Der Spieler: Warum ein Legespiel so polarisiert
Unter den diesjährigen Neuerscheinungen fällt «Nmbr 9» durch seinen ungewöhnlichen Namen und sein eigenwilliges Cover auf. Die farbigen Muster erinnern an Tetris-Teile aus den Anfängen des digitalen Zeitalters, was allein schon für Aufmerksamkeit sorgt. «Guck mal, Tetris, weisst du noch, wie wir das seinerzeit gespielt haben?» Und kaum hat man die Schachtel geöffnet, stellt sich der gleiche positive Erinnerungseffekt wieder ein. In meinen Spielrunden musste ich jedenfalls keine grosse Überzeugungsarbeit leisten. Alle waren sofort für eine Schnupperpartie zu haben.
Worum es in «Nmbr 9» geht, ist rasch erzählt. Es handelt sich um ein Legespiel. Gelegt werden Plättchen, die je nach der darauf abgebildeten Zahl unterschiedlich geformt sind. Insgesamt sind 80 solcher Plättchen im Spiel, je 8 mit den Zahlen 0 bis 9. Wesentlich bei «Nmbr 9» ist, dass jeder Spieler und jede Spielerin aus den gleichen Zahlenplättchen, deren Reihenfolge nach dem Zufallsprinzip bestimmt wird, eine eigene Auslage baut. Eine direkte Interaktion gibt es in «Nmbr 9» nicht, es sei denn, man bezeichne den Wettbewerb um die höchste Punktzahl als solche.
Instant-Spiele sind von Bedeutung
Der Einstieg ist leicht, und man kann ohne langes Regelstudium gleich losspielen. Mit «Nmbr 9» lassen sich deshalb auch Wenigspieler an den Tisch locken. Das ist insofern von Bedeutung, als viele Menschen erfahrungsgemäss erst über solche Instant-Spiele den Weg in die schöne weite Welt der grossen Spiele finden. Sofern sie nicht beim Einstieg frustrierende Erlebnisse machen. Und das ist hier nicht der Fall.
Die Herausforderung, die sich in «Nmbr 9» stellt, ist tricky: Ziel ist es nämlich, möglichst viele Punkte zu erzielen. Um das zu erreichen, versucht man, die Plättchen möglichst auf hohe Ebenen zu legen. Denn je höher ein Plättchen platziert ist, desto mehr Punkte bringt es ein. Ein Beispiel: Eine 8 auf der untersten Ebene zählt null Punkte, während sie auf dritten mit 24 Punkten geradezu einschenkt (Ebene mal Zahlenwert). Könnte ich frei wählen, würde ich bei dieser Ausgangslage zuerst niedrige Zahlenwerte wählen, danach die Sechser, Siebener, Achter und Neuner. Das würde hohe Punktezahlen generieren. Geht aber nicht, weil die Zahl, die gelegt werden muss, zufällig – mit Hilfe von entsprechenden Zahlenkärtchen – bestimmt wird. Immerhin weiss ich, dass jede Zahl zweimal im Spiel ist, und so kann ich – funktionierendes Gedächtnis vorausgesetzt – den nötigen Platz schaffen, damit ich dann die Acht, die noch kommen muss, möglichst weit oben legen kann. Nach den Regeln darf ich nämlich weder Lücken noch Löcher (wie jene der Null) überbauen. Überhänge sind auch nicht erlaubt.
Mir gefällt die Knobelei
Die Ausgangslage ist jeweils für alle Teilnehmenden identisch. Für mich ist denn auch einer der spannendsten Momente im Spiel, bei der Schlusswertung zu sehen, wie die einzelnen Spieler diese Herausforderung gelöst haben. Warum nur ist meinem Mitspieler gelungen, die Neun so weit oben zu setzen, während ich gezwungen war, sie in der ersten Ebene abzulegen? Da ich meine Überlegungsfehler nicht gerne zugebe, erkläre ich meistens so: «Er hat einfach das bessere Vorstellungsvermögen als ich.» Es ist tatsächlich so, dass gewisse Menschen rascher sehen als andere, wie man eine Tangram-Figur aus den verschiedenen Einzelteilen zusammensetzt. Das ist auch bei «Nmbr 9» so. Selbst wenn ich persönlich zur schwächeren Kategorie gehöre, gefällt mir die Knobelei, mit der mich das Spiel herausfordert. Man kann das meinetwegen als masochistisch bezeichnen. Und es stört mich auch nicht, dass die taktisch-strategischen Möglichkeiten angesichts des relativ hohen Glücksfaktors eher begrenzt sind. Bei «Take it easy» ist das übrigens ähnlich, dennoch gehört dieses kleine Legespiel seit Jahren zu den beliebtesten seiner Kategorie.
«Nmbr 9» kann wie ein traditionelles Puzzle oder aber wie ein Game auf dem Tablet solo gespielt werden, ohne dass man die Regeln anpassen muss. Das ist möglich, weil ich auch in der Mehrpersonenvariante für mich alleine spiele und eine direkte Interaktion unter den Mitspielenden nicht stattfindet. Dieser Umstand hat in der Kritiker- und Bloggerszene eine breite Diskussion ausgelöst, besonders nachdem Tom Felber auf «NZZ online» geschrieben hatte, das Spiel sei «unsozial» und «geeignet für Leute, die gerne puzzeln und denen Mitspieler eigentlich eher lästig sind». Um diesen Verriss einzuordnen, muss man der Fairness halber auf eine andere Stelle verweisen, wo Felber grundsätzlich schreibt: «Bei mir steht jedoch klar das Gemeinschaftserlebnis, die Interaktion mit Menschen im Vordergrund. Ich spiele hauptsächlich, um mit anderen zusammen ein Erlebnis zu kreieren, wie es durch sonstige Medien, Produkte oder Kulturgüter nicht entstehen kann. Die Beurteilung von Brettspielen ist deshalb nicht die Analyse eines Produkts. Wer Brettspiele beurteilt, muss vor allem das Erlebnis beurteilen, welches durch das Produkt oder Werk ermöglicht wird: ‹Don’t look at the game, watch the player›, lautet ein wichtiger Grundsatz.»
Für jeden Geschmack
Ich gehe mit meinem Kritikerkollegen einig, meine aber, dass das nicht für jedes Spiel gelten muss. Das Schöne ist für mich, dass der Markt heute tolle Spiele für jedes Bedürfnis anbietet, für jeden Geschmack und für jeden Charakter. Ich finde die passenden Titel, wenn ich das Gemeinschaftserlebnis suche, aber auch Titel, wenn mir mal nach Grübeln steht. Einmal habe ich Lust auf den Lärm und das Hurrahallo der so genannten Party-Spiele, ein andermal geniesse ich die Ruhe eines Legespiels.
Übrigens: In meinen «Nmbr 9»-Runden ist es meistens nicht bei einer Schnupperpartie geblieben. Vielleicht hängt es mit dem zusammen, was Novalis in den «Fragmenten» geschrieben hat: «Spielen ist Experimentieren mit dem Zufall.» Oder vielleicht auch nur, weil das Schnuppern Spass gemacht und Lust auf mehr geweckt hat.
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Nmbr 9: Legespiel von Peter Wichmann für 1 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Abacus Spiele / Game Factory (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), Fr. 19.90
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied.
Eignet sich das Spiel für Leute, die praktisch kein Gedächtnis mehr haben? Wenn nicht, gibt es solche Spiele die zudem ganz einfache Regeln haben?