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Der grösste Teil der weggeworfenen Kleidung ist weder kaputt noch passt er nicht, er ist schlicht «out». © rawpixel

Slow Fashion statt Fast Fashion – ein Weg aus der Textilkrise

Daniela Gschweng /  Gegen den aus dem Ruder gelaufenen Textilmarkt helfe nur bremsen. Und weniger Kunstfaser. «Weniger ist mehr», sagt Public Eye.

Eine neue Kollektion alle paar Wochen. Mickrige Löhne. Ausbeutung. Riesige Müllberge aus Kleidungsstücken, die teilweise nie getragen wurden. Dazu ein riesiger Wasserverbrauch, hohe Klimabelastung, viele Chemikalien – im Bekleidungsmarkt knirscht es an so vielen Stellen, dass man kaum weiss, wo mit Kritik anfangen. Und schon gar nicht, wie man aus diesem überdrehten System wieder herauskommen kann.

«Weniger. Langsamer. Anders», sagt «Public Eye». In ihrem im Dezember 2024 erschienenen Report «One-Earth Fashion» zerlegt die Schweizer Organisation den Textilmarkt mit Hilfe vieler Fachpersonen in seine Bestandteile. Der Report will aufzeigen, wie sich das Modekarussell stoppen lässt.

Slow Fashion statt Fast Fashion

Wenn wir beispielsweise jedes Kleidungsstück doppelt so lange tragen würden, wäre der Materialverbrauch nur noch halb so gross. Dafür müsste auch niemand in Lumpen gehen. Die meiste Kleidung wird nicht deshalb weggeworfen, weil sie nicht mehr passt oder kaputt ist, sondern weil sie nicht mehr modisch ist.

«Die Industrie muss langsamer werden», erklärt David Hachfeld, Fachverantwortlicher der Clean Clothes Campaign bei Public Eye auf einem Online-Panel, das Public Eye begleitend veranstaltet. Der Markt würde dabei nicht kleiner, sondern grösser.

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Würden wir unsere Kleidung doppelt so lange tragen, könnten wir denselben Mehrwert mit weniger als halb so vielen Ressourcen erzeugen.

Die masslose Kleiderproduktion verhindert Lösungen

Das ist nur einer der Gesichtspunkte, mit dem der Report sich beschäftigt, der 36 Punkte in 12 Bereichen thematisiert. Eines der Hauptprobleme ist die schierere Menge Kleider, die jeden Tag produziert wird. Das Marktvolumen müsse unbedingt schrumpfen, sagt Irene Maldini, die an mehreren Universitäten zu Kleidung und Nachhaltigkeit geforscht hat. «Je mehr, desto besser», sagt sie. Für realistisch machbar hält sie 10 Prozent pro Jahr. Verkleinere sich die masslose Produktionsmenge nicht, sei es auch kaum möglich, Probleme wie Menschenrechtsverletzungen, Umweltverschmutzung oder Vermüllung anzugehen.

Die Art, wie mit Kleidung umgegangen werde, müsse sich ebenfalls ändern. Etwa, indem Kaputtes geflickt oder repariert werde. Oder ganz grundsätzlich, indem wir den Stellenwert unserer Kleidung überdenken. Wer habe denn heute noch eine emotionale Beziehung zu bestimmten Kleidungsstücken?

Textilmarkt wächst nur wegen Polyester

Ändern möchte Public Eye auch, woraus das besteht, was wir tragen. «Der grösste Teil dessen, was wir anhaben, besteht aus synthetischen Stoffen», erklärt Urska Trunk von Changing Markets. Ungefähr um die Jahrtausendwende habe Polyester alle anderen textilen Materialien auf dem Markt überholt.

Das Wachstum des Textilmarktes sei hauptsächlich dieser einen Faser geschuldet. Polyester ist das günstigste Material, sein Anteil am Markt hat sich von 2000 bis 2021 mehr als verdoppelt. Trunk nennt das «Overplastification». Die Polyesterkleidungs-Welle wächst schneller als die Weltbevölkerung.

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2000 hat die Polyesterproduktion alle anderen Textilmaterialien überholt und ist seither stark gestiegen.

Das ist nicht nur deshalb problematisch, weil Kunstfasern aus fossilen Rohstoffen bestehen und zu Mikroplastik zerfallen. Sondern auch wegen dem, was auf dem Weg dahin passiert.

Ärmere Länder werden als Altkleiderdeponien missbraucht

Wenn sie nicht verbrannt werden, landen Kleider üblicherweise in einem Recycling-System, das diesen Namen nur bedingt verdient. Häufig tauchen sie im Ausland wieder auf. Zum Beispiel auf dem riesigen Kantamanto-Markt in Accra, Ghana, der Anfang des Jahres niederbrannte und damit einmal mehr mediale Aufmerksamkeit erregte.

Schon zuvor war Kantamanto ein Symbol für vieles, was im globalen Textilhandel falsch läuft. Schwedische Journalisten, die Ghana besuchten, fanden Berge weggeworfener Textilien an den Stränden. Und auch auf dem Markt selbst – sogar ein Skistiefel fand sich (Infosperber berichtete).

Zwei Fünftel der Altkleider, die Ghana erreichen, sind unverkäuflich

Vor dem Brand kamen in Kantamanto jede Woche sieben Millionen Kleidungsstücke aus anderen Ländern an. «40 bis 50 Prozent davon sind nicht mehr verkäuflich», schätzt Yayra Agbofah, Gründer der der Organisation The Revival, die derzeit alle Hände voll damit zu tun hat, den Markt wieder aufzubauen und die Händler:innen zu unterstützen.

«Die Hälfte dieser Kleider wäre mehr als genug», sagt er. Und die Qualität werde immer schlechter. Die Lebensgrundlage von rund 30’000 Textilverkäufer:innen soll trotzdem schnell wieder hergestellt werden. Für die lokale Textilindustrie ist das zwar ein Bärendienst. Schnell zu ändern ist es nicht.

Recycling wäre ein Ansatz, für ein Recyclingsystem in entsprechender Grösse fehlten dem Land jedoch die Ressourcen. Mit internationaler Hilfe liesse sich daran zwar etwas ändern, da wäre aber noch das Material selbst: Altkleider sortenrein zu trennen, ist kaum möglich. Und gemischte Materialien seien kaum recycelbar, erklärt Agbofah. Schon gar nicht in den aktuellen Mengen.

«Textilrecycling ist eine Sackgasse.»

Urska Trunk (Changing Markets)

«Recycling ist eine Sackgasse», sagt auch Urska Trunk. Trotz aller Behauptungen, die aus dem Textilsektor geäussert würden. Wenn bis 2030 ein Anteil von nur 15 Prozent der Textilrohstoffe aus dem Recycling käme, sei schon ein sehr ehrgeiziges Ziel erreicht. Polyester lässt sich zwar theoretisch gut einschmelzen und wieder zu Fasern verarbeiten. Praktisch enthält Kleidung oft zu viele Zusatzstoffe und ist nicht sortenrein. Recycling-Kleidung wird deshalb häufig aus PET-Flaschen gefertigt.

Ein weiteres Ziel, das Public Eye ausgibt, ist deshalb, Kleidung vorzugsweise dort weiter- und wiederzuverwerten, wo sie weggeworfen wird. Das spart Transportemissionen und verhindert, dass der Überkonsum der Industrieländer die ärmeren in Mülldeponien verwandelt.

Frankreich plant Fast-Fashion-Steuer

Finanzieren liessen sich solche und andere Pläne zum Beispiel über eine sogenannte Fashion Transformation Levy – eine Abgabe auf Neutextilien, speziell solchen aus synthetischen Materialien. «Es ist nicht einzusehen, weshalb diejenigen, die Kleidung produzieren, keinerlei Verantwortung dafür tragen sollen, was danach damit passiert», begründen Trunk und Maldini.

Politisch unmöglich ist das nicht. Frankreich schickte im vergangenen Jahr eine Fast-Fashion-Steuer in die Vernehmlassung. Der Gesetzesentwurf sah vor, für jedes Ultra-Fast-Fashion-Item 50 Prozent des Preises zusätzlich zu verlangen und Werbung für die schnelllebigste Mode zu verbieten. Kritik daran kam wenig überraschend von Shein, Temu und Primark.

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4 Meinungen

  • am 27.01.2025 um 09:30 Uhr
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    Neue Kleidung ist heutzutage oft von mieser Qualität. Selbst teure In-Marken wie G-Star verwenden minderwertiges Material, so dass die toll geschnittenen Sachen nach einem Jahr wie Lumpen aussehen. Second-Hand-Läden, früher oft eine Fundgrube für hochwertige Kleidung, sind mittlerweile mit dem Müll der Billigketten überschwemmt. Ein Beispiel: früher gab es T-Shirts die aus besonders belastbaren Baumwollfasern auf Rundstrickmaschinen hergestellt wurden. Diese hatten durch die fehlende Seitennaht eine perfekte Passform, verschossen daher nicht und hielten viele Jahre. Heute gibt es praktisch keine Rundstrickware mehr. «Slow Fashion» gern, aber bitte mit Qualität.

    • am 27.01.2025 um 20:38 Uhr
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      Ich pflichte Ihnen ja grundsätzlich bei – möchte aber in einem wichtigen Punkt widersprechen: Sie verwechseln die Qualität der Ware – also der zu verarbeitenden Faser – mit der Verarbeitung derselben.
      Ob z.B. ein Shirt ohne Seitennaht – also Rundstrickware – ist oder nicht, hat nichts damit zu tun, ob es einen langen oder kurzen Tragekomfort bietet.

  • am 27.01.2025 um 12:42 Uhr
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    Wer den Dokumentarfilm noch nicht kennt, dem sei er wärmstens empfohlen:
    The True Cost – ist (auch mit Untertiteln) frei auf Youtube verfügbar.

  • am 28.01.2025 um 09:18 Uhr
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    Bemerkenswerte Aussage im Artikel: «…«Der grösste Teil dessen, was wir anhaben, besteht aus synthetischen Stoffen» …… Polyester ist das günstigste Material,» und Bund-stuttgart 20. April 2021: «Sie sind leicht, elastisch, weich auf der Haut und trocknen schnell: synthetische Fasern wie Polyester, Polyamid, oder Polyacryl. Aber sie sind auch gesundheitsschädlich und umweltbelastend. Synthetische Polymere werden aus Erdöl und -gas hergestellt, was wiederum nicht-erneuerbare Ressourcen verbraucht und Treibhausgase emittiert.»
    Bekanntlich gibt es immer mehr Elektroautos und Windräder, möglicherweise könnten die saudischen Oelprinzen erkannt haben, wenn nur noch Polyester-Erdöl-Klamotten hergestellt werden, dann steigt der Erdölverbrauch und die Kohle fliesst in strömen und die Konsumenten sind chic, adrett und kuschlig angezogen.
    Gunther Kropp, Basel

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