Alle sind schuld – nur nicht die Krankenkassen
Es ist schon erstaunlich: Martin Landolt, Verwaltungsratspräsident des Krankenkassenverbandes Santésuisse, sagte der Berner Zeitung: «Die CEO-Löhne entsprechen einem Viertelpromille der Kosten der obligatorischen Krankenversicherung.»
Einen Tag später liess Visana-Chef Angelo Eggli der Berner Zeitung ausrichten, «dass die Saläre aller CEOs aller Schweizer Krankenkassen nur einen marginalen Anteil von 0,025 Prozent an den gesamten Kosten im Gesundheitswesen ausmachen.»
Es klang, als hätten sie sich abgesprochen.
«Bestenfalls ein Franken»
Landolt sagte der Berner Zeitung auch: «Würden die CEO gratis arbeiten, würde das pro Prämienzahler jährlich bestenfalls einen Franken ausmachen.»
Verena Nold, Direktorin von Santésuisse, meinte gegenüber der Konsumentenzeitschrift Saldo: «Wenn sie nur die Hälfte verdienen würden, hätte das auf die Prämien fast keine Auswirkung.»
Es klang wieder, als hätten sie sich abgesprochen.
«Kasse wechseln»
Landolt sagte: «Wer unzufrieden ist oder sich am Lohn eines CEO stört, kann die Kasse wechseln.»
Nold: «Wer sich über ein Salär ärgert, kann ja zu einer anderen Krankenkasse wechseln.»
Es klang abermals, als hätten sie sich abgesprochen.
Doppelt so viel wie ein Bundesrat
Offenbar herrscht bei den Krankenkassen eine gewisse Nervosität. Die Verantwortlichen scheinen registriert zu haben, dass der Unmut angesichts der ständig steigenden Prämien wächst. Und dass das Verständnis für Cheflöhne, die doppelt so hoch sind wie ein Bundesratslohn, fehlt. Sogar die SVP hat die Krankenkassen zum Thema gemacht – wenn auch erst nach den Wahlen.
Die Nervosität scheint so gross zu sein, dass Santésuisse unsauber argumentiert. Der Krankenkassenverband hat nach eigenen Angaben 2021 «die Geschäftsberichte von sechs grossen Versicherern» analysiert. Welche das sind – das sagt Santésuisse nicht.
Deshalb hat Infosperber selber nachgerechnet. Und zwar anhand der Zahlen der sechs grössten Krankenkassen und zweier kleiner. Das Ergebnis:
- Bei der damals grössten Krankenkasse, der Assura, machte 2021 der CEO-Lohn (767’334 Franken) in der Tat um die 0,25 Promille des Prämienvolumens aus der Grundversicherung aus. Oder 82 Rappen pro Grundversicherten. Also genau so, wie es Martin Landolt sagt.
- Bei der sechstgrössten Krankenkasse, der Sanitas, betrug der Cheflohn 955’247 Franken. Das waren dann aber fast 0,5 Promille der Grundversicherungs-Prämien. Oder 1.78 Franken pro Versicherten.
- Und bei der Einsiedler Krankenkasse machte der Lohn des CEO (151’769 Franken) um die 10 Promille aus. Oder 34.55 Franken pro Versicherten.
Das heisst: Bei den ganz grossen Kassen stimmt die Behauptung von Martin Landolt — dass der Cheflohn «bestenfalls einen Franken» ausmache. Aber bereits bei der sechstgrössten Krankenkasse, der Sanitas, ist es das Doppelte. Und bei kleineren Kassen ein Vielfaches.
67 Franken für die Chefetage
Aber die Krankenkassen beschäftigen ja nicht nur CEOs, sondern ganze Geschäftsleitungen. Beaufsichtigt werden sie von Verwaltungsräten. Auch sie verrichten ihre Arbeit nicht gratis. Nimmt man diese Zahlen, dann ergibt sich folgendes Bild:
- Assura-Versicherte zahlten 2021 3.79 Franken für die Löhne der Geschäftsleitung und die Honorare des Verwaltungsrats.
- Sanitas-Versicherte mehr als das Doppelte.
- Und Einsiedler-Versicherte sogar 67.08 Franken.
Die Löhne der Krankenkassen-Geschäftsleitungen und -Verwaltungsräte kosten uns wohl über 100 Millionen Franken jährlich. Nicht mitgerechnet sind bei diesen Kosten die Heerscharen an Revisoren und Maklern, die davon profitieren, dass es in der Schweiz um die 50 Krankenkassen gibt.
Assura und Sanitas argumentieren gegenüber Infosperber damit, dass die Krankenkassen-Chefs ja nicht nur für die Grundversicherung arbeiten würden, sondern auch für die Zusatzversicherungen. Dass also die Ausgaben für Cheflöhne pro Versicherten geringer ausfallen würden. Nur lassen sich diese Lohnanteile nicht sauber auseinanderhalten. Und vor allem: Santésuisse spricht bei den Berechnungen stets von «den Kosten der obligatorischen Grundversicherung». Deshalb rechnet Infosperber auch so.
Irgendwo anfangen
Natürlich sind Cheflöhne und Werbeausgaben nicht die grossen Kostentreiber im Gesundheitswesen. Aber wenn Kosten gesenkt werden sollen, dann muss man irgendwo anfangen. Woran das Gesundheitswesen krankt, hat Infosperber Mitte Oktober aufgezeigt.
Ebenfalls nicht mitgerechnet sind die Werbe- und Sponsoringausgaben. Aber wie sagt doch Santésuisse-Direktorin Verena Nold: Hier liessen sich nur 0,2 Prozent der Prämien einsparen. Wieder in Franken ausgedrückt, sind das rund 73 Millionen – oder gut 8.43 Franken pro Kopf.
Doch auch hier sagt Nold: «Wen das stört, der kann zu einer Krankenkasse gehen, die keine Werbung und kein Sponsoring macht.»
Wer den Krankenkassen-Vertretern diesen Herbst zuhört, der erfährt: An den steigenden Prämien sind sicher nicht die Krankenkassen schuld. Es sind immer die andern. Laut Visana Chef Angelo Eggli: «Die demografische Entwicklung, die Mengenausweitung und die politisch verursachten Fehlanreize.»
Santésuisse-Chefin Verena Nold stösst ins gleiche Horn: «Es sind die Gesundheitskosten, welche die Prämien hochtreiben.»
Es klang, als hätten sie sich abgesprochen.
«Es steht im Geschäftsbericht»
Gegenüber der Konsumentenzeitschrift Saldo sagte Santésuisse-Direktorin Verena Nold, wie im Haupttext erwähnt: «Wer sich über ein Salär ärgert, kann ja zu einer anderen Krankenkasse wechseln.» Und sie lieferte auch gleich noch einen Tipp: «Wie viel jemand erhält, steht im Geschäftsbericht.»
Der Tipp ist eine Zumutung. Denn manche Krankenkassen verstecken die Geschäftsberichte auf ihren Websites so, als gälte es ein Geschäftsgeheimnis zu wahren. Besonders gut ist das der Sanitas gelungen. Trotzdem kann Infosperber sagen, dass deren Chef Andreas Schönenberger letztes Jahr 956’486 Franken kassiert hat. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was ein Bundesrat erhält. Auch die Chefs der anderen grossen Krankenversicherer kassieren mehr als ein Bundesrat.
Übrigens: Die Krankenkassen nennen das Geld, das die Chefs erhalten, nicht etwa Lohn, sondern manchmal Vergütung, meistens aber Entschädigung. Fast möchte man fragen: Wo haben diese Leute einen Schaden?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Einmal mehr: Danke an Infosperber für das Durchleuchten der – ich kann es nur immer wiederholen – kranken Kassen. Wenn es eine Einheitskasse geben wird (und sie wird nicht zu verhindern sein), dürfte das vor allem den heutigen Kaderleuten und sehr, sehr, sehr vielen Werbeleuten und dem ganzen Pulk von Dienstleistern, der sich an den Prämien ebenfalls mästet, ziemlich sauer aufstossen. Man stelle sich vor, dass sich diese Gesundheitsindustriellen dann nur noch um die angeblich lukrativen Zusatzversicherungen prügeln dürften. Ganz nach dem neoliberalen Credo Mehr Freiheit weniger Staat. Also das Private den Privaten und das Allgemeine der Allgemeinheit. Hei, wird das ein Spass werden im neolibealen Wunderland Schweiz! Und man darf jetzt schon Wetten eingehen, wieviele Kassen und Kässeli diese Operation überleben werden.
Irgendwo anfangen heisst, auch bei sich selbst anfangen. Nicht wegen Kleinigkeiten zum Arzt rennen. Einiges kuriert sich von selbst wieder aus. Man kann keine Vorschriften machen, und es haben auch nicht alle Leute gleich viel Glück mit der Gesundheit.
Überrissene Löhne und Boni sind ohnehin gestohlenes Geld.
Wo sonst kann man in der Schweiz völlig risikolos ein derartiges Traumsalär wie als CEO einer grossen Krankenkassen verdienen? Einen überrissenen Lohn in Promille der Gesundheitskosten zu erklären ist völlig stillos und ein Hohn gegenüber jedem Prämienzahler.
Leider ist das nicht die ganze Rechnung. Wenn der oberste Chef eine Million bekommt, werden auch die Untergebenen in der nächst unteren Stufe viel zu viel erhalten. Dass wir über 50 kranke Kassen haben deutet darauf hin, dass keine Konkurrenz herrscht. Jede Kasse kann verlangen, was sie will. Die Versicherten haben gar nichts zu sagen. Das muss geändert werden.
Leider liessen sich eine Mehrheit der Wählenden bei der Einheits-Krankenkasse-Initiative über’s Ohr hauen und lehnten diese ab. Alle rechtsbürgerlichen Parteien gaben die Nein Parole raus.
Ja, das ist störend – mehr aber nicht. Wo richtig gespart würde, liegt längst auf dem Tisch: Reduktion des Leistungskatalogs (mir von mehreren Ärzten spontan bestätigt, aber Alain Berset stemmte sich dagegen, wie er selbst in Interviews bestätigte) Reduktion der Anzahl Spitäler (der Kanton Bern hat soviele Spitäler wie ganz Schweden) und Hausarzt-Pflicht, damit das «Ärzte-Hopping» aufhört. Das würde weit mehr bringen als die Reduktion der Chef-Saläre.
Was soll die Kennzahl «CEO-Salär/…» aussagen? Ich finde es unerhört, wie schlecht unser «Gesundheitssystem» geführt wird. Das fängt bei BR Berset an, geht über BAG, Parlament und endet wohl in der Pharmaindustrie. 1994 habe ich bemerkt, dass die Pharmaindustrie nur zwei Interessen an mir hat: «nicht kerngesund» und «noch nicht tot». Schön in der Schwebe ist gut fürs Business. Es braucht Menschen mit Rückgrat. Sonst ändert sich nichts und die Schweiz zerfällt. Es braucht natürlich auch Medien, die den Franken wert sind – im Bereich «Leitmedien» herrscht eklatanter Mangel. Das ist ein sehr grundlegendes Problem für eine direkte Demokratie. Aufwachen. Bitte. Alle. An die Schreib-Arbeit.