenen Bakterien vergoren den Zucker darin und produzierten so im Lauf des Tages Alkohol – den das Labor später korrekt nachwies. Zur Warnung und damit anderen Patientinnen und Patienten nicht Unrecht getan würde, veröffentlichte das «New England Journal of Medicine» diesen Hergang.
Sogar ein Süssstoff kann eine Drogeneinnahme vortäuschen
Ein ähnlicher Fall wurde der «Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft» berichtet. Dort fand der Amtsarzt bei einem routinemässigen Drogenschnelltest bei einer 39-jährigen Frau aufputschend wirkende Amphetamine im Urin. Der wahre Grund für das «positive» Testergebnis war aber der Wirkstoff Methyldopa, den die Frau gegen ihnen Bluthochdruck einnahm. Das stellte sich heraus, als die Frau das Medikament wegliess und den Drogentest wiederholte.
Solche sogenannten «Kreuzreaktionen» bei Urinschnelltests können bei vielen Arzneimitten vorkommen. In ihrer Zeitschrift «Arzneiverordnung in der Praxis» nennt die Arzneimittelkommission Dutzende von Beispielen. So kann beispielsweise das gängige Schmerzmittel Ibuprofen dazu führen, dass beim Drogentest im Urin fälschlicherweise Marihuana nachgewiesen wird. Der Süssstoff Cyclamat kann eine Amphetamin-Einnahme vortäuschen, das Hustenmittel Ambroxol einen Gebrauch von LSD.
Für die Betroffenen kann das unangenehme Konsequenzen haben. Lokführer, Pilotinnen, LKW-Fahrer, Sportlerinnen oder manche an einem Verkehrsunfall Beteiligte müssen sich zum Beispiel solchen Tests unterziehen. Die Liste der Wirkstoffe, die falsche Testergebnisse vortäuschen könnten, ist lang und umfasst auch Acetylsalicylsäure (zum Beispiel in «Aspirin» enthalten), Sildenafil (zum Beispiel in «Viagra»), Metformin (gegen Diabetes Typ 2), sowie bestimmte Antibiotika. Die Fachleute raten, ein «positives» Resultat bei einem Drogenschnelltest mit einem zweiten Test mit anderer Nachweismethode zu überprüfen, «insbesondere bei sensiblen bzw. rechtsmedizinischen Fragestellungen».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.