2G-Regel Corona Massnahmen

Der irrige Glaube, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend seien, führte zu den autoritärsten Massnahmen seit Jahrzehnten. © heiko119 / Depositphotos

Covid-Impfung: Das falsche Narrativ vom Fremdschutz

Andreas Radbruch und Martin Sprenger /  Für Fachleute war klar: Geimpfte waren rasch wieder ansteckend. Der Bevölkerung aber wurde dies nicht kommuniziert.

Red. – Bereits früh hatte Infosperber darüber informiert, dass auch Geimpfte schnell wieder ansteckend sind. Deshalb würden sich Geimpfte in falscher Sicherheit wähnen und das G2-Zertifikat sei diskriminierend. Darauf sah sich Infosperber dem Vorwurf ausgesetzt, die Epidemie zu verharmlosen. Manche stellten Infosperber sogar in die Ecke von Schwurblern.

Der Immunologie-Experte Professor Andreas Radbruch und der Public-Health-Experte Martin Sprenger, der im Jahr 2022 als Mitglied der Corona-Taskforce des österreichischen Gesundheitsministeriums zurücktrat, bestätigen die frühen Informationen von Infosperber. Ihr Gastbeitrag vom 23.9.2024 aus der «Berliner Zeitung» (Titel und Vorspann von der Redaktion).

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Ende 2020 und Anfang 2021 wurden mehrere Corona-Impfstoffe im Eilverfahren zugelassen. So wie die Influenza-Impfung werden auch sie intramuskulär verabreicht. Bei den Zulassungsstudien wurde die Reduktion symptomatischer Ansteckungen gemessen, allerdings nicht, ob Geimpfte auch weniger ansteckend sind. Keine Zulassungsbehörde hat irgendeinem Corona-Impfstoff bescheinigt, dass er das Übertragungsrisiko reduziert. Wie konnte es also dazu kommen, dass bei den Corona-Impfstoffen nicht nur ein fast hundertprozentiger Schutz vor Erkrankung, sondern auch eine effektive Reduktion des Übertragungsrisikos kommuniziert wurde?

Begonnen hat es Mitte Februar 2021, als der damalige SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ein bis heute unveröffentlichtes Manuskript mit den Worten zitierte: «Diese Auswertungen sind von grosser Bedeutung. Sie sind der erste klare Hinweis darauf, dass man sich nach der Impfung nicht ansteckt und auch nicht ansteckend ist.»

Anfang April 2021 stellt das Robert-Koch-Institut (RKI) fest: «Nach gegenwärtigem Kenntnisstand ist das Risiko einer Virusübertragung durch Personen, die vollständig geimpft wurden, spätestens zum Zeitpunkt ab dem 15. Tag nach Gabe der zweiten Impfdosis geringer als bei Vorliegen eines negativen Antigenschnelltests bei symptomlosen infizierten Personen.» Zeitgleich kann man in vielen anderen Medien lesen: «Laut RKI können Geimpfte das Virus kaum weitergeben», mit der Konsequenz: «Wer vollständig geimpft wurde, kann in Zukunft wie jemand behandelt werden, der negativ getestet wurde.»

Diese Aussagen basieren auf Studien mit ein- oder zweimal geimpften Probanden und Beobachtungszeiträumen von wenigen Wochen. Trotzdem war die Botschaft in der Welt: «Geimpfte sind nicht ansteckend!», als ob das eine dauerhafte Eigenschaft wäre. Es war die Grundlage für Impfzertifikate («Grüner Pass»), 2G, Betretungsverbote, Arbeitsverbote, Ausbildungsverbote, sozialen Ausschluss, Impfpflichtdebatten, Impfkampagnen in Schulen, für sozialen Druck auf gesunde junge Menschen sich impfen zu lassen, auch wenn sie bereits eine Infektion überstanden hatten. Aber auch für mediale Beschimpfungen, wie «Ungeimpfte sind die Treiber der Pandemie» oder «Pandemie der Ungeimpften.» 

Dies hatte viele unerwünschte Effekte, Vertrauensverlust in Politik, Wissenschaft und Medien, aber auch negative Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt und letztendlich die demokratische Gesellschaft. Sie offenbarten ein paternalistisches Verhältnis vieler Politiker zu den Bürgern und eine mangelhafte Kommunikation mit der Immunologie, der Wissenschaft von unserer Reaktion auf Infektionen.

Aus immunologischer Sicht wäre ein dauerhafter Fremdschutz ungewöhnlich. Wird das Immunsystem durch eine Infektion oder Impfung aktiviert, entstehen aus «naiven» Immunzellen, den B und T Lymphozyten, in den Lymphknoten «Gedächtnis»-Lymphozyten, aus den «Gedächtnis»-B Lymphozyten dann auch «Plasmazellen», die die spezifischen Antikörper dauerhaft ins Blut abgeben.

Bei einer Reizung der Schleimhäute der Atemwege werden die Antikörper aus dem Blut auch durch die begrenzende Epithelzellenschicht auf die Schleimhäute transportiert. Antikörper, die die Bindung der Viren an die Schleimhautzellen blockieren, auch «neutralisierende» Antikörper genannt, schützen uns vor Ansteckung und sie schützen uns auch davor, andere anzustecken.

Leider lässt dieser Schutz schnell nach, da die Transportmechanismen wieder abgeschaltet werden. Man kann den Fremdschutz leider auch nicht durch wiederholte Impfungen (Boostern) stabilisieren, eine Fehleinschätzung vieler Verantwortlicher in der Pandemie. Denn je häufiger man impft oder sich infiziert, desto mehr Antikörper hat man im Blut. Diese blockieren nachfolgende Immunreaktionen. Die Folge: Schwache Immunreaktion, schwache Aktivierung des Transports auf die Schleimhäute, geringer und kurzfristiger Fremdschutz.

Autoritäre und wissenschaftsferne Stimmung

Bezeichnend für die damalige, autoritäre und wissenschaftsferne Stimmung ist ein Artikel, der Ende August 2021 in der «TAZ» erschien und auf gruselige Art und Weise den laschen Umgang mit digitalen Impfzertifikaten oder ungeimpften Kindern kritisiert. Nur mit den Corona-Impfstoffen würde eine Herden-Immunität erreicht werden, wobei die angeblich dazu notwendige Impfquote von Anfangs 60 Prozent auf 80 Prozent und darüber angehoben wurde. Skeptische Stimmen wurden nicht gehört.

Die ungeschwärzten RKI-Protokolle zeigen, dass auch die Mitarbeiter des Instituts sehr lange an eine effiziente und dauerhafte Reduktion des Übertragungsrisikos geglaubt haben. So steht erst im Protokoll vom 29. Oktober 2021: «FAQ zum Übertragungsrisiko durch Geimpfte muss geändert werden. Bisher sinngemäss, dass es aus PH- (Anm.: Public Health) Sicht vernachlässigbar sei.»

Ende 2021 änderte sich auch die Berichterstattung in den Medien. Plötzlich konnte man immer öfter lesen, dass auch Geimpfte ansteckend seien. Die «Faktenfinder» der Tagesschau behaupteten aber weiterhin, dass ein Fremdschutz und die Möglichkeit einer Herdenimmunität durch die Impfung immer gegeben war und erst die Omikron-Variante dazu geführt habe, dass der «Fremdschutz einer Impfung mittlerweile zu vernachlässigen» sei. Hier wurden ein paar «immunologische» Fakten zur Schleimhautimmunität nicht wahrgenommen. Schliesslich meinte auch der Immunologe Carsten Watzl, dass man den Fremdschutz durch die Impfung zu sehr in den Vordergrund gestellt habe. Denn dieser sei immer nur vorübergehend. «Impfungen sollen gar nicht so sehr vor der Ansteckung schützen, sondern vor der schweren Erkrankung.» Das hätte deutlicher kommuniziert werden sollen. Dem ist nichts hinzuzufügen.

So hat sich das Narrativ, dass Geimpfte nicht mehr ansteckend und nur die Ungeimpften für die Pandemie verantwortlich seien, tief in der Bevölkerung verankert. Es hat Familien und Freundschaften gespalten und es kam zu einer beispiellosen Hetze und Diskriminierung von ungeimpften Personen.

In Österreich hat der Glaube an den Fremdschutz zu einer der autoritärsten Massnahmen seit Bestehen der zweiten Republik geführt. Zwischen dem 14. November 2021 und dem 31. Januar 2022 wurden im sogenannten «Lockdown für Ungeimpfte» fast zwei Millionen Menschen ab dem 12. Lebensjahr vom sozialen Leben ausgeschlossen, da sie die 2G-Regel nicht erfüllten. Der private Wohnbereich durfte nur in Ausnahmefällen verlassen werden. Betroffen waren auch viele einfach geimpfte und genesene Personen, bei denen die willkürlich festgelegte Gültigkeit des Impfzertifikats abgelaufen war, oder deren Infektion im epidemiologischen Meldesystem nicht erfasst worden war.

Die gesellschaftlichen Irritationen dieser Politik wirken in der Gesellschaft bis heute nach. Man muss sich wundern, wie viel Zustimmung es damals aus der Wissenschaft, aber auch von Verfassungsgerichten und Ethikkommissionen zu dieser Massnahme gab. Auch in Deutschland hielt Robert Habeck, Bundesvorsitzender vom Bündnis 90/Die Grünen, einen Lockdown für Ungeimpfte «für unumgänglich».

Zum Thema Fremdschutz durch Impfungen haben sich in der Öffentlichkeit vorwiegend immunologische Dilettanten geäussert, echte Expertise kam kaum zu Wort. Es brauchte lange, bis die relevanten wissenschaftlichen Veröffentlichungen ausserhalb des Fachgebietes zur Kenntnis genommen wurden. Hier ging wohl oft Emotion über Evidenz. In den Medien sowieso, aber auch im Verfassungsgerichtshof, oder im Ethikrat, der seinerzeit eine allgemeine Impfpflicht empfahl, ohne dass irgendein Mitglied über immunologische Expertise verfügte.

Auch Mitglieder der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina forderten Ende November 2021 eine «strikte, kontrollierte und sanktionierte 2G-Regelung». In Österreich wurde eine allgemeine Impfpflicht Anfang Februar 2022 im Parlament beschlossen. Das war ein politischer Fehler, der viel Vertrauen in Politik, Behörden, Wissenschaft und Impfungen zerstört hat.

Was tun? So wie zuletzt auch vom Netzwerk Evidenzbasierte Medizin empfohlen, «muss Wissenschaft unabhängig von politischer Einflussnahme bleiben und die Empfehlungen aus wissenschaftlichen Expertengremien nachvollziehbar und transparent gestaltet sein. Dabei müssen auch kontroverse wissenschaftliche Positionen und Unsicherheiten offen kommuniziert werden.» Neben vielen anderen offenen Fragen, bedarf auch die Frage des Fremdschutzes, angesichts ihrer Bedeutung für die Entwicklung und das Management einer Pandemie, einer umfassenden Aufarbeitung. Nur so könnten alle Beteiligten etwas für zukünftige, ähnlich geartete Ereignisse lernen.

Coronaviren und Immunität

Vor dem Jahr 2020 wussten viele Menschen nicht, dass Coronaviren existieren. Sie gehören zu jenen Viren, die für die saisonalen Infektionserkrankungen, die sogenannten «grippalen Infekte» verantwortlich sind. Beschrieben wurden sie erstmals in den 1960er-Jahren von der britischen Virologin June Almeida. Die vier endemischen Coronaviren HCoV-HKU1, HCoV-OC43, HCoV-NL63 und HCoV-229E sind je nach Virensaison für 5 bis 30 Prozent aller akuten respiratorischen Erkrankungen, aber auch viele Todesfälle in Altenheimen verantwortlich. Die meisten von uns infizieren sich in der frühen Kindheit mit Coronaviren und bauen so eine langanhaltende Immunität auf, die durch Re-Infektionen immer wieder gefestigt wird. In der jüngsten Vergangenheit kamen drei weitere Coronaviren hinzu: 2003 Sars-CoV-1, 2012 Mers-CoV und 2019 Sars-CoV-2, von dem es inzwischen viele Varianten und Subvarianten gibt. Eine Infektion mit Sars-CoV-1 bewirkt eine viele Jahre anhaltende Immunität und spätestens Mitte 2021 wusste man, dass dies auch für Sars-CoV-2 gilt. Ein Befund, der inzwischen auch durch Übersichtsarbeiten bestätigt wurde.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Arzt und Public-Health-Experte Martin Sprenger leitet seit 2010 den Universitätslehrgang Public Health an der Medizinischen Universität Graz. Im März 2020 war er Mitglied der Corona-Taskforce des österreichischen Gesundheitsministeriums und trat im Jahr 2022 aus ihr aus.

Professor Andreas Radbruch ist Immunologe. Er ist emeritierter Direktor des Deutschen Rheumaforschungszentrums in Berlin, ein Leibniz Institut, und Mitglied der Leopoldina. Von 2019 bis 2021 war er Präsident des Europäischen Immunologenverbandes EFIS.
Dieser Artikel erschien am 23.9.2024 in der «Berliner Zeitung»
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

  • Infosperber vom 7.8.2024: «Lange offiziell geleugnet: Covid-Geimpfte waren ansteckend»
  • Interview mit Professor Radbruch vom 27.7.2022: «Man sollte die mRNA-Impfstoffe gezielt und sparsam einsetzen»
  • In diesem Video erläutert der Immunologe Professor Andreas Radbruch, warum die bei uns eingesetzten Covid-Impfstoffe für den «Fremdschutz» nicht geeignet sind. Um durch die Impfung andere zu schützen, braucht es bestimmte Antikörper auf den Schleimhäuten in den Atemwegen, welche die Viren abfangen. Diese Antikörper seien jedoch wenige Wochen nach der Impfung wieder verschwunden. Geimpfte könnten sich dann das Virus einfangen und an andere weitergeben. Wiederholtes, allgemeines Boostern ist Radbruch zufolge keine Lösung dieses Problems, es brauche dazu andere Impfstoffe.

Zum Infosperber-Dossier:

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Covid-19 fordert Behörden und Medien heraus. Infosperber filtert Wichtiges heraus.

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Kritik von Zeitungsartikeln

Printmedien üben sich kaum mehr in gegenseitiger Blattkritik. Infosperber holt dies ab und zu nach.

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4 Meinungen

  • billo
    am 13.10.2024 um 11:15 Uhr
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    Ich muss beschämt zugeben, dass auch ich damals diesem pseudowissenschaftlich-populistischen Narrativ aufgesessen bin, man schütze andere, wenn man sich gegen COVID impfen lasse. Es ist wichtig, dass solche Artikel breit und wiederholt erscheinen, damit wir gegen diese Narrative künftig besser geschützt sind.

  • am 13.10.2024 um 13:14 Uhr
    Permalink

    Ist es nicht die Sehnsucht nach einem autoritären Staat, der einem sagt, was man zu tun und zu lassen hat und den Leuten einen Halt gibt?

  • am 13.10.2024 um 14:06 Uhr
    Permalink

    Nun, was wie einen Ansatz an Rehabilitation aussieht, ist schon lange überholt. Keinen Fremdschutz? Nun, eher gar keinen Schutz aller in Muskelgewebe injektionierten Mitteln gegen Errreger, die auf den Schleinhäuten bekämpft werden müssen. Ist irgendwie auch logisch, nur hat es niemanden interessiert, solange die Pharmaindustrie diesen Betrug nur an betagten Menschen beging. Die Forschung zu den mRNA-Gentherapien gegen Sars-Cov-2 haben nun eben dies zu Tage gefördert: schon die Grippeimpfung hat nie zur Bildung von Antikörper in den Schleimhäuten geführt.
    Ich verstehe Ihren Wunsch nach Rehabilitation, insbesondere als Journalisten und Verleger hängen Sie sehr von Ihrem Ruf ab. Nur wird es nie Rehabilitation geben; daran wird auch dieser Artikel nichts ändern. Insofern haben wir wirklich eine Zeitenwende erlebt, eine Gesellschaft existiert nicht mehr. Es existieren jetzt zwei nebeneinander. Und sie werden sich weiter fragmentieren, was sich eines Tages als befreiend erweisen wird.

  • am 13.10.2024 um 14:06 Uhr
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    In der Pandemie wurden viele Fehler gemacht von Seiten der Politik und den Medien.Dass die Ärzteschaft sich nicht gegen diese Falschinformationen gewehrt hat,oder versuchte Richtigzustellen,nährt das Vertrauen in diesen Berufsstand auch nicht.Dass die Impfung Fremdschutz bedeute, sagten fast alle, Fauci, Biden, Berset selbst der Chef und Mann des Jahres, CO von Pfizer behauptete dies. Keiner hat sich entschuldigt oder wurde medienwirksam zur Rede gestellt. Deshalb kann ich heute den Anstrengungen gegen Fakenews,genau von solchen Menschen, nur ein müdes Lächeln abgewinnen.Der Vertrauensverlust in die Institutionen ist bei einem grossen Teil der Bevölkerung imens und spiegelt sich unterdessen auch in Wahlen. Die Verantwortlichen täten gut daran,auf diese zuzugehen und Fehler einzugestehen.

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