Darmspiegelung nach 15 anstatt nach 10 Jahren wiederholen
«Nächste Untersuchung in zehn Jahren», heisst es meist, wenn eine Darmspiegelung zur Krebs-Früherkennung nichts Auffälliges ergab. Die Ergebnisse dreier Studien stellen diese Praxis nun in Frage. Sie legen nahe, dass bei Personen ohne erhöhtes Darmkrebs-Risiko auch grössere Zeitabstände bis zur nächsten Untersuchung vertretbar wären. In der Schweiz würde dies rund 70 Prozent aller Personen betreffen, die sich rein vorsorglich den Darm spiegeln lassen.
Eine der Studien wurde in Schweden durchgeführt. Sie bezog nur Menschen ein, bei denen unter den Verwandten ersten Grades (inklusive Halbgeschwister) kein Fall von Darmkrebs oder entzündlicher Darmerkrankung aufgetreten war.
Die Wissenschaftler zählten, wie oft Darmkrebs auftrat: Bei denjenigen, die im Alter von 45 bis 69 Jahren erstmals zur Darmspiegelung gingen und bei denen nichts gefunden wurde, auch keine Darmpolypen. Und bei Gleichaltrigen, die nicht zur Darmspiegelung gegangen waren. Sie dienten als Vergleich.
Das Ergebnis: Würde man die nächste Darmspiegelung erst nach 15 und nicht schon nach 10 Jahren durchführen, bedeutete dies bis zum Alter von 75 Jahren durchschnittlich eine Darmspiegelung pro Person weniger. Die Kehrseite: Von 1000 Personen würden durchschnittlich 2,4 mehr an Darmkrebs erkranken als bei einem 10-Jahres-Untersuchungsintervall.
Zusätzliche Darmkrebserkrankungen pro 1000 Personen | Zusätzliche Todesfälle an Darmkrebs pro 1000 Personen | «Eingesparte» Darmspiegelungen pro 1000 Personen bis zum Alter von 75 Jahren | |
---|---|---|---|
Nächste Darmspiegelung nach 15 anstatt nach 10 Jahren | 2,4 | 1,4 | 1000 |
Nächste Darmspiegelung nach 20 anstatt nach 10 Jahren | 11,9 | 3,6 | 1000 |
997 von 1000 hätten einen Vorteil
Von 1000 Personen (ohne Befund bei der ersten Darmspiegelung und ohne nahe Verwandte mit Darmerkrankungen bzw. -krebs) würden folglich rund 997 vom längeren Untersuchungsabstand profitieren – zwei bis drei aber hätten einen schweren Nachteil.
Aus Sicht der Studienautoren der in «Jama Oncology» veröffentlichten Studie könnte der Nutzen für die grosse Mehrheit es rechtfertigen, den Untersuchungsabstand auf 15 Jahre zu vergrössern – vorausgesetzt, es bestünden keine Risikofaktoren für Darmkrebs und die vorangegangene Darmspiegelung war ohne Befund.
Zwei Fachleute, welche die Studie in «Jama Oncology» kommentierten, finden unter diesen Umständen: «Diese Daten legen nahe, dass der optimale Zeitabstand 15 Jahre betragen könnte.» Die bisherigen Empfehlungen zum Darmkrebs-Screening könnten angesichts dieser Resultate eine Überarbeitung erfordern.
Eine wichtige Information fehlt
Die zweite Studie stammt aus Kanada. Auch sie kommt zum Schluss, dass man die bisherigen 10-Jahres-Abstände überdenken sollte. Zwei Kommentatoren in «The Lancet Gastroenterology & Hepatology» finden, das Untersuchungsintervall könne gestreckt werden, sofern die Darmspiegelung sorgfältig durchgeführt wurde und die Person keine Risikofaktoren für Darmkrebs habe.
Beide Studien haben allerdings mehrere Mängel. So beleuchteten sie zwar den möglichen Nutzen, nicht aber mögliche Komplikationen dieser Untersuchung. Einer kanadische Studie zufolge suchen 26 von 1000 Personen nach einer Darmspiegelung mutmasslich wegen Komplikationen einen Arzt auf, ein Zehntel davon noch am gleichen Tag.
Eine wichtige Information – der Gesundheitszustand der Teilnehmenden schon vor der Darmspiegelung – wurde ebenfalls in keiner der beiden Studien erhoben. Es spricht einiges dafür, dass diejenigen, die sich für ein Darmkrebs-Screening entscheiden, sowieso gesünder leben. Das würde einen höheren Nutzen vortäuschen. Beim Mammografie-Screening gibt es deutliche Hinweise, dass daran die gesünderen Frauen teilnehmen (Infosperber berichtete).
Per Los zur «kleinen Darmspiegelung» eingeladen
In einer dritten, britischen Studie, in «The Lancet» veröffentlicht, wurden Teilnehmenden vor rund 21 Jahren per Los eingeteilt. Sie waren damals 55 bis 64 Jahre alt.
Eine Gruppe erhielt das Angebot für eine «kleine Darmspiegelung». Dabei werden nur die letzten 30 Zentimeter des Darms gespiegelt, wo sich etwa 70 Prozent der bösartige Darmtumore bilden. Die andere Gruppe erhielt kein solches Untersuchungsangebot. Die zufällige Einteilung sollte gewährleisten, dass beide Gruppen anfangs vergleichbar waren.
In den mehr als zwei Jahrzehnten erkrankten in der Gruppe, die zu diesem Screening eingeladen wurde, von 100 Personen 1,4 an Endarm-Krebs. In der anderen Gruppe waren es 2,4 von 100. Gegen die Tumore in weiter oben gelegenen Darmabschnitten konnte die «kleine Darmspiegelung» naturgemäss nichts ausrichten. In beiden Gruppen erkrankten dort im Lauf der 21 Jahre je 1,7 von 100 Personen an Krebs.
Eine von 82 Personen profitierte von der Untersuchung
Die «kleine Darmspiegelung» ersparte schätzungsweise einer von 82 Personen einen Krebs im Enddarm, wobei Männer (einer von 55) dreimal mehr profitierten als Frauen (eine von 170). Dank der Untersuchung starben pro 100’000 Personen schätzungsweise jährlich 15 Personen weniger an dieser Krebserkrankung.
Allerdings unterschied diese Studie nicht zwischen Personen ohne Risikofaktoren für Darmkrebs und solchen mit (zum Beispiel ein naher Verwandter mit Darmkrebs, Rauchen, hoher Alkoholkonsum oder wenig Bewegung). So bleibt offen, ob Personen ohne Risikofaktoren einen Nutzen hatten und wie gross dieser war.
Ein Fachmann vom Nationalen Krebsinstitut in den USA wirft ob der Studie die Frage auf, ob eine einzige «kleine Darmspiegelung» im Leben nicht eine vernünftige Screening-Strategie wäre und ob man bei der üblichen «grossen» Darmspiegelung nicht ebenfalls zu grösseren Abständen übergehen könnte.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
zit.(«…Beide Studien haben allerdings mehrere Mängel. So beleuchteten sie zwar den möglichen Nutzen, nicht aber mögliche Komplikationen dieser Untersuchung….»).
Das ist ein wichtiger Hinweis. Es wäre sinnvoll, auf die ART der (möglichen) Komplikationen hinzuweise. Es gibt vergleichsweise hinnehmbare , aber auch sehr ernste. Zu letzteren gehören Perforationen des Darms. Sie können durch mangelnde Perfektion der Untersuchung, aber auch durch vorher nicht bekannte Strukturanomalien des Darms verursacht werden – und bedeuten Lebensgefahr.
Ich kann nicht beurteilen, wie häufig das vorkommt, befürchte aber das es da eine eine Dunkelziffer
gibt – von daher wäre es ein gewichtiges Argument für eine Verlängerung des Intervalls