Maulkorb für die Medien

«Unzählige Stimmen wurden mundtot gemacht», schreibt der Public-Health-Experte Martin Sprenger. © stokkete / Depositphotos

Corona-Pandemie: Wie Österreichs Regierung Medien dirigierte

Martin Sprenger /  Mit der «Message Control» unterband die Regierung Kritik. Über eine teure Inseratekampagne verbreitete sie Falschinformation.

mfr. – Der Public-Health-Experte Martin Sprenger von der Universität Graz war Mitglied der österreichischen Corona-Taskforce. Am 7. April 2020 schied er dort freiwillig aus. In seinen Büchern «Das Corona-Rätsel» (2020) und «Corona – Des Rätsels Lösung?» (2022) zieht Sprenger eine Bilanz der Pandemie. Infosperber veröffentlicht im Folgenden einen Auszug aus seinem zweiten Buch (Zwischentitel von der Redaktion). 

Sprenger wirft dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz vor, er habe auf eine «Eskalation der Angst» gesetzt anstatt auf Sachpolitik. «Das wirkliche Problem in Österreich sind die bewusst gewollte Intransparenz und die fehlende Informationsfreiheit», schreibt Sprenger. Die Informationskontrolle mit Hilfe der sogenannten «Message Control» habe «viel unnötiges Leid verursacht» und die Lernkurve während der Pandemie viel flacher gehalten als notwendig. 

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Von Anfang an versuchten die Regierungen mithilfe einer Message Control die Kommunikationshoheit zu übernehmen. In Österreich gab es dafür im Kanzleramt einen eigenen Kommunikations- und Medienbeauftragten namens Gerald Fleischmann. Er konnte über ein Team von über fünfzig Per- sonen verfügen, die nicht nur darauf achteten, dass die richtigen Bilder und richtigen Texte in den richtigen Medien an der richtigen Stelle erschienen, sondern auch rund um die Uhr in den sozialen Medien dafür sorgten, dass die Narrative der Regierung verbreitet wurden. Jede andere Meinung wurde diffamiert und diskreditiert. Dazu war jedes Mittel recht. Auf diese Weise wurden unzählige Stimmen mundtot gemacht. Ende Oktober 2021, mit dem Fall des Ex-Kanzlers Kurz, musste auch Gerald Fleischmann die Bühne räumen. In kaum einem Land ist die Medienförderung dermassen aus dem Ruder gelaufen wie in Österreich. Die Einflussnahme der Politik auf die Berichterstattung, auf die journalistische Arbeit hat ein Ausmass angenommen, das demokratiepolitisch bedenklich ist. 

Statt dem wertschätzenden Umgang mit Vielfalt wurde mithilfe der Message Control polarisiert, diffamiert, diskreditiert und eine einmalige politische Inszenierung umgesetzt. Statt ein Verantwortungsbewusstsein für die Gesellschaft mithilfe von Mitgestaltungsmöglichkeiten zu fördern, wurde das Gemeinschaftsgefühl nachhaltig beschädigt. Was in Jahrzehnten an sozialen Beziehungen, zivilgesellschaftlichem Engagement und Teilhabe aufgebaut wurde, ist in den letzten zwei Jahren aufs Spiel gesetzt worden. Mit direkten Folgen für die Demokratie, die soziale Sicherheit und den sozialen Frieden. […] Die Kombination von politischer Inszenierung und medialer Message Control hat in Österreich einen enormen Schaden angerichtet. […]

«Das mediale Klavier so zu bedienen, wie sie wollten»

Rainer Schüller schrieb [in «Der Standard» – Anm. d. Red.] im Oktober 2021 einen Nachruf auf die Message Control. Was er allerdings ausblendet, ist die Rolle der Medien selbst. Damit es «die eingeschworene Truppe schaffte, über weite Strecken das mediale Klavier teils so zu bedienen, wie sie wollten», brauchte es zahme, gefügige und folgsame Medien. 

Die Inseratenaffäre* zeigte deutlich, wie manche Medien mit Geld, politischem Druck oder Freunden in der Redaktion willfährig gemacht wurden, um bei der Message Control mitzuspielen. Was er ebenfalls nicht erwähnt, ist, dass nicht nur «Themen so gestreut wurden, dass sie dem ÖVP Parteichef möglichst viel Zustimmung brachten» und «die Schublade voll war mit vorbereiteten Ablenkungsge­schichten, die über den Boulevard und soziale Netzwerke so lan­ge gespielt wurden, bis die Algorithmen von Instagram, Facebook und Co die Kritik aus der Timeline spülten», sondern dass die Kommunikationsmaschinerie im Kanzleramt unter der Dirigentschaft von Gerald Fleischmann […] viele Menschen bewusst diffamiert und diskreditiert hat, die es wagten, die Regierung bzw. das Pandemiemanagement zu kritisieren. Auch dabei waren viele Medien, auch die sogenannten Qualitätsmedien, willfährige Helfer und beteiligten sich gerne an der inszenierten Hexenjagd. 

Letztendlich hat diese Message Control massgeblich zur Polarisierung und Spaltung unserer Gesellschaft, zum Vertrauensverlust in Behörden und Regierung, und damit zum suboptimalen Pandemiemanagement beigetragen. Auch das sollte ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss oder der Rechnungshof intensiver analysieren. 

Message Control war in diesem Zusammenhang kein Kavaliersdelikt, sondern hat den gesundheitlichen, psychosozialen und ökonomischen Schaden der Pandemie in der österreichischen Bevölkerung massiv verstärkt. […]

Neue, schwammige Begriffe: Corona-Leugner, Querdenker, Verschwörungstheoretiker

In den letzten Jahren wurden auch vollkommen neue Begriffe erfunden, die in den Medien unzählige Male verwendet, aber nie genau definiert wurden. Dabei wäre es interessant zu wissen, ob «Corona­-Leugner» Menschen sind, die nur Coronaviren oder Viren generell leugnen oder nicht daran glauben, dass Viren Infektionskrankheiten verursachen können? Sind «Querdenker» Menschen, die verquer denken, oder Menschen, die sowohl die rechte als auch die linke Gehirnhälfte benutzen, oder ist Querdenken einfach laterales, nichtlineares kreatives Denken? Sind «Verschwörungstheore­tiker» Menschen, die hinter allem eine Verschwörung vermuten, oder sind sie einfach nur Opfer einer Verschwörung? […] Eine der häufigsten Zuschreibungen ist «Impfgegner». Wobei offen bleibt, ob diese generell gegen Impfungen sind oder eigentlich Befürworter von allen Impfungen bis auf jene, bei denen sie kein Vertrauen und viele Fragen haben, oder sind Impfgegner eigentlich Impfpflichtgegner? […]

Noch ein mediales Phänomen gab es in den letzten beiden Jahren. Plötzlich wimmelte es von Faktencheckern, also Personen, die Aussagen von anderen Personen richtigstellen. Sie taten dies mit unterschiedlichen Motiven und selten offengelegten Interessenkonflikten. 

Im besten Fall meinten sie es ehrlich und versuchten, einer verwirrten Leserschaft die Unschärfen und Limitierungen der sich ständig verändernden Wissensbasis näherzubringen. Meistens verbreiteten sie jedoch nur ihre subjektive Wahrnehmung oder verteidigten temporäre Dogmen, als ob eine Pandemie ein Glaubenskrieg wäre. Im schlimmsten Fall verbreiteten sie selbst falsche Informationen, sogenannte «Fake News». 

Regierungskampagne verbreitete Falschinformation

Dass dies auch offiziellen Kampagnen passieren kann, zeigte sich an einem in allen österreichischen Zeitungen vielfach ganzseitig abgedruckten Inserat der Initiative «Österreich impft». Dort stand unter dem Titel «Eines ist sicher. Impfen wirkt.» zu lesen: «Von 100’000 vollständig geimpften Menschen müssen bei Kontakt mit dem Corona­-Virus 99’996 Per­sonen nicht ins Krankenhaus.» 

Würde diese Aussage stimmen, hätten die Impfstoffe eine Effektivität von 99,996 Prozent. Das ist natürlich falsch, und eigentlich müssten alle Zeitungen, die pro Inserat um die 30’000 Euro kassiert haben, eine Richtigstellung abdrucken. Was natürlich keine Zeitung gemacht hat.

Stattdessen ist diese peinliche Fehlinformation einfach und klammheimlich von allen Seiten entfernt worden. Ob die Faktenchecker davon etwas mitbekommen haben, bleibt offen. Zu Wort gemeldet hat sich dazu aber keiner von ihnen. Anscheinend gibt es falsche und richtige «Fake News». […]

Covid-Impfkampagne Österreich
Mit falschen Angaben wurde in ganz Österreich für die Covid-Impfung geworben. Die Medien erhielten für die Inserate viel Geld von der Regierung.

Berichterstattung im ORF sollte unabhängig überprüft werden

Schade finde ich, dass sich die Medien, allen voran der öffentlich-rechtliche Rundfunk Österreichs (ORF), bei der Corona-Berichterstattung nicht an die Kriterien für gute Gesundheitsinformation gehalten haben. Dadurch wurde viel Vertrauen zerstört. 

Die österreichischen Medien, aber vor allem die Message Control der Regierung, haben essentiell dazu beigetragen, dass in keinem Land der EU das Vertrauen in die Regierung so stark gesunken ist wie in Österreich. Dabei ist Vertrauen in Behörden und Regierung einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren in Krisenzeiten. 

Ich hoffe wirklich, dass die ehemaligen Verantwortlichen für die Message Control im Kanzleramt für ihren Anteil am Vertrauensverlust irgendwann zur Rechenschaft gezogen werden. Sie haben viel zur Vergiftung des Klimas in Österreich beigetragen und tun das immer noch. Sie haben bewusst und aus rein politischen Motiven polarisiert, Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufgehetzt. Sie haben wesentlich zu einer Schwächung des sozialen Zusammenhalts, Vergrösserung des direkten und indirekten Schadens der Pandemie beigetragen, und damit der österreichischen Gesellschaft enorm geschadet. […]

Die Performance des ORF sollte einer unabhängigen externen Evaluierung unterzogen werden. Schliesslich hat der ORF eine gesellschaftliche Verantwortung. Denn eigentlich ist er ein unabhängiges, öffentlich-rechtliches Medienunternehmen, das als Stiftung öffentlichen Rechts definiert ist. Ob er diese Aufgabe auch erfüllt hat, sollte überprüft werden. Unabhängig, ohne politische Einflussnahme. 

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* In Österreich wurde im Oktober 2021 eine «Inseratekorruption» bekannt (Infosperber berichtete). Abteilungen der Regierung machten die Vergabe von Inseraten teilweise von einer positiven Berichterstattung abhängig. – Anm. d. Red.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Arzt und Public-Health-Experte Martin Sprenger leitet seit 2010 den Universitätslehrgang Public Health an der Medizinischen Universität Graz. Im März 2020 war er Mitglied der Corona-Taskforce des österreichischen Gesundheitsministeriums und trat im April 2020 aus ihr aus. Sprenger hat zwei Bücher zur Corona-Pandemie verfasst.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

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Coronavirus: Information statt Panik

Covid-19 fordert Behörden und Medien heraus. Infosperber filtert Wichtiges heraus.

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Medien unter Druck

Wer Zeitungen und Fernsehen kontrolliert und besitzt, hat Einfluss und Macht.

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3 Meinungen

  • am 24.10.2024 um 11:52 Uhr
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    Meine SP-nahen Freunde hatten sich damals in Nibelungentreue an das gehalten, was die Regierung verfügte und srf loyal als Wahrheit kommunizierte. Die damals dominanten Parteien sind inzwischen unter die Räder geraten. Man kann sich fragen, ob die damalige Identifikation mit der grossen Irreführung und die Misserfolge bei den aktuellen Wahlen nicht ganz direkt etwas miteinander zu tun haben.

    • am 25.10.2024 um 10:17 Uhr
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      Das deckt sich mit meinen Erfahrungen. Die Linke hat fast vollständig den Kampf gegen Maßnahmen Kritiker aufgenommen und gedacht, es handle sich um einen Kampf gegen Rechts. Wenn man bedenkt, dass die Kritik sich hauptsächlich auf Staat, Big Pharma und die Medien bezog,doch sehr erstaunlich. Seit wann ist es nicht mehr möglich, diese Institution zu hinterfragen. Was ist passiert mit » kein Mensch ist illegal » (Zertifikat) und » mein Körper meine Entscheidung » (Impfpflicht). Habe vorher 30 Jahre links gewählt, werde ich Zukunft sein lassen, wie viele andere auch.

  • am 25.10.2024 um 20:32 Uhr
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    Die Ära Kurz war ein Tiefpunkt in der 2. Republik. An Perfidie, Presseschleimerei, Propagandakampagnen und tonnenweise Lügen nicht zu überbieten. Monatelang weigerten sich Kurzens Gefolgsleute, wichtige Akten rauszurücken, schließlich musste der greise Bundespräsident gar den «dududu»-Finger erheben. Die austriakische «Message Control» lief schon auf Hochtouren, als Kurz noch den Außenminister simulierte und doch nichts anderes versuchte als gemeinsam mit Scharfmacher Sobotka die Regierung Kern-Mitterlehner, die ganz leidlich funktionierte, zu sprengen, um ganz schnell mit dem Heilandsticket Kanzler zu werden. Einige Jahre hatten noch alle Wiener über das geschniegelte Bübchen gelacht, niemand nahm ihn ernst und auf einmal steht so einer als Kanzler da, im sprichwörtlichen zu kurzen Anzug, der gemeinsam mit der Schleckfrisur und den roten Ohren sein Markenzeichen wurde.

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