Menschen Treppe estherpoon gross

Treppensteigen ist im Alltag etwas vom Gesündesten © estherpoon / Depositphotos

Schweizer leben länger – nicht dank hoher Gesundheitskosten

Urs P. Gasche /  Die rekordhohen Kosten und Krankenkassenprämien haben wenig damit zu tun, dass die Menschen in der Schweiz sehr alt werden.

Gesundheitspolitiker und -Lobbys behaupten häufig, dass die stark steigenden Krankenkassenprämien und die hohen Gesundheitskosten auch einen gewaltigen Nutzen hätten: Die Schweizerinnen und Schweizer würden dank der hohen Ausgaben länger leben. Die Lebenserwartung sei in der Schweiz rekordhoch.

Lebenserwartung ab Geburt

Tatsächlich haben Schweizerinnen und Schweizer – nach Japan – ab Geburt die zweithöchste durchschnittliche Lebenserwartung aller Länder (Frauen 85,4 Jahre, Männer 81,6 Jahre). An dritter Stelle steht Südkorea. Deutschland liegt auf Rang 20. Rangliste von unten nach oben:

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Durchschnittliche Lebenserwartung ab Geburt (Republic of = Südkorea)


Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren

Bei der Lebenserwartung im Alter von 60 Jahren liegt die Schweiz nach Japan, Südkorea, Australien und Singapur an fünfter Stelle. Deutschland liegt auf Rang 18. Rangliste von oben nach unten:

Lebenserwartung Alter 60.WHO.x
Durchschnittliche Lebenserwartung ab Alter 60 (Republic of = Südkorea)


In Industriestaaten hat die hohe Lebenserwartung mit den Gesundheitskosten wenig zu tun

Es ist ein Fehlschluss, dass die hohe Lebenserwartung in der Schweiz den extrem hohen Gesundheitskosten zu verdanken sei. Die vielen guten Ärzte, Spitäler und Medikamente sind für die Lebenserwartung ein untergeordneter Faktor. Die Einwohner von Japan, Südkorea, Australien, Spanien oder Italien erreichen ein durchschnittlich ähnlich hohes Lebensalter, geben jedoch deutlich weniger Geld für Ärzte, Spitäler oder Medikamente aus. (siehe Tabelle unten.)

Internationale Vergleiche der OECD sind stets mit Vorsicht zu interpretieren. Bei den obligatorischen Ausgaben (in der Schweiz die Grundversicherung) sind die abgedeckten Leistungen nicht überall gleich. In der Schweiz sind die grundversicherten Leistungen umfassend, decken jedoch im Gegensatz zu anderen Ländern die Zahnkosten nicht ab.

Die Kostenunterschiede sind jedoch so gross, dass sie im Trend zutreffen dürften.

Gesundheitsausgaben der Schweiz im Vergleich

Schweiz
im Vergleich
Obligatorische
Ausgaben
Gesamtausgaben
für Gesundheit
mit Südkorea+93%+76%
mit Spanien+78%+82%
mit Italien+70%+87%
mit Japan+23%+53%
mit Australien+20%+26%
mit Frankreich-1%+21%
mit Norwegen-16%+4%
Lesebeispiel: In der Schweiz sind die Kosten der obligatorischen Grundversicherung pro Kopf der Bevölkerung um 93 Prozent höher als in Südkorea. Die Gesamtausgaben für die Gesundheit sind 75 Prozent höher.
Quelle: OECD, nach Kaufkraftparität in US-Dollar. Zahlen des Jahres 2022 oder neuer.


Faktoren, die für die Lebenserwartung entscheidend sind

Die gute Gesundheit und die hohe Lebenserwartung verdanken die Schweizerinnen und Schweizern in erster Linie anderen Faktoren als den hohen Kosten und Prämien: 

  1. Es sind in der Schweiz prozentual weniger Menschen sozial und wirtschaftlich schwach als in anderen Ländern. Die sozial und wirtschaftlich Schwächsten haben auch in Industriestaaten eine um etwa zehn Jahre kürzere Lebenserwartung als die wirtschaftlich Stärksten;
  2. In der Schweiz verrichten prozentual weniger Menschen als in anderen Ländern körperlich belastende Arbeiten;
  3. Es gibt in der Schweiz prozentual weniger Bewegungsmuffel (körperlich Inaktive);
  4. Es gibt in der Schweiz prozentual weniger Übergewichtige und Diabetes-Kranke.
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Obdachloser schläft unter einer US-Flagge auf einer Bank in New York

Eine zusätzliche Rolle spielt in den USA die hohe Zahl der Drogenabhängigen. Sie ist wesentlich dafür verantwortlich, dass dort die Lebenserwartung trotz extrem hoher und weiter steigender Gesundheitskosten stagniert. Sie betrug im Jahr 2010 bei Geburt 78,7 Jahre, im Jahr 2022 77,5 Jahre.

Vergleich der Länder mit den höchsten Lebenserwartungen

Gegenüber Japan, dem Land mit der weltweit höchsten Lebenserwartung bei Geburt, fällt die Schweiz in erster Linie deshalb zurück, weil es in der Schweiz prozentual doppelt so viele stark Übergewichtige gibt, doppelt so viele Rauchertote und ein Drittel mehr Bewegungsmuffel als in Japan.

Umgekehrt fallen Australien, Norwegen, Spanien und Italien in der Rangliste der Lebenserwartung hinter die Schweiz nicht zuletzt deshalb zurück, weil der Anteil der schwer Übergewichtigen in diesen Ländern zwischen 18 bis 32 Prozent höher ist als in der Schweiz.

Stark übergewichtige Männer (BMI ≥30).
Altersstandardisierte Zahlen
2022
Japan7,6%
Südkorea8,8%
Frankreich10,2%
Schweiz15,1%
Italien18,0%
Spanien19,4%
Norwegen20,9%
Australien32,0%
Quelle: Gobal Obesity Observatory

Bei der Lebenserwartung ab Geburt liegt Singapur auf dem 5. Rang. Es gibt dort im Vergleich zur Schweiz deutlich mehr Bewegungsmuffel und einen viel höheren Alkoholkonsum. Dagegen kommt die Schweiz besser weg bei der Luftverschmutzung.

Trotz aller Schwächen dieser und anderer Ranglisten sind sich Spezialisten der öffentlichen Gesundheit darin einig, dass die Lebenserwartung und die Gesundheit in einem Industriestaat hauptsächlich davon abhängen, wie stark und häufig sich die Menschen körperlich bewegen, wie viele Menschen rauchen, wie viele zu viel Alkohol konsumieren und wie hoch der Anteil der sozial und wirtschaftlichen Schwachen im Land ist. 

Falls die öffentliche Gesundheitspolitik das Ziel verfolgt, den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung zu verbessern und die durchschnittliche Lebenserwartung zu erhöhen, dann müssten zusätzliche Milliarden nicht ins Gesundheitswesen investiert werden, sondern gegen Armut, Rauchen, übermässigen Alkoholkonsum, gegen Feinststaub und andere Schadstoffe in der Luft sowie für Anreize zur körperlichen Bewegung.

Ein paar Dinge wie ein absolutes Werbeverbot für Tabakwaren (einschliesslich E-Zigaretten) oder Tempo 30 in Städten (Feinststaub) wären sogar kostenlos zu haben.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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