Dr. KURIOS

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Dr. Kurios: Durchfall vom Blutdrucksenker

Martina Frei /  Ein Mann kommt im Schockzustand ins Spital. Starke Durchfälle haben ihn ausgelaugt. Der Grund ist eine seltene Nebenwirkung.

Er war 80 Jahre alt, litt seit zwölf Stunden an wässrigem Durchfall und hatte einen oberen Blutdruckwert von nur noch 72. Sein Herz schlug fast 130-mal pro Minute, er atmete viel zu schnell und seine Nieren produzierten kaum noch Urin. Schock wegen zu grossem Wasserverlust und akutes Nierenversagen, diagnostizierten die Ärzte am Río Hortega Universitätsspital im spanischen Valladolid.

Wegen ähnlicher Durchfall-Episoden war er im letzten Monat schon zweimal mit Infusionen behandelt worden. Auch diesmal halfen ihm Infusionen, die seinen Flüssigkeitshaushalt wieder ins Lot brachten. Danach begann die Suche nach dem Grund für die wiederholten Durchfälle.

Der alte Mann hatte weder eine Darminfektion noch eine Autoimmunerkrankung. Die Ultraschalluntersuchung des Bauchs förderte ebensowenig zutage wie die Magen- und die Dickdarmspiegelung. Bei der mikroskopischen Untersuchung einer Gewebeprobe aus dem Zwölffingerdarm aber wurden die Ärzte stutzig: Die Darmschleimhaut war dort durchsetzt mit Unmengen von Immunabwehrzellen. Sie zeigte die gleichen Veränderungen, wie sie bei einer Gluten-Unverträglichkeit (Zöliakie) vorkommen – doch im Blut des Patienten waren keine Zöliakie-typischen Antikörper zu finden. Das passte nicht zur Zöliakie – aber zum Blutdrucksenker Olmesartan, den der Mann seit längerem gegen seinen Bluthochdruck einnahm.

Kolumne Dr. Kurios

Choleraausbruch mitten in Paris, Explosion des Patienten bei der Darmspiegelung, Halluzinationen durch Hirsebällchen – in der Medizin passieren immer wieder unglaubliche Dinge. Glücklicherweise aber nur sehr selten. Seit über 20 Jahren sammelt die Autorin – sie ist Ärztin und Journalistin – solche höchst ungewöhnlichen Krankengeschichten. Aus ihren früheren Kolumnen sind bisher zwei Bücher hervorgegangen: «Das Mädchen mit den zwei Blutgruppen» und «Der Junge, der immer in Ohnmacht fiel«.

Die unerwünschte Wirkung kann nach Monaten oder Jahren einsetzen

In seltenen Fällen kann Olmesartan zu einer schweren Darmerkrankung führen. Wie sie genau zustande kommt, ist ein Rätsel. Vermutlich spielen Immunreaktionen dabei eine Rolle. Die Betroffenen leiden an starken Durchfällen und nehmen ungewollt ab, weil ihr Darm nicht mehr genug Nährstoffe aufnehmen kann. Diese Nebenwirkung kann nach einigen Monaten der Einnahme einsetzen oder auch erst nach Jahren.

Auf der Skala für die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen (Adverse Drug Reaction Probability Scale, siehe unten) hatte der Patient neun Punkte. Damit war es sehr wahrscheinlich, dass Olmesartan der Grund für seine Erkrankung war, berichten seine behandelnden Ärzte in der Fachzeitschrift «The Lancet».

Nachdem der Kranke diesen Blutdrucksenker auf Rat seiner Ärzte weggelassen hatte, besserten die Durchfälle. Sechs Monate später berichtete er, dass er keine weiteren Durchfälle mehr gehabt habe. Eine erneute Gewebeprobe aus der Dünndarmschleimhaut bestätigte: Die Veränderungen waren fast verheilt.

Die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung abschätzen

Mit Hilfe dieser Skala lässt sich ermitteln, ob Beschwerden höchstwahrscheinlich durch ein Medikament verursacht werden. Dies ist der Fall, wenn alle Punkte zusammengezählt beziehungsweise subtrahiert werden und am Ende 9 oder mehr Punkte resultieren.

Bei 5 bis 8 Punkten ist ein Zusammenhang wahrscheinlich, bei 1 bis 4 Punkten möglich. Bei ≤ 0 Punkten ist es zweifelhaft, ob das Medikament der Grund ist.

Die 10 FragenJaNeinWeiss nicht
Gibt es bereits frühere überzeugende Berichte über eine solche Reaktion (wie bei dem Betroffenen)?100
Traten die unerwünschten Beschwerden nach Verabreichen des verdächtigten Arzneimittels auf?2-10
Haben sich die unerwünschten Beschwerden gebessert, als das Medikament abgesetzt oder ein spezifisches Gegenmittel verabreicht wurde?100
Traten die unerwünschten Beschwerden erneut auf, als das Arzneimittel wieder verabreicht wurde?2-10
Gibt es andere Ursachen, welche die Reaktion verursacht haben könnten?-120
Trat die Reaktion erneut auf, als ein Plazebo verabreicht wurde?-110
Wurde das Arzneimittel im Blut oder in anderen Flüssigkeiten in Konzentrationen nachgewiesen, die als toxisch bekannt sind?100
War die Reaktion schwerer, wenn die Dosis erhöht wurde, oder weniger schwer, wenn die Dosis reduziert wurde?100
Hatte der Patient früher einmal eine ähnliche Reaktion auf das gleiche oder ähnliche Arzneimittel?100
Wurde die Nebenwirkung durch einen objektiven Nachweis bestätigt?100
Quelle: «Naranjo Adverse Drug Reaction Probability Scale Worksheet», LiverTox: Clinical and Research Information on Drug-Induced Liver Injury

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Höchst seltene und manchmal auch skurrile medizinischen Fallgeschichten.

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