Kolumne Pietro Vernazza

Professor Pietro Vernazza © zVg / ChatGPT

Altersforschung könnte die Zukunft unserer Renten beeinflussen

Pietro Vernazza /  Ein altbewährtes Diabetes-Medikament verlangsamt bei Affen das Altern um rund sechs Jahre. Auch andere Wirkstoffe werden erprobt.

Red. – Professor Pietro Vernazza war bis Sommer 2021 Chefarzt der Infektiologie/Spitalhygiene am Kantonsspital St.Gallen. Ein Gastbeitrag.

Die Idee, das Altern zu verlangsamen, wurde bereits in der Antike verfolgt. Schon immer träumen Menschen von ewiger Jugend.

Die heutige Wissenschaft ist auf diesem Weg vielleicht schon weiter, als wir glauben. Weltweit suchen Wissenschaftler nach Wegen, wie das Altern nicht nur hinausgezögert, sondern vor allem auch wie die Lebensqualität im Alter verbessert werden kann. Ein vielversprechender Ansatz kommt aus der Medikamentenforschung – und ein altes, wohlbekanntes Medikament rückt dabei in den Mittelpunkt: Metformin. Seit über 60 Jahren wird es zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt, doch neuste Forschungsergebnisse (veröffentlicht in «Cell») deuten darauf hin, dass Metformin auch eine Schlüsselrolle bei der Verlängerung der Lebensspanne und der Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten im Alter spielen könnte.

Gehirnschutz durch Metformin

In einer umfassenden Studie untersuchte das Team um Yuanhan Yang von der Uiversität der chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking die Wirkung von Metformin auf das Altern bei männlichen Primaten. Über einen Zeitraum von 40 Monaten erhielten Langschwanzmakaken Metformin. Die Forscher analysierten Veränderungen auf molekularer und zellulärer Ebene und entwickelten sogenannte «Alterungsuhren», die den biologischen Alterungsprozess anhand verschiedener Marker (wie DNA-Methylierung, Genexpression und Proteinprofilen) abbilden. Die Ergebnisse waren beeindruckend: Metformin verlangsamte den biologischen Alterungsprozess der Affen um etwa sechs Jahre, insbesondere im Gehirn.

Ein bemerkenswertes Ergebnis der Studie war die Nerven schützende Wirkung von Metformin. Während das Gehirn im Alter oft schrumpft und die geistigen Fähigkeiten abnehmen, schützte Metformin das Gehirn der Affen vor diesen altersbedingten Veränderungen. Die Grosshirnrinde, insbesondere in Regionen, die für Gedächtnis und geistige Flexibilität verantwortlich sind, zeigte eine geringere Schrumpfung, und die geistigen Fähigkeiten der Affen verbesserten sich.

Die Forscher stellten fest, dass Metformin in der Zelle Schutzmechanismen gegen oxidativen Stress und Entzündungen fördert. Damit werden Entzündungsprozesse reduziert, die den Alterungsprozess beschleunigen.

Effekte in vielen Organen

Neben den Effekten auf das Gehirn zeigte sich, dass Metformin den Alterungsprozess in vielen Organen verlangsamt – von der Haut über die Lunge bis hin zur Leber und den Nieren. Die Ergebnisse legen nahe, dass Metformin auf verschiedenen molekularen Ebenen wirkt, indem es Entzündungen reduziert, die Zellalterung verlangsamt und altersbedingte Gewebeschäden lindert. Chronische Entzündungen gelten als zentrale Ursache des Alterungsprozesses.

Interessanterweise hatte die Langzeitbehandlung mit Metformin bei den gesunden Affen keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel, was es zu einer vielversprechenden Therapieoption für gesunde ältere Menschen macht.

Andere Ansätze zur Lebensverlängerung

Die Forschung an Metformin ist Teil eines breiteren Bestrebens, das Altern zu verlangsamen und altersbedingte Krankheiten zu verhindern. Ein weiteres Beispiel ist die bereits intensiv untersuchte Zellseneszenz, bei der Zellen in einen Zustand übergehen, in dem sie sich nicht mehr teilen, aber weiterhin schädliche Substanzen absondern. Studien zeigen, dass es die Gesundheit im Alter verbessern könnte, wenn alternde, respektive funktionsunfähige Zellen entfernt werden. Es gibt Hinweise, dass Metformin nicht nur das Altern auf molekularer Ebene beeinflusst, sondern auch die Ansammlung solcher Zellen im Alterungsprozess verhindert.

Ähnliche Ansätze werden auch bei anderen Medikamenten erforscht. Rapamycin, ein Immunsuppressivum, hat in Tierstudien gezeigt, dass es die Lebensspanne verlängern kann.

Die Forschung an diesen Medikamenten könnte letztlich zu einer revolutionären Veränderung in der Medizin führen, indem nicht nur Krankheiten behandelt, sondern das Altern selbst als «krankheitsähnlicher» Prozess betrachtet wird.

Mehr Lebensqualität im Alter

Es geht bei der Erforschung von Metformin und anderen Anti-Aging-Strategien jedoch nicht darum, das Leben zu verlängern. Vielmehr steht die Lebensqualität im Vordergrund. Länger zu leben ist nur dann erstrebenswert, wenn die zusätzlichen Jahre in körperlicher und geistiger Gesundheit verbracht werden können. Die beschriebene Arbeit in der Zeitschrift «Cell» lässt vermuten, dass es nicht nur möglich ist, das Altern zu verlangsamen, sondern auch die geistige Fitness im Alter zu erhalten. Solche Resultate dürften der Altersforschung Aufschwung verleihen.

All diese Fortschritte werfen jedoch Fragen auf: Sollten wir tatsächlich in der Lage sein, das Altern deutlich zu verlangsamen, könnte dies auch Auswirkungen auf unsere Altersvorsorge haben. Wenn die Lebenserwartung durch solche medizinischen Fortschritte plötzlich drastisch steigt, könnte das die Finanzierung unseres Rentensystems erheblich belasten. Länger zu leben bedeutet, dass die Renten über einen viel längeren Zeitraum gezahlt werden müssten. Dies ist eine Herausforderung, der sich Gesellschaft und Politik in naher Zukunft werden stellen müssen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Senioren Paar.monkeybusiness.Depositphotos

Die Zukunft der AHV und IV

Die Bundesverfassung schreibt vor, dass die AHV- und IV-Renten den Existenzbedarf angemessen decken müssen.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden

Eine Meinung zu

  • am 7.10.2024 um 20:47 Uhr
    Permalink

    Sehr spannender Beitrag, allerdings ist Metformin schon heute z.B. in den USA das zweitmeist verschriebene Medikament mit ca. 90 Millionen Rezepten pro Jahr, d.h. der Alterungsnutzen wäre bei vielen Menschen schon da, wenn auch nicht bei den völlig Gesunden ohne Diabetes etc.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...