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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Von der Eleganz japanischer Gartenbaukunst

Synes Ernst. Der Spieler /  Mit der Neuerscheinung «Miyabi» beweist der Autor Michael Kiesling, dass er ein Meister der taktischen Legespiele ist.

Der Bremer Spieleautor Michael Kiesling scheint einen Horror vor leeren Flächen zu haben. Nicht so, dass sie ihn lähmen, sondern im Gegenteil. Sie beflügeln seine Kreativität. Anders ist kaum zu erklären, dass er in den vergangenen Jahren drei Titel veröffentlicht hat, bei denen es darum geht, die anfängliche Leere in ein Kunstwerk zu verwandeln. Mit «Sanssouci» (2013, Ravensburger) versetzt Kiesling Spielerinnen und Spieler in den prachtvollen Park des Potsdamer Stadtschlosses, wo sie versuchen müssen, mit der Gestaltung eines möglichst schönen Gartens möglichst viele Adlige als Besucher anzulocken. In «Azul» (Plan B Games/Next Move, 2017, «Spiel des Jahres 2018») gilt es, die Wände des portugiesischen Königspalasts in Evora mit farbigen Kacheln zu verschönern. Nach Mauern und Mörtel ist jetzt mit «Miyabi» (2019, Haba) Filigraneres angesagt: Jede Spielerin und jeder Spieler plant nach den traditionellen Miyabi-Regeln einen japanischen Garten mit dem Ziel, den Titel des «besten Gartenbaumeisters der Saison» zu erringen.

Abstraktes Legespiel

Von diesen traditionellen Miyabi-Regeln braucht man allerdings nichts zu verstehen. Denn mit japanischer Gartenbaukunst hat dieses Spiel gar nichts zu tun. Das Thema wirkt aufgesetzt, «Miyabi» ist letztlich ein abstraktes Legespiel, wobei zu sagen ist, dass der Titel, unter dem es erschienen ist, besser zum Charakter des Spiels passt als «Crazy Gardens», wie es ursprünglich als Prototyp noch geheissen hatte. Hier geht nichts drunter und drüber, und nichts Verrücktes passiert. Die Gattung der Legespiele, also auch «Miyabi», zeichnet sich generell durch einen eher ruhigen Verlauf aus, bei denen sich aus dem Nichts heraus eine kunstvoll gestaltete Fläche entwickelt, die man sich dann als farbige Wand in einem portugiesischen Königspalast oder als japanischen Garten vorstellen kann.

Legespiele konfrontieren uns nicht mit mehr oder weniger reich befrachteten Spielplänen, auf denen man sich zuerst orientieren muss. Weil man hier Teil für Teil selber ablegt, ist man von Anfang an mit der sich entwickelnden Landschaft vertraut. Das erleichtert den Einstieg enorm, was unter anderem die Beliebtheit dieser Gattung bei «Normal»spielern und vor allem bei der Generation der Älteren erklärt.

Zwei Grundregeln

Mit diesen allgemeinen Bemerkungen ist schon einiges über «Miyabi» gesagt. Pro Bauphase werden zu Beginn Gartenteile ausgelegt. Wie viele es sind, hängt von der Zahl der Teilnehmenden ab. Auf diesen Teilen sind die Objekte wie Pagoden, Buchsbäume oder Azaleensträucher abgebildet, mit denen wir unseren Garten ausstatten wollen. Dieser ist überschaubar in sechs Reihen und Spalten gegliedert. Wer an der Reihe ist, wählt aus der Auslage eines der unterschiedlich grossen Teile und platziert es in seinem Garten. Dabei muss man sich an zwei Grundregeln halten: Seitliche Markierungen auf dem Gartenplan geben an, welche Objekte in welche Reihe abgelegt werden müssen. Das ist die erste Regel. Und liegt in einer Spalte bereits ein Dekorationselement, so ist diese für alle weiteren Objekte gesperrt. Das ist die zweite Regel.

Frei von unnötigem Regelballast können wir uns also den Herausforderungen stellen, die «Miyabi» uns japanischen Hobbygärtnern bietet. Gefragt sind namentlich planerische und taktische Fähigkeiten. Ziel ist es nämlich, mit unserer Gartengetaltung möglichst viele Punkte zu erzielen. Denn nicht jedes Objekt ist gleich viel wert. So bringen Ahornbäume mehr Punkte ein als etwa Azaleen oder Steine. Deshalb muss man sich sehr gut überlegen, welches Teil man aus der Auslage nimmt, zumal dort pro Bauphase jeweils nur eine beschränkte Zahl vorhanden ist. Zudem sollte man aufpassen, dass einem die Teile, die man gerne gehabt hätte, nicht vor der Nase weggeschnappt werden.

Mit einer dritten Dimension

Michael Kiesling ist noch einen Schritt weitergegangen und hat seinem Legespiel in listiger Absicht eine dritte Dimension beigefügt. Man baut bei «Miyabi» nämlich auch in die Höhe, wobei für das Aufeinanderschichten der Teile wiederum bestimmte Regeln gelten. Mehrere Ebenen zu schaffen, zahlt sich punktemässig aus: Die Anzahl der Felder des Plättchens wird nämlich multipliziert mit der Höhe, auf der es liegt. Das Ergebnis darf man auf seinem Punktekonto verbuchen. Dieses raffinierte Wertungssystem, das an jenes im ebenfalls empfehlenswerten Legespiel «Nmbr9» erinnert, verleiht «Miyabi» einen besonderen Reiz und macht es taktisch anspruchsvoller als andere Spiele dieser Gattung, vor allem auch mit den beiliegenden Erweiterungen. Wer in «Miyabi» nicht voraus plant und ein paar Schritte weiterdenkt, muss seinen Traum vom schönsten Garten Japans rasch begraben. Ein Teil, schnell und unüberlegt platziert, und schon muss man mit Schrecken feststellen, dass man damit weitere Möglichkeiten im wahrsten Sinn des Wortes verbaut hat. Bitter.

Interaktion unter den Mitspielenden bietet «Miyabi» nicht ausgesprochen viel. Es lohnt sich zwar, die Gartenbautätigkeit der Konkurrenz immer ein wenig im Auge zu behalten und sich zu merken, wer eher auf die Mehrheitenwertung bei den einzelnen Objekten aus ist und wer seine Punkte machen will, indem er vor allem in die Höhe baut. Entsprechend versucht man, seine Taktik anzupassen.

«Miyabi» hat ein klares Zielpublikum. Es sind Spielerinnen und Spieler, die anhand einer Vorgabe, die ein paar ansprechende taktische Herausforderungen bietet, gerne planen und gestalten. Jene hingegen, die am Spieltisch Action und Emotionen suchen, werden «Miyabi» nicht zu ihrem Lieblingsspiel wählen. Sie wären vom ursprünglichen Titel «Crazy Gardens» garantiert auf eine falsche Fährte gelockt worden.


Miyabi: Taktisches Legespiel von Michael Kiesling für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Verlag Haba (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 42.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

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