Sperberauge

Britin gewinnt Prozess gegen ihre eigene Empfängnis

Martina Frei © zvg

Martina Frei /  Der Arzt konnte nicht beweisen, dass er ihre Mutter vor der Schwangerschaft gut beraten hatte. Sie kam behindert zur Welt.

Evie Toombes, eine 20-jährige, schwer behinderte junge Britin, hat gegen ihre eigene Empfängnis geklagt – und den Gerichtsprozess gewonnen. Es ist der erste Fall einer «unrechtmässigen Empfängnis» in Grossbritannien. 

Im Februar 2001 hatte ein Arzt Toombes Mutter vor der geplanten Schwangerschaft beraten. Die Mutter verzichtete nach der Konsultation darauf, Folsäure einzunehmen. Folsäure – am besten drei Monate vor geplanten Empfängnis und während der Schwangerschaft eingenommen – kann Babys vor schweren Fehlbildungen (sogenannte Spina bifida) schützen.1

Hätte der Arzt ihre Mutter richtig beraten, wäre ihr genau diese Behinderung erspart geblieben, argumentierte Evie Toombes vor Gericht. Der Arzt konnte sich nicht mehr im Detail daran erinnern, was er der Mutter damals gesagt hatte. Seine Standardpraxis sei gewesen, den Frauen die Folsäure-Empfehlungen nahezulegen, ihnen aber die Entscheidung zu überlassen, ob sie es nehmen oder nicht, legte er dar.

In seinen Akten stand aber nur «Beratung vor der Empfängnis. Folsäure, wenn gewünscht, besprochen.» Die Richterin habe das für «völlig ungenügend» gehalten, berichtet die Fachzeitung «BMJ». Evie Toombes wäre wahrscheinlich gesund zur Welt gekommen, wenn der Arzt ihrer Mutter die Vorteile der Folsäure-Ergänzung wirklich dargelegt hätte, hielt sie fest. Dann hätte diese nämlich ihre geplante Schwangerschaft noch um etwa einen Monat verschoben und ihre Tochter nicht empfangen. 

Evie Toombes, die als Para-Springreiterin arbeitet, soll Medienberichten zufolge mehrere Millionen Pfund Schadenersatz erhalten. Laut dem «BMJ» müsse die Summe noch verhandelt werden. Ihr Fall dürfte richtungsweisend sein.

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1 Folsäure wird für die Zellteilung gebraucht. Es ist in vielen Nahrungsmitteln enthalten, der Bedarf ist während der Schwangerschaft deutlich höher als sonst. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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3 Meinungen

  • am 29.12.2021 um 13:58 Uhr
    Permalink

    Nimmt man sich die Zeit das 17- seitige Urteil zu lesen macht der Entscheid durchaus Sinn.

    • am 31.12.2021 um 17:34 Uhr
      Permalink

      Ich habe die Begründung nicht gelesen. Für mich stellt sich eher die Frage ob es ethisch vertretbar ist, dagegen zu klagen können, dass man am Leben ist und jemandem die dafür Verantwortung zu geben.

      Schon vor dreissig Jahren wurde generell empfohlen während der Schwangerschaft auf die Folsäure zu achten. Die Folsäure nur ein Element für Spina bifida, die genetische Disposition spielt eine weitaus grössere Rolle.

      Letztlich ist es immer noch, dass es an den Eltern liegt sich zu Informieren und die Verantwortung für den Nachwuchs zu übernehmen. Darum haben solche Prozesse immer mit Kafka zu tun. Urteilsbegründung hin oder her.

      • am 4.01.2022 um 16:03 Uhr
        Permalink

        Beim Prozess ging es nicht darum ob die Klage ethisch vertretbar ist. Das Gericht hatte darüber zu entscheiden ob für den Zustand der Tochter und den damit verbundenen Folgen jemand verantwortlich gemacht werden kann und folgte der Argumentation der Klägerin.
        In her judgment ([2020] EWHC 3506 (QB), dated 21 December
        2020 at p.90 in the bundle), Lambert, J. found that the requisite elements in Section 1 of
        the Congenital Disabilities (Civil Liability) Act 1976 were established and that the
        claimant had a lawful claim for damages for personal injury arising from her disability, if she could establish the basis for that claim.

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