Diese Jugendbewegung ist nicht meine
Red. Johannes Simon studiert American Studies und Philosophie an der Freien Universität Berlin, mit Studienaufenthalten in New Orleans und Madrid.
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Mein ganzes Leben war Krise. Geboren 1989 waren meine ersten politischen Erfahrungen der Irakkrieg, die Agenda 2010 und schliesslich – passend zu meinem 18. Geburtstag – die Weltwirtschaftskrise. Seit ich politisch denken kann, befindet sich Europa in einer Schieflage und bewegt sich nur in eine Richtung: bergab. Die Linken schienen dabei nur ratlos einer nicht abreissenden Kette von kleinen und grossen Katastrophen zuschauen zu können.
Nun also der Aufstieg des Rechtspopulismus und die Wiederkehr des Nationalen in Europa. War Österreich noch knapp vorm Abgrund stehen geblieben, hat Grossbritannien jetzt den nächsten Schritt gewagt. Wie jedes Mal, wenn sich mal wieder (und immer wieder) ein europäisches Elektorat weigert, für die EU zu stimmen, suchen die Prediger des Status quo auch diesmal die Schuld nicht bei den europäischen Institutionen und ihrer Politik, sondern finden sie zielstrebig bei der charakterlichen Minderwertigkeit der Wähler.
The Kids are allright
Einen beruhigenden Rettungsanker bieten die Statistiken, die zeigen, dass vor allem Ältere für den Brexit gestimmt haben. Erleichterung machte sich auf den Zeitungsseiten Europas breit: The kids are allright! Wäre nur nicht die hängengebliebene Generation 50+, die sich vor der schönen neuen Welt fürchtet – wir wären schon lange wieder auf dem Weg in die goldene Zukunft, in die uns Wolfgang Schäuble und David Cameron führen wollen.
So argumentiert der 57-jährige FAZ-Redakteur von Blumencron, der in seinem Brexit-Kommentar «eine neue Rebellion» herbeisehnt: «Es wird Zeit, dass die Jüngeren wieder härter mit den Älteren abrechnen.» Doch was sind die Sünden der Älteren, die von Blumencron beklagt? Sie hätten «stets über ihre Verhältnisse gelebt, indem sie die Staatsverschuldung auf Kosten der Nachfahren munter weiter nach oben getrieben haben.» So kann man auf ein Europa blicken, das unter der anti-solidarischen Sparpolitik der EU langsam den Verstand verliert – und den Schluss ziehen, es brauche mehr Sparpolitik. Wenn die FAZ fordert, «dass die Jüngeren wieder härter mit den Älteren abrechnen» klingt das erst mal nett, bedeutet aber eigentlich nur eins: Rentenkürzungen.
Die eigentliche Heimat des pseudo-politischen Jugendkultes ist freilich das links-liberale Bürgertum, das schon lange jegliches politische Denken durch die Überzeugung ersetzt hat, die Menschheit müsse nur so werden, wie man selbst schon ist, dann werde alles gut. Nichts anderes ist die bräsige Selbstbeweihräucherung der Generation-Y, wie sie zum Beispiel Wolfgang Gründiger in der Zeit praktiziert. Der Sprecher der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen schreibt dort: «Die Alten haben uns unser Europa geraubt» und sowieso sei der Brexit «nicht der erste Fall der Alte-Säcke-Politik».
Wer von Europa schwärmt, will über Politik nicht diskutieren
Nun ist es natürlich ein Leichtes, den Brexit der rückständigen, alternden Wahlbevölkerung anzukreiden. Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus haben den Wahlkampf bestimmt und viele Wähler motiviert, für den Austritt zu stimmen. Diese Ignoranz aber zum Hauptschuldigen zu erklären, hat den Nebeneffekt, andere potenziell Schuldige freizusprechen. Die Wirtschaftskrise seit 2008, die radikale Sparpolitik und der anti-solidarische Kurs der konservativen Regierung – tragen sie etwa keine Verantwortung für die stetige Brutalisierung der politischen Kultur, die sich im Brexit geäussert hat?
Politische Kritik sucht man jedoch vergebens, wenn Wolfgang Gründiger «eine neue Jugendbewegung» fordert, «die für Europa kämpft – für alles Gute, das die EU für uns getan hat, aber noch mehr für die europäische Idee.» Denn was bedeutet es schliesslich im Jahr 2016 für «die europäische Idee» zu kämpfen? Es bedeutet – nichts. Nada. Syriza kämpft für Europa, genauso wie Schäuble für Europa kämpft. Wer von Europa schwärmt, will über Politik nicht diskutieren.
Dabei kann nur eine grundlegende politische Auseinandersetzung das leere Zeichen «Europa» wieder mit Inhalt füllen und ihm die Würde zurückgeben, das es verdient. Denn es waren nicht die Populisten, welche die EU ideell ausgehöhlt haben, sondern der endlose Missbrauch der «europäischen Idee» für den schäbigen Raubbau an Demokratie und Sozialstaat, den die von Deutschland dominierte EU repräsentiert.
Doch von politischer Auseinandersetzung ist bei Gründiger nichts zu spüren, wenn er die angeblich schon lange stattfindende Rebellion der Jungen anpreist:
«Statt sich in Manifesten und Gegenmanifesten zu verrennen und in Trillerpfeifen zu pusten, machen wir die Welt ganz handfest und konkret ein klein wenig besser – Stück für Stück, Projekt um Projekt. […] Wir gründen soziale Unternehmen, die Kaffee, Schokolade und Kondome fair produzieren. Wir schreiben Blogs, starten Onlinepetitionen und treten Twitter-Kampagnen los. Wir machen mit schicken Glas-Wasserflaschen das Trinken von Leitungswasser wieder cool und bekämpfen damit Plastikmüll. Wir pflanzen Bäume, beziehen Ökostrom und ernähren uns vegetarisch.»
Krisen nicht von aussen über uns hereingebrochen, sondern hausgemacht
So soll die Jugendbewegung also aussehen: unfassbar selbstzufrieden und dabei streng ausgerichtet nach den abgeschmacktesten Klischees unserer schon viel zu lange andauernden Gegenwart – vernetzt, kreativ, blablabla. Man sieht: sich an der eigenen Jugendlichkeit zu berauschen, kann ebenso gut im stumpfen Start-up-Sumpf enden wie in der politischen Rebellion.
Sicher gibt es gute Gründe für den Groll gegen die ältere Generation, die uns diese hässliche Gegenwart schliesslich eingebrockt hat. Der Rechtspopulismus ist nur ein Aspekt der europäischen Malaise, in der eine mut- und ratlose Gesellschaft wie das Reh im Scheinwerfer auf eine wachsende Zahl von Grossproblemen starrt, die in Zeitlupe auf die Katastrophe zugleiten.
Aber man macht sich etwas vor, wenn man glaubt, diese ökonomischen, politischen und ökologischen Krisen wären von aussen über uns hereingebrochen. Sie sind das Produkt unserer Gesellschaftsordnung – und wir werden sie weiter produzieren, wenn sich diese nicht grundlegend ändert. Das Immer-weiter-So ist keine Option, das wird mit jedem Jahr und jeder neuen Krise deutlicher. Auch die Ratlosigkeit, mit der wir unseren Problemen gegenüberstehen, deutet auf eine tiefe Krise in unserem politischen Denken hin – nicht nur in dem der anderen. Mehr noch als die bösen Rechtspopulisten sind vielleicht die orientierungs- und ideenlosen Linken das Problem, von den zynischen «Reformern» des neoliberalen Mainstreams ganz zu schweigen.
In den USA hat der Wahlkampf von Bernie Sanders mit seinen zahlreichen jungen Anhängern schon einen kleinen Vorgeschmack auf die Zukunft gegeben. Aber die dadurch entstandene politische Aufbruchstimmung ist nicht einfach der natürlichen Überlegenheit der Jugend geschuldet, sondern der Tatsache, dass sich amerikanische Millenials, also die unter 30-Jährigen, mehrheitlich für den Sozialismus begeistern.
Da kann sich Europa noch etwas abgucken. Doch auch hier gibt es schon mehr als nur einen Schimmer Hoffnung am Horizont: Syriza, Podemos, Jeremy Corbyn, Nuit Debuit und die Streiks in Frankreich – es regt sich was. Vor jugendlichem Narzissmus sollte man sich aber hüten. Nicht alles, was junge Menschen tun, ist automatisch rebellisch – schon gar nicht, wenn sich ihr Aktivismus darin erschöpft, die eigene Identität als junge, gebildete Kosmopoliten zu feiern.
Wenn der Status quo uns kaum noch glaubhaft eine Zukunft – geschweige denn: eine bessere Zukunft – versprechen kann, bleibt uns nichts anderes übrig, als an die Wurzel zu gehen. Radikalität, das stünde den jungen Europäern gut zu Gesicht.
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Dieser Text erschien zuerst auf «Le Bohémien».
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Jeremy Corbin, Grossbritanniens linker Labourführer, nannte den Brexit zu 30% gut bzw. vertretbar, was dann auch um die 30% Labourwähler, zumindest in England (Schottland ist ein Spezialfall) umgesetzt haben. Damit steht wohl auch Labour in der Verantwortung, wenn es diese gäbe.
Eine Zürcher Regierungsrätin will den ‹eingeborenen›, einheimischen Bürgerinnen und Bürgern das Stimmrecht entziehen, um es der jungen in- und ausländischen Bevölkerung zuzuschanzen. Wenn wir Eingeborenen nur nicht eines Tages auch noch aus unserer heimatlichen Wohnung, Stadt oder Dorf vertrieben werden!
Die Aufforderung an eine Personengruppe (z.B. die Jungen), ihr Verhalten zu ändern (z.B. z.B. für Europa zu kämpfen), ist ein recht sicheres Erkennungsmerkmal von politischen Rezepten, die nicht funktionieren. Das Verhalten der Leute kann sich sehr wohl ändern, aber kaum auf Kommando eines gutmeinenden Kommentators.
Wenn Freunde der EU Dinge wie den Brexit analysieren, dann fehlt die Selbstkritik meist vollkommen. Bei der Wahl des Kommissionspräsidiums hatten die Leute die Wahl zwischen den zwei «alten Säcken» Juncker und Schulz. Heute kann man sich fragen, ob es überhaupt einen Unterschied gemacht hätte, wenn der andere gewählt worden wäre. Kann man es da den Briten so verübeln, wenn sie die Möglichkeiten, die EU von innen zu verändern, als gering einstuften?
Jung gegen Alt auszuspielen ist rassistisch. Ausserdem eine eigenartige Vorstellung, wenn all unsere tollen Jugendideologien in Gesetze gegossen worden wären, und wir müssten deren Konsequenzen später ausfressen!