Der anrüchige Spatenstich mit Bundeskanzler Scholz
Über die Pharmaindustrie ist vieles gesagt. Erfundene Krankheiten, gekaufte Anwendungsbeobachtungen, Lobbyarbeit, Preisabsprachen, irreführende Werbung, Unterdrückung von Studiendaten, gekaufte Wissenschaftler. Alles bekannt. Man muss das eigentlich nicht immer wiederholen. Dennoch gerät man immer wieder ins Erstaunen über die Unverfrorenheit, mit der Politik und Pharmaindustrie ihr harmonisches Zusammenwirken verharmlosen und verheimlichen. Jüngst ist das in Deutschland geschehen mit dem Medizinforschungsgesetz (MFG).
Mit diesem Gesetz soll den zunehmenden Engpässen bei der Arzneimittelversorgung entgegengewirkt werden. Das Bundesgesundheitsministerium schreibt dazu: «Mit dem Medizinforschungsgesetz werden Genehmigungsverfahren für klinische Prüfungen sowie Zulassungsverfahren von Arzneimitteln beschleunigt und entbürokratisiert, bei gleichzeitiger Wahrung der hohen Standards für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten.» Das hört sich doch sehr vernünftig an!
Um verstehen zu können, was jetzt geschehen ist, muss man wissen, was ein Erstattungspreis ist. Seit dem Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) von 2011 werden zwischen Pharmaherstellern und Gesetzlichen Krankenkassen für nahezu alle neu auf den Markt kommenden Medikamente Preisverhandlungen geführt und Erstattungsbeträge vereinbart. Seit einiger Zeit sind die sogenannten Abnehmspritzen in der Diskussion, die gleichzeitig zur Mitbehandlung bei Diabetes mellitus geeignet sind.
Die Behandlung bei Diabetes bezahlt die Krankenkasse, den Lifestyle-Einsatz zur Gewichtsabnahme bezahlt sie nicht. Wenn es den Krankenkassen gelingt, den Erstattungspreis für die Indikation Diabetes so weit wie möglich zu drücken, können Pharmafirmen nicht rechtfertigen, für den gleichen Wirkstoff als Abnehmspritze einen vielfach höheren Preis zu verlangen. Ein weiteres Problem: Deutschland gilt als Referenzpreisland. Bekannte hohe Rabatte würden den Preis einer Arznei auch im Ausland drücken. Doch da hilft nun das MFG, das die Option für Geheimpreise bereithält.
Im April 2024 trafen sich Kanzler, Ministerpräsidentin, Minister und Konzernlenker in Alzey und nahmen je einen Spaten in die Hand: Das US-Unternehmen Eli Lilly investiert dort 2,3 Milliarden Euro in die Errichtung einer Pharma-Produktionsanlage. Grosse Freude allüberall.
Der Bundeskanzler pries die seit Jahrzehnten grösste Einzelinvestition in den Pharmastandort Deutschland. Der Gesundheitsminister prophezeite, dass die meisten Studien der pharmazeutischen Industrie demnächst aus Deutschland kämen. Die Ministerpräsidentin sprach von einem Meilenstein für die Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Rheinland-Pfalz. Der Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer sprach von einem eindrucksvollen Etappenziel auf dem Weg zur internationalen Pharma- und Biotech-Region Rheinhessen. Man könne mit 1000 neuen Arbeitsplätzen rechnen.
Und Dave Ricks, Chef von Eli Lilly, betonte das fortwährende Engagement von Eli Lilly für Patientinnen und Patienten, um zuverlässig sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittel bereitzustellen, und krönte seine Rede voller Pathos mit «Ich bin ein Alzeyer.» Eli Lilly lud sogleich die ganze Stadt Alzey zum grossen Sommerfest am 25. August ein.
Worüber sich Herr Ricks eigentlich gefreut haben dürfte, hat er in seiner Rede nicht verraten.
In Alzey wird Eli Lilly Medikamente mit dem GIP/GLP-1-Rezeptoragonisten Tirzepatid herstellen, das gleichzeitig als Abnehmspritze (Zepbound) hohe Gewinne verspricht. Für Tirzepatid als Diabetes-Medikament (Mounjaro) werden die Krankenkassen einen Rabatt auf den Erstattungspreis verlangen.
Zunächst gab es nur ein Gerücht, dass die Zusage für die Milliardeninvestition in Alzey mit dem Wunsch nach Geheimpreisen verbunden gewesen sei. Dieses Gerücht wurde von Eli Lilly dementiert. Doch nun kann man in ministeriellen Unterlagen nachlesen, «dass Befürworter einer solchen Regelung insbesondere die Firma Lilly (ist), die ihre Investitionsentscheidung an einen in Aussicht gestellten vertraulichen Erstattungsbetrag geknüpft hatte». Auch nach der Veröffentlichung dementiert Eli Lilly einen Zusammenhang. Und laut Bundesgesundheitsministerium sind Karl Lauterbach keine Vermerke bekannt».
Das Medizinforschungsgesetz heisst seither dennoch Lex Lilly. Karl Lauterbach hat Geheimpreis-Klauseln noch 2016 vehement abgelehnt. Jetzt ist er auf der Unglaubwürdigkeitsskala von 1 bis 10 wieder einen weiteren Punkt nach rechts gerutscht.
In der Schweiz wehrt sich die Krebsliga gegen Geheimrabatte
em. Bis 2020 machte die Schweiz bei der Geheimniskrämerei um den Preis von Arzneimitteln nicht mit. In der Spezialitätenliste war von jedem Medikament, das die Krankenkassen vergüten, sowohl der Fabrikabgabepreis als auch der Publikumspreis aufgeführt.
Mit dieser Transparenz ist es vorbei. Vor gut vier Jahren bewilligte der Bundesrat erstmals eine neue Immuntherapie bei Krebs «zu einem reduzierten, vertraulichen Preis», wie es damals hiess. «Der Tarifvertrag mit Verweis auf die vertraulichen Vergütungsvereinbarungen ermöglicht den Zugang zu den Car-T-Zelltherapien zu einem rabattierten Preis», heisst es beim Bundesamt für Gesundheit (BAG). Mit anderen Worten: Ohne Geheimhaltungsvertrag hätte die Schweiz den Rabatt nicht erhalten.
Solche Preisvereinbarungen für neue patentgeschützte Therapien werden in den meisten Ländern Europas angewendet. Damit auch die Schweiz von den hohen Rabatten auf Medikamenten profitieren kann, muss sie sich den Geheimhaltungsforderungen der Pharmafirmen beugen.
Auch Politiker fordern immer nachdrücklicher, dass die Schweiz bei den undurchsichtigen Rabatthändeln der Pharmafirmen mitmacht.
Nun will der Bundesrat solche «geheimen Preismodelle» sogar im zweiten Kostendämpfungspaket gesetzlich verankern. Doch die Krebsliga wehrt sich gegen die vertraulichen Rabatte.
Es geht bei vielen dieser Verträge um neue und teure Krebsmedikamente. Die Krebsliga befürchtet, dass wegen der Geheimniskrämerei künftig nicht mehr die wirkungsvollsten Substanzen zum besten Preis in die Spezialitätenliste aufgenommen würden. Es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem klinischen Nutzen und den Kosten eines Medikamentes, betont die Krebsliga.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Arztes und Autors Bernd Hontschik erschien zuerst in der deutschen Ärzte-Zeitung.
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Gesünder leben oder immer mehr Pharma-Produkte und steigende Krankenkassenprämien?
Ich empfehle jedem Menschen, der an Krankheits-Prävention glaubt, die Lektüre des Buches „Alzheimer ist heilbar“ des bekannten Hirnforschers Dr. Michael Nehls.
Die grosse Frage lautet:
Warum bringt es unsere Gesellschaft, seine Politiker und die Ärzteschaft nicht fertig, die wahren Gründe für Alzheimer und die drastische Zunahme des metabolischen Syndroms – die Süssgetränke, die versteckten Zucker und die ungesunden Öle – aus unserer Ernährung zu verbannen und durch gesunde Alternativen zu ersetzen?
Bedenke: Die Pharma-Industrie ist an der Weltgesundheit genauso interessiert wie die
Waffen-Industrie am Weltfrieden!!!
Diese Preisabsprachen widersprechen wie schon zu Covidzeiten dem Öffentlichkeitsprinzip staatlichen Handelns, wo nicht triftige Gründe dagegen sprechen. Die Pharma-Gewinnmargen gehören sicher nicht zu den triftigen Gründen, also soll geheim bleiben, dass diese Margen überrissen sind. Ist solches Handeln gewisser Politiker nicht widerrechtlich und undemokratisch?
Es iat auch absolut uneinsichtig, warum diese Abnehmspritzen von den Krankenkassen vergütet werden. Wenn das Bundesgericht Fettleibigkeit ohne dahinter stehendes Leiden als Krankheit einstuft, kann man sich fragen, was für ‹Krankheiten› die Pharma noch erfinden wird. Es wäre Zeit, diesen Katalog der kassenberechtigten Krankheiten einmal gründlich zu überarbeiten!
Gesundheit GV AT: «Eine Ernährungsweise mit hohem Anteil an Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten sowie Vollkornprodukten beugt der Entstehung vieler Krankheiten vor. Darunter Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, z.B. Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 und bestimmte Krebserkrankungen wie Darmkrebs und Brustkrebs.»
Das heisst wohl, wenn sich alle gesund ernähren würden, dann bräuchte es auch weniger Medikamente. Der Staat muss handeln, oder ist er auf die Steuermilliarden der Pharmakonzerne angewiesen?
Gunther Kropp, Basel
Warum will man etwas geheim halten? Ganz einfach, weil man etwas zu verstecken hat, und zwar nichts Positives. Und wer bezahlt die Zeche? Warten wie doch einfach die nächste Prämienerhöhung der Krankenkassen ab. Und warum wählen wir eigentlich immer wieder Politiker ins Parlament, die bei diesem unsauberen Spiel mitwirken? Danke, Krebsliga, dass du dagegen hältst!