Sportswashing: Das saubergekaufte Image
Eine Fussball-WM in einem Land, das Homosexualität unter Strafe stellt, Frauenrechte missachtet, den Tod von Gastarbeitern in Kauf nimmt und Peitschenhiebe als Strafe verhängt, ist für das westliche Ethikkostüm wirklich grenzwertig. Entsprechend heftig wird darüber diskutiert, ob man der Fussball-WM der Männer in Katar die Aufmerksamkeit entziehen soll.
Kann man das noch gucken?
Ja, fand der deutsche SPD-Politiker Sigmar Gabriel: Homosexualität sei in Deutschland bis 1994 ja auch strafbar gewesen. Katar brauche einfach Zeit, alles andere sei deutsche Arroganz. Selbstredend gab es ausführliche Widerworte. An Peitschenhiebe für Homosexuelle könne er sich nicht erinnern, schrieb beispielsweise ein Genosse. Gabriel sitzt im Aufsichtsrat der Deutschen Bank, acht Prozent der Aktien hält Katar, dessen Gas Deutschland gerade dringend braucht.
Nein, sagen Fans grosser deutscher Fussballclubs wie FC Bayern München und Hertha BSC oder auch die SP-Nationalrätin Min Li Marti und die JUSO.
Eh egal, sagte der Sportökonom Wolfgang Maennig von der Universität Hamburg zum RND. Für einen Boykott sei es längst zu spät. Abschalten würde sich kaum auswirken.
Warum sind Sportevents für ein Land attraktiv?
Der Vorwurf an Katar in einem Wort: Sportswashing. Nichts Neues, genaugenommen. Staaten, Autokraten, Unternehmen und auch Einzelpersonen versuchen schon immer, ihr Image durch Sportereignisse aufzubessern.
Gemeinschaftsgefühl, Völkerverständigung, Fairness und eindeutige Regeln – das gibt ein gutes Bild ab. Speziell dann, wenn es damit nicht gut aussieht im Land drumherum oder in der Vita des Sponsors. Das wussten und wissen Regierungsoberhäupter von Adolf Hitler bis Xi Jinping und Unternehmen von Airlines bis Big Oil. Sport zählt zur «Soft Power» einer Nation.
Was genau ist «Sportswashing»?
Sportswashing ist, per Definition, «die Praxis, den eigenen Ruf durch Sport zu waschen» oder die «Bestrebung, das Ansehen des eigenen Landes durch die Veranstaltung von Sport-Events und deren positive Reputation in den Medien zu verbessern». Auch für Unternehmen, die sich eine positive Darstellung erhoffen, wie derzeit die Öl- und Gasindustrie.
«Global Sport Matters» hält es mit dem Begriff «Reinwaschen», n-tv geht es mehr um das Geld, das bewegt wird, um sich Sportveranstaltungen zu sichern. Wikipedia hat eine lange Liste von Veranstaltungen, in die aus Imagegründen investiert wurde, geordnet nach Sportart. Am längsten sind die Listen für Fussball und Rugby.
Was Greenwashing, also das Vortäuschen von Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit, durch Sport ist und was Sportswashing, sei im Einzelfall schwer zu unterscheiden, sagen Sportexperten. Die Unterscheidung sei womöglich eine akademische, findet der «Deutschlandfunk». Er gibt zu bedenken, dass auch die Grenze zu Sponsoring und PR fliessend sei, wenn es zum Beispiel um die schlechte Umweltbilanz des Motorsports gehe. 64 Prozent der Sponsorengelder der Automobilindustrie fliessen in den Sport, fand eine Untersuchung im letzten Jahr.
Wie viel kostet das alles?
Am häufigsten in Sport investieren die Golfstaaten, die sich in den letzten Jahren hochkarätige Veranstaltungen sicherten. Saudi-Arabien habe sich das sportliche Image 1,5 Milliarden Dollar kosten lassen, zählte der «Guardian» letztes Jahr auf. Betroffen seien Sportarten von Schach bis Golf.
Die olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 kosteten 51 Milliarden Dollar, die WM in Katar wird von «Forbes» auf mindestens 150 Milliarden Dollar geschätzt.
Fällt das jetzt erst auf?
Sportswashing fällt nicht erst jetzt auf. Kritik gab es auch schon bei den olympischen Winterspielen 2022 in China und 2014 in Russland. Genauso regelmässig verstummt sie ausserhalb der an Sport interessierten Kreise wieder. Golfer, Motorsportler und Tennisspieler fliegen schon länger regelmässig in die Golfstaaten. Handball, Schwimmen, Boxen, Radsport und Schwimmen sind auch schon da. Fussballclubs, die dubiosen Investoren gehören, gibt es einige.
Der Krieg in der Ukraine änderte vor kurzem die Sichtweise. Der Oligarch Roman Abramovich, dem der englische Fussballclub FC Chelsea gehörte, sah sich gezwungen, den Club zu verkaufen, nachdem sein Vermögen in Folge des Ukrainekriegs eingefroren worden war.
Eine grosse Ausnahme ist der Geschäftsmann nicht. Andere englische Clubs gehören oder gehörten Offiziellen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Gazprom finanzierte in grossem Umfang Sportler und Sportveranstaltungen.
Was sagt Katar?
Katar weist auf Reformen hin, die das Land während des letzten Jahres angestossen hat, um die Lage von Arbeitsmigranten zu verbessern. Diese richten sich zum Beispiel gegen das Kafala-System, das Menschen praktisch versklaven kann. Das reiche nicht aus, kritisiert «Amnesty International».
Frauen, die während der WM in Katar vergewaltigt werden, würden nicht angezeigt, legte das Land kurz vor Beginn der WM fest. Das gehe aus einem Dokument für Polizei und Sicherheitspersonal in Katar von Anfang November hervor, berichtete zuerst der «Blick». Ausserdem wird vorübergehend nicht festgenommen, wer eine Regenbogenfahne schwenkt.
Noch im Februar musste eine Frau aus dem Fifa-Organisationskomitee fliehen, weil ihr 100 Peitschenhiebe und sieben Jahre Gefängnis für «ausserehelichen Geschlechtsverkehr» drohten. Die Mexikanerin hatte einen Kollegen wegen Vergewaltigung angezeigt. Und der bisher einzige offen homosexuelle Katarer bat 2015 um Asyl in den USA.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Warum wird konsequent verschwiegen, dass Katar seit 2015 am Aggressionskrieg im Jemen beteiligt ist?