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Der deutsche Philosoph Immanuel Kant wurde vor bald 300 Jahren geboren. Als Theoretiker der Weltfriedensordnung ist er noch heute hoch aktuell. © Wikimedia Commons / Reclam

Wider den neuen Zeitgeist: Wege zu «ewigem Frieden»

Hans Steiger /  Kants philosophischer Entwurf als geistige Medizin gegen Militarismus. Ein willkommener Denkanstoss, zwei lohnende Lektüren.

Der kommende 300. Geburtstag von Immanuel Kant bringt auch seinen philosophischen Entwurf für eine friedliche Welt wieder ins Gespräch. Motiviert und ermutigt, mich mit ihm zu befassen, wurde ich durch einen Text von Jakob Tanner – erschienen Ende letzten Jahres in der militärwissenschaftlichen Zeitschrift «stratos» in der «Friedenszeitung». Dort wies der Historiker auf die Aktualität der auf «ewigen Frieden» gerichteten Schrift des deutschen Aufklärers hin. Sie sei «bis heute ein intellektuelles Gegengift gegen Kriegsverehrer».

Überraschend verständlich

Kant? Wohl sehr schwere Kost. Aber ein schmales Reclam-Bändchen sollte zu schaffen sein. Eine ideale Einführung bot Claudia Blöser in der «100 Seiten»-Serie. Sie selbst habe «nie eine Zeile Philosophie gelesen», bis sie als Abiturientin auf «Kant für Anfänger» stiess und sich auf etwas einliess, das nach dem Umweg über ein Physikstudium zur intensiven akademischen Beschäftigung mit diesem Denker führte. Dessen berühmte vier Fragen hätten sie nie mehr losgelassen: «Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?» So allgemein, so umfassend! Wie nur konnte einer sich anmassen, darauf gültige Antworten zu geben?

Die nun «mit Schwerpunkt Ethik» an der Uni Augsburg wirkende Philosophieprofessorin skizziert Leben wie Werk überraschend verständlich und so, dass Kants aufklärerischer Anspruch die logische Konsequenz seiner persönlichen Entwicklung zu sein scheint. Hier wollte einer, der selbst aus eher einfachen Verhältnissen kam, eine Welt im Umbruch von seinem Ort aus besser erfassen und sie nach Möglichkeit besser machen. Auch attraktive Angebote vermochten den zunehmend einflussreichen Gelehrten nie aus der Heimatstadt zu locken. Königsberg liesse sich durchaus «als multikulturell und kosmopolitisch bezeichnen», fügt Blöser an. Kant habe kein «provinzielles Leben» geführt. Doch zum Schlussteil, wo sie «Aufklärung damals und heute» vergleicht, kommen auch seine Schwächen ins Blickfeld. War er Rassist? Diesbezüglich sei er zum Teil «einer falschen wissenschaftlichen Theorie aufgesessen», wie viele andere, habe aber seine Meinung spätestens beim Nachdenken über globale Gemeinschaften und «Weltbürgertum» geändert. Bei seinen Vorurteilen gegenüber Frauen blieb er resistenter.

Grund genug, ihn vom Podest zu stossen? Erinnernswert sei, was an Bedeutendem vorliegt, meint die Autorin. Zudem ist «Kritik» in vielen seiner Schriften bereits im Titel das zentrale Stichwort. «Kant zeigt mit seinem Scheitern bei der konsequenten Anwendung seiner eigenen Grundideen, dass das Selbstdenken fehleranfällig ist und die Ergebnisse deshalb immer wieder hinterfragt werden müssen.» Aufklärung sowie das Wagnis, sein Wissen danach wirklich zur Befreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu nutzen, setzt ein Selbstdenken voraus. «Insbesondere die digitale Welt ist voller Versuchungen, das ‹verdriessliche Geschäft› des eigenen Nachdenkens doch lieber einzustellen.» Dagegen könnte die Auseinandersetzung mit Kant ein Übungsfeld sein.

Nicht nur idealistisches Idyll

Seine intensive Beschäftigung mit möglichen Wegen zu dauerhaftem Frieden belege, dass der bereits etablierte Professor «lebhaften Anteil am politischen Geschehen seiner Zeit» nahm. Dazu gehörte Mut; es gab Probleme mit der Zensur. Denn das hohe Ziel, so machte er deutlich, erfordere klare rechtliche Voraussetzung, eine föderale Verfassung, auch Gerechtigkeit und den Schutz gegen Willkür, nicht zuletzt von mächtigen gegen schwächere Staaten. Letzteres liess Kant zum ideellen Wegbereiter der später mit dem Völkerbund sowie der UNO geschaffenen Institutionen werden. Anderes kam dem jetzt geläufigen Modell der repräsentativen Demokratie nah. Obwohl ihn das revolutionäre Geschehen in Frankreich faszinierte, waren ihm gewaltsame Umstürze nicht geheuer. Darum, so die Formulierung seiner jungen Kollegin, zog er «als Motor des politischen Fortschritts jede allmähliche Reform der unberechenbaren Revolution vor». Anarchie sei schlechter als jede staatliche Ordnung. Unmissverständlich war seine Ablehnung von Sklaverei; koloniale Landnahme widerspreche dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Ich habe danach zum sprachlich «behutsam» angepassten Originaltext gegriffen und auch da durchaus nachvollziehbare Argumentationen und schöne Wendungen gefunden. Rudolf Malter trug im Nachwort zum Verstehen bei. Von ihren natürlichen Bedingungen her sind Menschen durch «ungesellige Geselligkeit» miteinander verbunden. Vernunft und Moral könnten das Gegeneinander bändigen. Krieg wäre zu vermeiden, würden wirklich die Völker entscheiden. Denn sie hätten ja dort, so Kant, «zu fechten, die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben» sowie «die Verwüstung, die er hinter sich lässt, kümmerlich zu verbessern». Für sie müssten «moralische Politiker», die jedoch nicht mit opportunistischen «politischen Moralisten» zu verwechseln seien, wieder Frieden stiften und Schritt für Schritt gute Friedensbedingungen schaffen, die Rückfälle vermeiden.

«Zum ewigen Frieden», also zum Titel seiner Schrift, kam Kant über ein Wirtshausschild, «worauf ein Kirchhof gemalt war». Ob der Gastwirt «diese satirische Überschrift» auf jene Staatsoberhäupter bezog, «die des Krieges nie satt werden können», oder ob sie gar Philosophen gelte, «die jenen süssen Traum träumen», liess der Autor bei diesem verblüffend lockeren Einstieg in den ernsten politischen Entwurf anno 1795 offen. Traurig, ja tief tragisch, dass die Menschheit auf dem vor mehr als zwei Jahrhunderten skizzieren Weg auch nach zwei Weltkriegen nicht weiter vorankam. Denn je länger je mehr gilt, was Kant als Alternative beschworen hat: «…dass ein Ausrottungskrieg, wo die Vertilgung beide Teile zugleich und mit dieser auch alles Rechts treffen kann, den ewigen Frieden nur auf dem grossen Kirchhofe der Menschengattung statt finden lassen würde.»

  • Claudia Blöser: Immanuel Kant. Reclam 2023, 105 Seiten, 10 Euro
  • Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. Reclams Universal-Bibliothek. 112 Seiten, 5.20 Euro

Dieser Text erscheint auch in der P.S.-Frühjahrs-Buchbeilage


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Keine
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Eine Meinung zu

  • Portrait_Werner_vanGent_2016
    am 24.02.2024 um 19:31 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank für den ausgezeichneten Artikel! Schade nur, dass Sie nicht auch noch ein drittes, ebenso erhellendes und ebenso verständlich geschriebenes Buch erwähnt haben: «Immanuel Kant – Der Magier der Vernunft in 24 Episoden» von Jürgen Wertheimer. Er führt die Leserschaft mit 24 wunderbaren Geschichten durch das semantische Labyrinth des schrulligen Professors aus Königsberg. Damals, an der Uni, habe ich meine Zähne an Kant ausgebissen. Heute, im Kantjahr, wird es den Studierenden leicht gemacht – vorausgesetzt, sie interessieren sich noch für die Aufklärung…

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