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Der Marinebiologe Alex Ford im Interview mit «Good Morning Britain». © Good Morning Britain

Britische Fische sind voll mit Kokain

Daniela Gschweng /  Die Koks-Fische führten zu zahlreichen amüsanten Schlagzeilen. Sie sind aber ein Zeichen eines grösseren Abwasserproblems.

Man habe in jedem einzelnen Lebewesen vor der Küste von Hampshire im Südosten Englands Kokain gefunden, erklärte der Marinebiologe Alex Ford Ende März in einem TV-Interview. Dazu kämen Rückstände von Medikamenten, Hormonen und viele anderen Gifte.

Die Koks-Fische fanden ihren Weg in zahlreiche Medien. Dahinter steht ein ernstes Problem. Grossbritannien hat seit geraumer Zeit Mühe, seine Gewässer sauber zu halten. Es werden immer mehr Orte bekannt, an denen ungeklärte Abwässer in den vergangenen Jahren in Flüsse oder ins Meer geleitet wurden. Teilweise sogar in Naturschutzgebiete.

Marinewissenschaftler ist schockiert von den Messwerten

Alex Ford hatte zusammen mit dem Umweltwissenschaftler Tom Miller von der Brunel University London das Gebiet um ein grosses Abwasserrohr im Langstone Harbour in Hampshire untersucht. Durch die Leitung im Südosten Englands fliessen die Abwässer der rund 400’000 Einwohnerinnen und Einwohner von Portsmouth. «Ich war ehrlich gesagt schockiert, als ich die Messwerte sah», sagte er der Zeitung «The Independent». Die Verunreinigungen sind nicht nur gefährlich für Menschen, sondern auch für Wasserlebewesen.

Kleine Mengen Kokain oder dessen Abbauprodukte werden immer wieder in Flüssen nachgewiesen. Die noch nicht publizierten Ergebnisse von Miller und Ford haben eine andere Dimension. «Wir stellen fest, dass die Marinelebewesen voll mit Drogen sind», sagt Ford. Unter den gefundenen Substanzen finden sich Hormone aus Antibabypillen, Antidepressiva, Medikamente und MDMA (Ecstasy).

Ursache der Drogenschwemme: ungeklärtes Abwasser. Zwischen Oktober 2022 und September 2023 sei doppelt so viel unbehandeltes Wasser in Grossbritanniens Flüsse und Küstengewässer gelangt wie im Jahr davor, zitiert der «Independent» eine Studie aus dem vergangenen Jahr.

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Eine interaktive Karte, die «Unearthed» erstellt hat, listet zahlreiche Ereignisse auf, bei denen ungeklärte Abwässer in Schutzgebiete gelangten.

Dabei war 2022 ein sehr trockenes Jahr. Eine von «Unearthed» erstellte interaktive Karte listet dennoch zahlreiche über ganz Grossbritannien verteilte «Sewage Spills» in geschützten Gebieten auf, die sich auf 1200 Einzelereignisse beziehen. Es habe 2022 rund 300’000 Abwasser-Überläufe gegeben, welche die Versorger als Verbesserung verkauft hätten, schreibt «Unearthed». Im Jahr darauf habe sich die Zeit, in der ungeklärte Abwässer in Gewässer gelangten, laut dem «Guardian» verdoppelt.

Die Drogenschwemme schadet den Wasserlebewesen

Die genauen Auswirkungen der unterschiedlichen Substanzen auf einzelne Tier- und Pflanzenarten seien nicht vollständig bekannt, sagt Ford, der die britische Regierung aufforderte, eine Untersuchung einzuleiten. Die Medikamenten- und Drogenmengen sind zu klein, um Meereslebewesen zu töten. Sie haben aber andere Effekte, die denen bei Menschen ähneln.

Fische, die Hormonen aus Verhütungsmitteln ausgesetzt sind, feminisieren sich. Aale, die in einer Studie kleine Mengen Kokain bekamen, wurden hyperaktiv. Ihre Muskulatur zeigte erhebliche Verletzungen, die auch nach zehn Tagen ohne Kokain nicht abheilten.

Von Antidepressiva sei bekannt, dass sie Paarungsverhalten, Schwimmaktivität und Fluchtverhalten von Meerestieren ändern, sagt Ford.

Auch Menschen sind gefährdet

Menschen können von schmutzigem Wasser zahlreiche gesundheitliche Probleme bekommen. Von Magenbeschwerden oder Augenentzündungen bis zu Salmonelleninfektionen und Hepatitis. Giftige Chemikalien wie PFAS oder Pestizide könnten sich in Meerestieren anreichern und so in Lebensmittel gelangen.

Die britischen Wasserversorger sehen darin kein Fehlverhalten. Unter «aussergewöhnlichen Umständen» wie Starkregen dürfen sie unbehandeltes Abwasser in Gewässer einleiten. Das schütze die Wasserversorgung und bewahre die Bevölkerung vor Überschwemmungen, argumentieren sie.

Versorger berufen sich auf Extremsituation

Grundsätzlich ist es die Aufgabe eines Wasserversorgers, dafür Sorge zu tragen, dass solche Ereignisse möglichst selten eintreten. «Aussergewöhnliche Umstände» gibt es in Grossbritannien jedoch seit Jahren häufig.

Schon 2022 beschrieb die «Huffington Post»  das «viktorianische Abwassersystem» und dessen Auswirkungen auf die Wasserqualität. Anlass waren ebenfalls heftige Regenfälle, die zur Einleitung von Abwässern ins Meer führten. Die Bosse im privatisierten britischen Wassersystem strichen derweil dicke Gehälter ein, führte die Zeitung auf.

Das Wasser sei sicher – trinken will der CEO es dann doch nicht

Badende sollten selbst entscheiden, ob sie das Wasser zum Schwimmen sicher fänden, sagte ein Sprecher von Southern Water in der Sendung «Good Morning Britain». Das eingeleitete Wasser sei «zu 95 Prozent Regenwasser». Der Aufforderung eines Aktivisten, die 95-Prozent-Regenwasser-Mischung zu trinken, kam der CEO von Southern Water, Lawrence Gosden, aber dann doch nicht nach.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Afrika und das Meer als Mülleimer

Westliche Industrie- und Konsumabfälle vergiften Menschen in Afrika oder Indien und töten Meerfische.

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Eine Meinung zu

  • am 15.04.2024 um 13:30 Uhr
    Permalink

    «Crabs on cocaine, shrimps on speed» singen: Rule, Britannia, Britannia rule the waves.

    Ein akuter Fall für die Nüchternheitspolizei, die ja mit der Drogengesetzgebung westlicher Länder bereits existiert. Auf den ersten Blick ist der Sachverhalt zum Brüllen komisch, auf den zweiten Blick ein Zeugnis der extrem vernachlässigten Infrastruktur in Großbritannien in Gestalt von Überalterung sowie Reparatur- und Erneuerungsbedürftigkeit.

    Something is rotten in the state of Britannia

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