Der Spieler: Wie das Coverdesign in die Irre führt
Rechtzeitig zum Internationalen Tag des Spiels, der alljährlich am 28. Mai (also morgen Sonntag) gefeiert wird, ruft der Ravensburger Verlag den 90. Geburtstag seines Klassikers «Fang den Hut!» in Erinnerung. Was besonders bemerkenswert ist: Die Gestaltung des Spiels ist seit 1927 bis heute praktisch unverändert geblieben. Das spricht für die Qualität des Designs. Verantwortlich dafür zeichnete der österreichische Architekt und Grafiker Fritz Ehlotzky, der vom Bauhausstil mit seinen klaren Linien und seiner nüchtern-sachlichen Formensprache beeinflusst war. Auch bei der Gestaltung seiner Spiele wich er nicht von diesen Stilprinzipien ab. Mit dem Effekt, dass «Fang den Hut!» an einschlägigen Ausstellungen nicht als Fremdkörper wahrgenommen wird, sondern als vollwertiger Teil der grossen Bauhaus-Familie.
Wer kann es mit «Fang den Hut!» aufnehmen?
Ein einfaches Kinder- und Familienspiel auf der gleichen Höhe mit vielen anderen zeitgenössischen Objekten, die wir heute noch im Bauhaus in Dessau bewundern, ein Spiel als ebenbürtiger Ausdruck einer Stilrichtung, welche in den 1920er Jahren eine ganze Generation von Architekten und Grafikern geprägt hat: Man stelle sich das einmal vor und frage sich, wie ich es bei der Lektüre der Medienmitteilung aus Ravensburg getan habe, welches Spiel aus dem aktuellen Angebot in dieser Hinsicht mit Ehlotzkys «Fang den Hut!» aufnehmen könnte.
Es gibt keines, behaupte ich nun mal so. Die Gestaltung von Spielen scheint mir seltsam abgekoppelt von den stilbildenden Elementen, welche die heutige Gebrauchsgrafik prägen, wie wir sie von Buchtiteln, Werbung, Plakaten und anderem mehr kennen. Was da alles verniedlicht, verulkt, verfremdet, historisiert und exotisiert wird, geht auf keine Kuhhaut. Nun ja, können Designer und Grafiker von Verpackung und Material argumentieren, das hängt alles mit dem zentralen Fakt zusammen, dass die Spiele eine eigene Welt darstellen, welche die Realität wohl aufnehmen mag, aber nie die Realität selber ist. Eine eigene imaginäre Welt, ein eigenes Design, das diese Imagination abbildet – das mag einleuchten, erklärt aber noch lange nicht, weshalb dieses Spiele-Design so nichts mit dem zu tun hat, was sonst noch in der realen Welt der Grafik läuft.
Mehr Abschreckung als Attraktion
Die Form folgt der Funktion. Nach diesem Grundsatz steht das Design im Dienste der Vermittlung. Wie eine gute Aufmachung den Einstieg in einen Zeitungsartikel erleichtert, weckt ein sorgfältig gestaltetes Cover das Interesse für ein Buch. Es gibt aber bei Spielen sehr oft Verpackungsillustrationen, die potentielle Käuferinnen und Käufer eher abschrecken als anziehen. Also genau das Gegenteil dessen, was der Verlag mit der Titelgrafik eigentlich bezweckt hatte. Ein Erwachsener, der nicht alles kindlich verniedlicht, historisierend oder verjuxt sieht, muss jedenfalls eine grosse Hürde überwinden, bevor er ein Spiel kauft, von dessen Schachtel ihm ein Comic-Kamel scheusslich entgegen grinst.
Wenn sich Verlage und ihre Redaktionen intensiver mit dem Design ihrer Spiele auseinandersetzten, würde auch nicht passieren, was jetzt gerade wieder mit «Mein Traumhaus» passiert ist. Sein Cover ist geradezu irreführend: Beim Betrachten des Titelbildes bekommt man unweigerlich den Eindruck, man habe es mit einem Spiel für kleine Mädchen zu tun. Weit daneben. «Mein Traumhaus» ist ein empfehlenswertes Legespiel für alle Altersgruppen ab acht Jahren, voller taktischer Feinheiten und Finessen, aber auch gespickt mit kleinen Gemeinheiten und einigen Glückselementen, die viel Emotion in das Spiel bringen. Im «Traumhaus» steckt also viel mehr drin, als Cover und Titel vermuten lassen, vor allem aber, es steckt ganz Anderes drin.
Schlechtes Coverdesign mit Folgen
Alle Teilnehmenden haben die Aufgabe, ein eigenes Haus einzurichten. Über wie viele Wohn- und Schlafzimmer, Bäder und Küchen man am Schluss verfügt, hängt einerseits vom Glück und andrerseits vom taktischen Können jedes Einzelnen ab. Denn die Teile kommen nicht in der Reihe ins Angebot, wie man sie am liebsten hätte, und vielfach auch nicht in der Kombination, von der man am meisten profitieren würde. Und da gibt es auch noch die lieben Mitspielenden, die einem im wahrsten Sinne des Wortes ins Handwerk pfuschen: Da hatte ich doch fest damit gerechnet, dass das punkteträchtige dritte Wohnzimmer mir zufallen würde, aber nein, noch bevor ich an der Reihe bin, hat es mir eine Mitspielerin weggeschnappt. So gemein!
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Erwachsenen «Mein Traumhaus» gar nicht beachten. Kinderkram! Das ändert sich sofort, sobald es erklärt ist und wir zusammen in einer ersten Runde das Potenzial dieses tollen Spiels entdeckt haben. Ich wünsche «Traumhaus» nur, dass es seinen Weg trotz der Einstiegshürden machen und dereinst nicht einen Platz in der Galerie jener Spiele einnehmen wird, die Opfer eines schlechten Coverdesigns und damit einer falschen Platzierung im Markt geworden sind.
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Mein Traumhaus: Taktisches Legespiel von Klemens Kalicki für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Pegasus Spiele, Fr. 34.–
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied.