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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Wie Zauberwörter Werwölfe vertreiben

Synes Ernst. Der Spieler /  «Werwölfe» ohne blutrünstige Ereignisse in der Nacht? Das gibt es. «Werwörter» ist eine phantastische Alternative.

Politisch ist es zwar nicht ganz korrekt. Denn alles dreht sich um die schrecklichen Ereignisse im Dorf Düsterwald, wo jede Nacht eine Bewohnerin oder ein Bewohner von zwei Werwölfen umgebracht werden. Und doch hat sich «Werwölfe» in den vergangenen 15 Jahren zu einem Kultspiel vor allem unter Jugendlichen entwickelt. Denn die Herausforderung, gemeinsam die beiden Übeltäter zu entlarven und ihrem bösen Treiben ein Ende zu setzen, bietet ein tolles Spiel- und Gruppenerlebnis. Die damit verbundene Herausforderung – eine Grenzwanderung zwischen Fantasie und Realität – ist trotz der Beliebtheit des Spiels nicht jedermanns Sache. Die einen stossen sich am Thema und der gegenseitigen Abmurkserei, die anderen mögen Spiele grundsätzlich nicht, bei denen man unter Umständen früh ausscheidet und dann zum Zuschauen verurteilt ist, sofern man Pech hat.

Ohne gegenseitiges Abmurksen

Jetzt liegt mit «Werwörter» eine Alternative vor, bei der es weder vorzeitiges Ausscheiden noch Mord und Totschlag gibt. Eine «Werwölfe»-Variante ohne Mord und Totschlag – ist das überhaupt möglich? Ja, und das ist insofern erstaunlich, weil Werwölfe in ihrer angestammten Rolle als Bösewichte und Störenfriede immer noch dabei sind. Entwickelt hat «Werwörter» Ted Alspach, US-amerikanischer Computergrafik-Experte (u.a. Adobe, Illustrator, Pagemaker), Verleger und Spieleautor. In dieser Eigenschaft hat er sich immer wieder intensiv mit dem «Werwölfe»-Spiel beschäftigt. Dieses gab es in anderen Fassungen bereits seit den 2000er Jahren auf dem Markt. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist jetzt «Werwörter», das es bis zur Nominierung zum «Spiel des Jahres 2019» geschafft hat.

Da in «Werwörter», wie gesagt, niemand umgebracht wird, geht es hier auch nicht darum, herauszufinden, wer Täterin oder Täter ist, was aber nicht bedeutet, dass es nicht unterschiedliche Interessen gibt. Die Dorfgemeinschaft will unbedingt das Zauberwort erraten, das ihr Bürgermeister entdeckt hat. Gelingt ihr das, können sie damit die lästigen Werwölfe ein für allemal aus dem Dorf vertreiben. Das versuchen diese selbstverständlich mit allen Mitteln zu verhindern. Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten zu Beginn jeder Runde verdeckt eine Rolle zugeteilt. Wir sind für die Dauer des Spiels entweder Bürgermeister, gewöhnliche Dorfbewohner, Seherin, Wahrsagerin, Freimaurer oder Werwolf. Bekannt ist einzig, wer den Bürgermeister spielt. Doch aufgepasst, er verfügt noch über eine zweite, geheime Identität.

App steuert die Aktionen

Am besten spielt sich «Werwörter» mit der entsprechenden App, die man vor dem Spiel auf seinem Smartphone oder Tablet installiert. Die Möglichkeit, ohne diese Hilfsmittel zu spielen, existiert zwar, doch der Ablauf ist mit Unterstützung der App, welche die Aktionen der einzelnen Rollen steuert, um einiges eleganter. Wie «Werwölfe» ist «Werwörter» ebenfalls in eine Nacht- und eine Tagphase unterteilt. In der Nachtphase, in der alle ihre Augen geschlossen haben, wird zuerst der Bürgermeister aufgerufen. Er wacht auf, wählt ein von der App vorgegebenes Zauberwort (es gibt insgesamt 10 000 in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden) und schliesst dann seine Augen wieder. Nun bekommt die Seherin das Zauberwort zu sehen, anschliessend die beiden Werwölfe.

Die Nacht ist nun zu Ende, der Tag bricht an, und alle erwachen. Jetzt läuft die Zeit, um das Zauberwort zu erraten. In der Regel stellt man den Timer auf vier Minuten. Alle in der Runde stellen dem Bürgermeister Ja/Nein-Fragen, um von ihm Hinweise zu bekommen. Ist es ein Tier? Ist es blond? Hat die Person im Mittelalter gelebt? Handelt es sich um einen Filmschauspieler? Doch wie ärgerlich: Der Bürgermeister bleibt stumm und antwortet nur mit Hilfe von Markern (Ja/Nein, Vielleicht, Nah dran, Falsche Fährte, richtig).

Chaotisches Vorgehen führt nicht zum Ziel

Meine Erfahrung mit «Werwörter» zeigt, dass in den ersten Runden wild herum gefragt wird. Man stellt jedoch relativ schnell fest, dass dieses chaotische Vorgehen nicht zum Ziel führt. Warum? Das erklärt ein Blick auf die Siegbedingungen. Denn selbst dann, wenn die Dorfgemeinschaft das Zauberwort erraten hat, besitzen die Werwölfe noch eine letzte Chance, um das Blatt zu wenden. Dazu müssen sie die Seherin finden, die dank ihres Wissens über magische Kräfte verfügt. Gelingt dies, haben die Werwölfe gewonnen. Umgekehrt hat die Dorfgemeinschaft nicht endgültig verloren, wenn sie beim Versuch, das Geheimnis zu knacken, scheitert. In diesem Fall hat sie eine Minute Zeit, die Werwölfe doch noch zu vertreiben. Dazu muss sie diese enttarnen.

Dass «Werwörter» mehr ist als ein banales Frage-Antwort-Spiel, verdankt es der Meta-Ebene, die durch diese Regelbestimmungen eingeführt wird. Spielerinnen und Spieler dürfen, wenn sie das Spiel für sich entscheiden wollen, nicht einfach drauflos fragen, sondern müssen sich rollengerecht verhalten. Der Werwolf beispielsweise, der das Zauberwort kennt, muss mit seinen Fragen an den Bürgermeister versuchen, den gesamten Rateprozess zu verlangsamen (Zeit läuft unerbittlich!) oder auf eine falsche Fährte zu lenken. Dabei darf er sich selber nicht verraten. Die Seherin wiederum, ebenfalls eine Eingeweihte, ist darauf erpicht, ihre Mitbewohner möglichst optimal zu unterstützen, ohne aber mit ihren Fragen den Werwölfen Hinweise auf ihre Identität zu liefern.

Gefragt ist psychologisches Geschick

Auf dieser Meta-Ebene ist psychologisches Geschick gefragt: Man muss nämlich genau beobachten, wie sich die Mitspielenden in der Fragerunde verhalten. Bedeutet es etwas, wenn jemand den Bürgermeister mit Fragen bombardiert? Mit welcher Art von Fragen? Schweigt jemand auffällig? Wartet jemand immer mit überraschenden Fragen auf? Was hat das mit seiner Rolle zu tun? Fragen sind halt nicht bloss Fragen …

Die Tagphasen bieten jeweils vier Minuten lang Spannung und äusserst intensiven Austausch unter allen Mitspielenden. Doppelspiele voller Emotionen und Psychologie noch und noch: Genau dies macht den Reiz von «Werwörter» aus. Das Spiel besitzt einen hohen Aufforderungscharakter: Kaum ist eine Runde vorbei, beginnt schon die nächste, vor allem, wenn Menschen am Tisch sitzen, die kommunikative Spiele mögen, bei denen sie viel von ihrer eigenen Persönlichkeit einbringen können.

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Werwörter: Rollen- und Ratespiel von Ted Alspach für 3 bis 10 Personen ab 10 Jahren. Verlag Ravensburger (Vertrieb Schweiz: Carlit + Ravensburger, Würenlos), ca. Fr. 16.- Die Gratis-App (iOS, Android) muss heruntergeladen werden. Das Spiel macht sowohl in kleinen als auch in grösseren Gruppen Spass. Aber es gilt: Je mehr am Tisch sitzen, desto besser.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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