Glosse

Der Spieler: Wortspiele unter Schlapphüten

Synes Ernst ©

Synes Ernst. Der Spieler /  Ein Wortspiel als Agentenspiel aufgemacht: Niemandem kann man vertrauen. Auch der Verpackung von «Codenames» nicht.

In der Welt der Agenten ist auf nichts Verlass. Mit solchen Behauptungen sollte man zwar vorsichtig umgehen, aber dort, wo es um Täuschung, verdeckte Informationen oder gar Verrat geht, darf man sie problemlos verwenden. Und so müsste man eigentlich gewarnt sein, wenn man ein Spiel namens «Codenames» in die Hand nimmt, auf dessen Cover ein schickes, in dezentes Schwarz gekleidetes Agentenpärchen abgebildet ist. «Streng geheim», sagt sie, worauf er antwortet: «Denk verlinkt!» Ein Agentenspiel, lautet die logische Schlussfolgerung, und man bereitet sich beim Öffnen der Schachtel geistig darauf vor, irgendeine geheimdienstliche Aufgabe zu lösen.

Aber eben: In der Welt der Agenten ist auf nichts Verlass. Selbst im Spiel nicht. Denn «Codenames» ist kein Agenten- oder Spionagespiel, sondern entpuppt sich als höchst raffiniertes Wort- und Sprachspiel, das allerdings erst auf den zweiten Blick, was durchaus zur Logik der Welt der Schlapphüte passt, die ihre Geheimnisse nicht einfach so preisgibt.

Rot gegen Blau

In «Codenames» spielen zwei Teams gegeneinander, Rot gegen Blau. Je ein Mitspieler übernimmt die Rolle des Geheimdienstchefs. Beide nehmen auf einer Seite des Tisches Platz, auf der anderen sitzen ihnen die anderen Spieler gegenüber, diese in der Rolle der Ermittler. Aus dem Set von insgesamt über 200 doppelseitig bedruckten Wortkarten werden nach dem Zufallsprinzip 25 ausgewählt und in einem Raster von fünf mal fünf Karten auf dem Tisch ausgelegt. Das ist die Ausgangslage für jede Runde.

Bevor das Spiel so richtig beginnen kann, ziehen die Geheimdienstchefs eine so genannte Codekarte, die ihnen, und nur ihnen, zeigt, welches die Geheimidentitäten der ausgelegten Karten sind. Da der Code dem Raster auf dem Tisch entspricht, markieren die blauen Felder die Wörter, die das blaue Team erraten muss. Das gleiche gilt entsprechend für Team Rot. Zudem bewegen sich, auf der Codekarte grau markiert, unbeteiligte Zuschauer im Aktionsfeld der Spione. Schwarz ist schliesslich der Attentäter. Diesen gilt es unter allen Umständen zu vermeiden: Denn die Mannschaft, die mit ihm in Kontakt kommt, verliert das Spiel sofort. Sieger ist das Team, das als erstes seine acht Agenten identifiziert hat.

Potenzial in einer genial einfachen Spielidee

So weit das Technische. Wo ist nun der Witz oder das Besondere von «Codenames», das in den USA bei Boardgames Geek, der Mutter aller Spiele-Webseiten, momentan den ersten Platz unter den Partyspielen belegt, und das auch in Europa nur beste Kritiken erhält (diese hier, die Sie gerade lesen, macht keine Ausnahme …)?

Die Antwort: Es ist das Potenzial, das sich in einer genial einfachen Spielidee verbirgt. Um möglichst rasch zum Ziel zu gelangen und ihre Agenten zu identifizieren, benötigen die Ermittler Hinweise. Diese liefert ihnen ihr Geheimdienstchef. Und zwar in der Form eines einzigen Wortes und einer Zahl. Nehmen wir an, der rote Agentenboss sage: «Fussball 3». Damit deutet er an, dass sich unter den 25 Wortkarten auf dem Tisch drei befinden, die sich zum Oberbegriff «Fussball» passen. Nun stecken seine Ermittler die Köpfe zusammen und diskutieren, was das Zeug hält, bis sie schliesslich einen ersten Versuch wagen: «Stadion». Richtig, die Wortkarte wird mit einer Agentenkarte der eigenen roten Farbe abgedeckt. Weil das eine richtige Antwort war, dürfen sie weiter raten. «Elf». Klar, so etwas von leicht. Nun kämen unter den ausliegenden Wortkarten noch zwei in Frage: «Verein» und «Läufer«. Rot entscheidet sich für «Läufer« und identifiziert damit einen weiteren Agenten. Hätte es sich jedoch für «Verein» entschieden, hätte es Pech gehabt: Hinter «Verein» verbirgt sich gemäss Codekarte ein blauer Geheimdienstler, und so geht der Punkt an das blaue Team. Noch schlimmer wäre es gewesen, der Attentäter hätte sich als «Verein» getarnt. In diesem Fall würde Rot das Spiel sofort verlieren. Würde ein unbeteiligter Zuschauer aufgedeckt, wären die Folgen weniger gravierend: Dann wäre das andere Team an der Reihe.

Schon dieses einfache Beispiel macht deutlich, dass in «Codenames» die Kommunikation zwischen dem Geheimdienstchef und seinen Ermittlern von zentraler Bedeutung ist. Die Hinweise sollen das Team auf die richtige Spur führen, weshalb Eindeutigkeit gefragt ist. Weil «Verein» unter dem Dach «Fussball» durchaus Platz hat, ist dieser Oberbegriff für den Hinweisgeber tabu, wenn gemäss Codekarte sich der Attentäter als «Verein» tarnt. Die Ermittler können dies ja nicht ahnen, weil «Verein» in ihren Augen zum Hinweis «Fussball» passt. Und schon ist das Unglück passiert, das Spiel für sie verloren.

Wie auf Nadeln

Theoretisch leuchtet das alles sehr schnell ein. Aber in der Praxis, Mensch, was habe ich da schon gebrütet! Wie bringt man zum Beispiel «Hahn», «Elf» und «Öl» zusammen? Nach einiger Überlegung fällt mir «Frankreich 3» ein, das heisst, ich sehe unter den Wortkarten drei, die zum Begriff «Frankreich» passen. Verstehen meine Ermittler, was ich damit meine? Ich sitze wie auf Nadeln, während das Team diskutiert, denn die Spielregeln verbieten mir, mit weiteren Hinweisen nachzuhelfen. Schlüsselwort ist für mich «Elf», das frühere französische Mineralölunternehmen Elf Aquitaine. Auf «Elf» muss «Öl» fast automatisch folgen, und wer «Öl» sagt, kommt dann unschwer auf «Hahn», weil jede Pipeline mit Hahnen ausgerüstet sind.

«Hahn» würde übrigens auch in anderer Kombination bestens zu «Frankreich 3» passen, am besten zusammen mit «Marianne» und «Scheiterhaufen» (wobei anzumerken ist, dass «Scheiterhaufen» nirgends auf den Wortkarten steht, sondern mir jetzt beim Schreiben spontan in den Sinn gekommen ist, weil die Assoziation so gut aufgehen würde).

Spielt man «Codenames» mit Anfängerinnen und Anfängern, so ist der Start meistens verhalten, mitunter sogar mühsam. Mit der Zeit aber gerät man in einen richtigen Flow. Man beginnt mit Worten und Begriffen zu spielen, versucht, Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit unter einen Hut zu bringen, und lässt seiner Phantasie freien Lauf. Alles ist möglich, unter der Voraussetzung allerdings, dass die Ermittler die Gedankengänge ihres Chefs richtig deuten. Kommunikation funktioniert nicht, wenn Sender und Empfänger einander nicht verstehen.

Neue Spielwelten aufgetan

Weil die Anforderungen vor allem an die hinweisgebenden Geheimdienstchefs nicht ganz ohne sind, spricht «Codenames» zuerst einmal Menschen an, die gerne mit der Sprache spielen. Interessanterweise packt das «Codenames»-Fieber aber auch solche, die dem Spiel anfänglich skeptisch gegenüber gestanden sind. «Codenames» fasziniert. Warum genau, lässt sich kaum erklären.

Das Spiel stammt aus der Ideenschmiede von Vlaada Chvátil, der seit etwa zehn Jahren mit seinen Werken, die er im eigenen Verlag Czech Games Edition (CGE) veröffentlicht, die Szene begeistert. Dies nicht zuletzt, weil er immer wieder überraschend neue Spielwelten öffnet, so mit «Im Wandel der Zeiten», «Galaxy Trucker» und «Space Alert». Mit «Codenames» ist dem 45-jährigen Informatiker ein neuer Coup gelungen, der mir besonders gefällt, weil ich erstens Spiele mit einer einfach-klaren Grundidee mag und ich zweitens ein Liebhaber von Spielen bin, in denen die sprachliche Kommunikation unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den Kern des Spiels bildet, um den sich alles dreht. Wenn dies dann noch so agentenmässig verpackt ist wie bei «Codenames», umso besser.

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Codenames: Kommunikations- und Partyspiel von Vlaada Chvátil für zwei bis acht Spielerinnen und Spieler ab 14 Jahren. Verlag Czech Games Edition / Heidelberger Spieleverlag (Vertrieb Schweiz: Fata Morgana), ca. Fr. 20.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Als solches nicht an der aktuellen Wahl beteiligt. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung».

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