Kommentar
Unsterbliches Strebertum
«Ihr verfluchten Racker*, wollt ihr denn ewig leben?», soll Friedrich der Grosse seine Soldaten angebrüllt haben, als diese 1757 nach verlorener Schlacht gegen Österreich bei Kolin das Weite suchten. Der zornige Preussenkönig brachte damals im Siebenjährigen Krieg mit seinem bekannten Zitat die Unsterblichkeit ins Gespräch, was heutzutage wieder hochaktuell ist – aus zwei völlig verschiedenen Warten.
Zum einen in der Medizin, wie kürzlich eine hochkarätige Veranstaltung an der EPF Lausanne offenbarte. Spitzenleute aus Politik, Bundesverwaltung, Medien und vor allem Wissenschaft zelebrierten im Rahmen des «Salon Planète Santé» die Fortschritte in der Krebsforschung. Der Anlass (24.11.) bot ein eindrückliches Plädoyer für die Immuntherapie. Meist effektiver als die herkömmlichen Behandlungstypen wie Chirurgie, Chemotherapie und Bestrahlung, ist die Immuntherapie zur Hoffnungsträgerin der Krebsbekämpfung geworden. Speziell die personalisierte Methode gilt heute als Schlüssel zur endgültigen Heilung der tödlichen Tumoren. Anhand genetischer Daten können dabei massgeschneiderte Wirkstoffe produziert werden, die das körpereigene Abwehrsystem ankurbeln und die Krebszellen nachhaltig zerstören.
Bereits sind bei Lungenkrebs eindrückliche Erfolge erreicht worden, noch sprechen aber zu wenig Patienten darauf an. Die Forschung muss also weiter voraneilen, um das ersehnte Wundermittel gegen die gewichtigste Zivilisationskrankheit bald zu finden. Grosse Erwartungen seitens öffentlicher und privater Geldgeber lasten auf Koryphäen wie Professor George Coukos, rastlos tätig an der Universität Lausanne, dem Waadtländer Unispital (CHUV) und am Ludwig Institut für Krebsforschung. Über all diesen extrem kostspieligen Plänen blitzt immer wieder der unsterbliche Mensch auf. Neuerdings lassen sich Erkrankte nach ihrem Tod sogar einfrieren, um später (wenn eine Therapie wirkt) wieder zum Leben erweckt zu werden (TA, 29.11.).
Saftige Ohrfeige für die Wissenschaft
Während die Medizin zwar viel verspricht, aber auch mit Erfolgen glänzt, muss die Wissenschaft andernorts eine saftige Ohrfeige einstecken. Darwins Evolutionstheorie sei der grösste Irrtum, verkündet die rasant wachsende Gefolgschaft der Kreationisten in den USA. So vertritt Mike Pence, designierter Vizepräsident und bibeltreuer Evangeliker, ein Weltverständnis des finstern Mittelalters. Er bekämpft Abtreibung, Frauenkliniken, Homosexualität und vergibt derzeit Hunderte von Regierungsjobs (Spiegel online, 09.12.). Gemäss den Kreationisten ist das Universum und mit ihm der Mensch vom Allmächtigen erschaffen worden, in einem «besonderen Akt göttlicher Schöpfung». Hier gilt ebenso der Glaube ans Unsterbliche, freilich nicht auf Erden, jedoch in Himmel oder Hölle. Offizielle Schulbücher sollen solche Legenden künftig weiterverbreiten, angesagt ist «lebensfrohes Lernen»! Als Kandidat für den höchsten Posten im US-Erziehungsministerium kursiert der Name von Jerry Falwell Jr. (Independent, 21.11.), Sohn eines bekannt-berüchtigten Baptistenpredigers und Präsident der christlichen Liberty-Privatuniversität (mit «kreationistischer Biologie» als Pflichtfach). Falwell Jr. gilt als Hardliner-Kreationist, mein Gott!
Verlust von Verstand und Aufklärung
Noch ist Europa von solch rückwärtsgewandten Religionsströmungen weniger betroffen, doch auch bei uns erhalten erzkonservative Bewegungen starken Aufwind. Man schaue nach Frankreich, wo François Fillon, erklärter Abtreibungsgegner und frommer Eiferer, unverhofft als chancenreicher Anwärter für das Amt des Staatspräsidenten auferstanden ist.
Das Streben nach Unsterblichkeit kostet uns in der Medizin ein Heidengeld (wir wollen letztlich alle davon profitieren!), in der Religion jedoch den Verstand, das bedeutet den Verlust der Aufklärung. Wissenschaft kämpft heute erneut gegen fundamentalistische Glaubenslehren, vernunftbetontes gegen sogenannt gottgegebenes Leben. Willkommen zurück in der geistigen Frühzeit! Wer will da eigentlich ewig leben?
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*Racker: mittelniederdeutsche Bezeichnung für den Beruf des Abdeckers (oder Schinders), der Tierkadaver beseitigt und verwertet.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist des «Tages-Anzeiger» Beat Gerber war bis Februar 2014 Öffentlichkeitsreferent der ETH Zürich. Er publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i», auf der diese Glosse erschien.
Beat Gerber hält das Mittelalter für finster. Ich halte eher das 18. Jahrhundert für finster. Weder unter dem Absolutismus noch unter dem Jakobinertum möchte ich gelebt haben, dann doch lieber als Handwerker in einer mittelalterlichen Stadtgemeinde oder als Pächter auf einem Klosterhof.
Die «Aufklärung» besteht anscheinend darin, dass die Hoffnung auf eine persönliche bessere Zukunft im Jenseits abgeschafft wurde und dann durch die Hoffnung auf eine kollektive bessere Zukunft im Diesseits ersetzt werden sollte – ein reichlich dürftiger Ersatz. Dass sich daran jemand klammert, der sonst nichts hat, verstehe ich. Dass er sich damit noch brüstet, eigentlich nicht.
Unsterblichkeit die Homöopathie nicht versprechen, doch eine effiziente und kostengünstige Behandlung schon.
Sie ist jedenfalls bei Volksseuchen wie Asthma, Diabetes, Krebs und Arthrosen sehr effektiv wirksam. Dabei meine ich die personenzentrierte klassische Homöopathie,
anders auch als Konstitutionstherapie bezeichnet.
Jedenfalls wird die Qualität des Lebens mit Homöopathie stark verbessert