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Die Lobby-Organisation von Nestlé, Monsanto, Coca-Cola, Dupont, Danone arbeitet an 17 Standorten © cc

Lobbygruppe nimmt weltweit Einfluss auf Ernährung

Christa Dettwiler /  Ein von Nahrungsmittel-, Pharma- und Agrokonzernen gesponsertes Institut bekämpft Ampelsystem zum Kennzeichnen gesunder Ernährung.

Angesichts rapide steigender Fälle von Fettleibigkeit mit entsprechenden Gesundheitsrisiken plante die indische Regierung letztes Jahr Fertignahrung und verarbeitete Nahrungsmittel mit roten Warnlabels zu kennzeichnen. Mehr als 70 Millionen Menschen sind betroffen. Experten meinen, diese Zahl könnte in den nächsten zehn Jahren auf 123 Mio. steigen, weil immer mehr Menschen zu verarbeiteten Nahrungsmitteln greifen, die viel Fett, Zucker und Salz enthalten.
Doch dann machten mächtige Lobbys ihren Einfluss geltend und die Regierung beugte sich dem Druck grosser Nahrungsmittelkonzerne. Um Kritiker zu besänftigen, berief die Regierung eine Expertengruppe, die das Ampelsystem überprüfen sollte. Der Mann, der dem 3-köpfigen Panel vorstehen sollte, brachte die Gesundheitsfachleute nur noch mehr in Rage. Boindala Sesikeran ist zwar ein erfahrener Ernährungsexperte, aber er ist auch Ex-Berater von Nestlé und ein führendes Mitglied des «International Life Science Institute» ILSI. Hinter dem harmlosen Namen verbirgt sich eine US-Organisation, die heimlich, still und leise die Gesundheits- und Ernährungsbehörden rund um die Welt infiltriert.

ILSI wurde vor vier Jahrzehnten von einer Coca-Cola-Führungskraft gegründet und hat heute Niederlassungen in 17 Ländern. Das Institut wird fast vollständig vom Agribusiness, von Nahrungsmittel- und Pharmakonzernen finanziert. In den 80er- und 90er-Jahren trat ILSI in Europa und in den USA für die Interessen der Tabakindustrie ein. Mittlerweile breitete sich die Lobby-Organisation auch in Asien und Lateinamerika aus, in Gebieten, die für die Nahrungsmittelindustrie von grosser Bedeutung sind.

Auffällig ist die Verflechtung von ILSI mit den Behörden, welche die Auswirkungen von ungesunder Ernährung bekämpfen sollen. So teilt sich das Institut in China Mitarbeitende und Büroräume mit jenen, welche die Epidemie von Krankheiten bekämpfen sollen, die mit Fettleibigkeit zu tun haben. In Brasilien haben ILSI Vertreter Sitze in verschiedenen Ernährungs-Panels inne, die früher Universitäts-Forschenden vorbehalten waren.

Bock zum Gärtner gemacht
Es überrascht nicht, dass Sesikerans führende Rolle im indischen Labeling-Komitee die Frage aufwarf, ob hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht werde. Amit Srivastava, Koordinator des India Resource Center, fragte sarkastisch: «Was kann schon schiefgehen?» Es sei ganz einfach falsch und ein klarer Interessenskonflikt, wenn eine Lobbygruppe für Nahrungsmittel über öffentliche Gesundheit entscheide.

Nicht nur in Indien geraten die Aktivitäten von ILSI, nach Jahrzehnten unter dem Radar, ins Augenmerk von Gesundheitsorganisationen. Das Institut sei nicht mehr als eine Front für die Interessen der 400 Mitglieder, die sein 17-Millionen- US-Dollar-Budget finanzierten, darunter Coca-Cola, DuPont, PepsiCo, General Mills und Danone.

ILSI hat in den 40 Jahren seiner Existenz gezielt Verbündete in Universitäten und Regierungen rekrutiert, etwa durch gesponserte internationale Konferenzen. Es hat auch einflussreiche Wissenschaftler in Komitees berufen, die an Themen wie Nahrungssicherheit, Agrochemie oder probiotische Zusätze arbeiten. Diese Konferenzthemen dienten einem grösseren Zweck, sagen Kritiker: Es ginge primär darum, Wissenschaftler und Offizielle zu kultivieren, die sich sonst nie an Anlässen zeigen würden, die von McDonalds oder Kellogg gesponsert sind.
Fokus auf körperliche Aktivität

Im letzten Jahr haben Recherchen aufgedeckt, wie die China-Niederlassung von ILSI mithalf, Kampagnen gegen Fettleibigkeit zu entwickeln. Dabei wurde der Fokus auf körperliche Aktivität gelegt – eine wichtige Präventionsmassnahme gegen Übergewicht. Dieser Fokus dient der Lobby allerdings dazu, die Essgewohnheiten nicht in Frage zu stellen. Dieselbe Strategie verfolgt Coca-Cola, um, so lautet die Kritik, ihre Gewinnmarge zu erhalten. In Peking sind die Beziehungen von ILSI mit der Regierung so eng, dass die ILSI-Vorsitzenden gleich als ranghohe Beamte von Chinas Behörde für Seuchenkontrolle und -prävention fungieren.

Interner E-Mail-Verkehr: «Gefahr für unser Geschäft»

Laut «New York Times» haben die Autoren einer Studie in den USA dank dem «Freedom of Information Act» E-Mails einsehen können, in denen ILSI-Bevollmächtigte, Geldgeber sowie Verbündete in Universitäten aufgerufen wurden, ihren Kampf gegen die stets härtere Haltung der Weltgesundheitsorganisation zum Thema Zucker zu intensivieren. So heisst es in einer E-Mail von 2015, man müsse mit Margaret Chan, damals Direktorin der WHO, in einen Dialog treten. «Wenn nicht, wird sie uns weiter angreifen, mit signifikanten negativen Konsequenzen auf einer globalen Basis. Die Gefahr für unser Geschäft ist ernst.»

Monsanto gelang es, Glyphosat zu verharmlosen
Zusätzlich zu ihren rund um den Globus operierenden Büros unterhält ILSI auch eine Forschungsstiftung und ein Institut, das auf Gesundheit und Umweltthemen spezialisiert ist. Wichtigste Geldgeberin dafür ist die chemische Industrie. In den letzten zehn Jahren erhielt ILSI mehr als zwei Millionen Dollar von Chemieunternehmen, auch von Monsanto. 2016 kam heraus, dass das Uno-Komitee, das Glyphosat – Hauptingredienz in Monsantos Unkrautvernichter «Roundup» – im Gegensatz zur WHO als «wahrscheinlich nicht krebserregend» deklarierte, von zwei ILSI-Offiziellen geleitet wurde. Einer davon war Alan Boobis, der Vizepräsident von ILSI Europa, der als Konsulent für Chemiefirmen tätig war.
In den letzten Jahren konzentriert sich ILSI mehr und mehr auf Entwicklungsländer. «Das Haupttätigkeitsfeld liegt in den Schwellenländern», sagte Laura A. Schmidt, Professorin für Gesundheitspolitik an der Universität von Kalifornien in San Francisco gegenüber der «New York Times». «Dort ist die Gesundheitsinfrastruktur noch nicht so gefestigt, und die Menschen sind weniger informiert über Gesundheitsrisiken. Wenn Unternehmen da Einfluss gewinnen, können sie die Politik und die Themensetzung rund um ungesunde Produkte bestimmen.»
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Infosperber-DOSSIERS:
Zu wenig Bewegung – zu viel Zucker
Macht und Einfluss von Lobbys
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

keine

Zum Infosperber-Dossier:

Dicke_Jugendliche_EdYourdon

Zu wenig Bewegung, zu viel Zucker

Übergewicht ist eine Zivilisationskrankheit. Heimtückisch ist versteckter Zucker in Fertig-Nahrungsmitteln.

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3 Meinungen

  • am 12.10.2019 um 14:34 Uhr
    Permalink

    Ich beziehe meine Info zwar nur von der Satiresendung «Heute Show», aber in Deutschland scheint es Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zu sein, welche das Ampelsystem lange bekämpft und verzögert hat. Ist sie Teil dieser Lobby oder einfach «nur so» neoliberal?

    Hier in der Schweiz wäre ich auch froh um eine Ampel oder *gross geschriebene* Prozentangaben für Zucker, Salz und Fette.

  • am 12.10.2019 um 16:30 Uhr
    Permalink

    Durch Übergewicht wird die deutsche Wirtschaft um ca. 3 % geschädigt.
    Das entspricht ein Verlust von etwa 1 Millionen Vollzeit Arbeitskräften pro Jahr.

    Durch Druck via Aganda 2010, Hartz4, rasante Ausweitung sachgrundloser Befristung und Zeitarbeit, steigt der Krankenstand in Deutschland seit 2006 kontinuierlich an.
    Das entspricht einen Verlust von ca. 700.000 Vollzeitstellen pro Jahr.

    Übrigens obwohl die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Deutschland, real viel höher sind als z.B. in Norwegen und Schweden, sind diese viel gesünder.
    Deutsche die in Rente gehen sind im Schnitt 6,7 Jahre gesund. Norweger 15 und Schweden sogar 17 Jahre.
    Gesunde Menschen brauchen keine Pfleger, Pflegeheime und nur wenig Ärzte !

    In Japan gibt es in jeder Schule einen Verantwortlichen für Ernährung.
    Der ist dafür verantwortlich, das die Kinder gesund ernährt werden.
    In Gesprächen mit japanischen Ärzten, wurde mir mitgeteilt, das Volkskrankeiten wie «Schaufensterkrankheit», in Japan viel seltener sind.
    In Okinawa sind durch gesunde Ernährung, wenig Stress, Einbindung der Älteren in die Gesellschaft, westliche «Zivilisationskrankheiten» nahezu unbekannt.

  • am 12.10.2019 um 17:01 Uhr
    Permalink

    https://www.annabelle.ch/leben/gesellschaft/dorf-hundertj%C3%A4hrigen-ein-besuch-im-japanischen-ogimi-37542

    "Denn auch mit ihren nun hundert Jahren hatte sich im Grunde nichts verändert. Sie stellte fest: «Hey, ich bin ja noch fit!»
    .
    .
    Die Ernährung ist entscheidend

    Die Gründe dafür sind gut dokumentiert. Über fast vierzig Jahre hat der Kardiologe Makoto Suzuki, selbstschon 82 Jahre alt, beobachtet, was die Ältesten auf Okinawa anders machen. Am wichtigsten sei die Ernährung, sagt er. «Das traditionelle Essen enthält viel Obst und Gemüse und eher wenig Fleisch, Fisch und Eier. Es ist fettarm und kohlehydratreicher als die Gerichte auf dem japanischen Festland.» Zudem gilt das Gebot «Hara hachi bu», das empfiehlt, mit dem Essen aufzuhören, sobald der Magen etwa zu achtzig Prozent gefüllt ist.
    .
    .
    Als bedeutend stärker gewichtet wird insbesondere der soziale Zusammenhalt unter den Ältesten. Für finanzielle Notfälle führen Nachbarn oder Bekannte etwa gemeinsame Kasse. Wer sich gegenseitig hilft, macht sich weniger Sorgen, sagt man hier – und bleibt gesund.
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    Man ehrt die Älteren

    Und es gibt noch ein Merkmal, das Makoto Suzuki in all seinen Studien zur Langlebigkeit auf Okinawa aufgefallen ist: «Nirgendwo in Japan werden die Älteren und die Vorfahren so respektiert wie hier.»"

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