Der Spieler: Tolle Spielerlebnisse für die Zeit zu zweit
Corona-Zeit ist die Zeit der Zweipersonenspiele: Wo man auch Empfehlungen liest, welche Spiele Abwechslung in die von den Behörden verordneten eintönigen Tagesabläufe bringen könnten, stehen praktisch überall Titel, die zu dieser Gattung zählen, zuoberst auf der Liste. Dieser Befund ist leicht zu erklären.
Der erste Grund ist sozio-demographischer Natur. Immer mehr Menschen leben in Kleinhaushalten. 29 Prozent der Schweizer Bevölkerung lebt nach Angaben des Bundesamts für Statistik zu zweit in einem Haushalt. Ein Drittel aller Haushalte sind Zweipersonenhaushalte, die damit in der Statistik die zweite Stelle hinter den Single-Haushalten (36 Prozent) belegen. Wo zwei Menschen zusammenleben, ist davon auszugehen, dass sie auch einen Teil ihrer Freizeit miteinander verbringen. Entsprechend hoch oder gar noch steigend dürfte die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten sein. Dazu zählen sicher auch geeignete Karten-, Brett- und Gesellschaftsspiele.
Zwei finden sich immer
Daneben gibt es unabhängig von dieser Feststellung einen weiteren, praktischen Grund. Partien für zwei Personen sind nun mal leichter zu organisieren als Runden, bei denen vier oder mehr Spielerinnen und Spieler dabei sind. Bis man sich da manchmal auf einen Zeitpunkt geeinigt hat, der allen passt …
Auf diese Herausforderungen haben sich die Verlage seit längerem eingestellt: Die Zahl der Zweipersonenspiele hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. Um den Markt mit seinem steigenden Wachstumspotenzial noch besser zu bedienen, haben einzelne Anbieter eigene Reihen geschaffen, wie etwa Kosmos, der 1996 mit dem Kartenspiel zu «Siedler von Catan» die Marke «Spiele für Zwei» lancierte, unter der bis heute rund 50 Titel erschienen sind. Andere wiederum haben aus Mehrpersonen- und Familienspielen eigene Varianten für zwei Personen entwickelt, zum Beispiel «Codenames Duett», «Agricola», «Imhotep» und «7 Wonders Duel». Wer explizit nach Zweierspielen sucht, wird problemlos auf passende Titel stossen, da sie in der Regel entsprechend gekennzeichnet sind.
Drei geeignete Titel
Schwieriger ist es hingegen, im riesigen Angebot von Brett-, Karten- und Gesellschaftsspielen, die für grössere Gruppen (bis fünf oder sechs Teilnehmende) gedacht sind, auf solche zu stossen, die ein gutes Spielerlebnis bieten, selbst wenn nur zwei Teilnehmer am Tisch sitzen. Ich stelle im folgenden drei Titel vor, die diesen Anspruch unbedingt einlösen.
Azul von Michael Kiesling entführt die Spielenden nach Portugal. König Manuel I. will seinen Palast nach dem Vorbild der maurischen Alhambra in Granda mit farbigen Kacheln (Fliesen) verschönern lassen. Den Auftrag dazu bekommen wir, und weil es so mehr Spass macht, erledigen wir den Job als Wettbewerb und kämpfen um Punkte, die wir für besonders schöne Kachelreihen bekommen. Die bringt aber nur zustande, wer bereits bei der Wahl des Materials taktisch klug vorgeht. Wer in der Manufaktur schludert, riskiert viel Bruch. Michael Kiesling hat einige raffinierte Mechanismen eingebaut, sehr zur Freude des Fliesenlegers, der sie beherrscht und auf diese Weise seinem Mitbewerber manch schöne Kachel vor der Nase wegschnappt. Das hervorragend ausgestattete Legespiel hat 2018 die begehrte Auszeichnung «Spiel des Jahres» gewonnen. Es gehört zu den beliebtesten taktischen Mehrgenerationenspielen.
Vom Westen in den Fernen Osten: In Machi Koro von Masao Suganuma betätigen wir uns als Städtebauer. Wobei der Begriff «bauen» nicht wörtlich zu nehmen ist. Denn wir bauen unsere Stadt nicht, sondern errichten sie mit Hilfe von Würfeln und Karten. Was von den beiden wichtiger ist, lässt sich nicht eindeutig sagen. Es braucht beide. Die Kartenauslage visualisiert meine Stadt. Diese ist beim Start mit Weizenfeld und Bäckerei klein, vergrössert sich dann aber mit Möbelfabriken, Bergwerken, Cafés, Stadien, Einkaufszentren und vielen anderem mehr sehr rasch. Um das Wachstum zu finanzieren, brauchen die Städtebauer Geld, viel Geld sogar. Dieses fliesst aus den Erträgen der bereits getätigten Investitionen. Und genau hier liegt der Clou von «Machi Koro», das 2015 zum «Spiel des Jahres» nominiert war: Man wirft einen oder zwei Würfel und bestimmt auf diese Weise, welchen Ertrag welcher Typ von Karten abwirft. Der Zufall spielt also eine entscheidende Rolle. Was ein echter Städtebauer sein will, versucht zwar, mit der Optimierung seiner Auslage seines Glückes eigener Schmied zu sein, aber eben, ob gerade die Zahlen fallen, die zu meinem Vorteil sind, habe ich nicht in der Hand. Doch ist es gerade dieses Moment des Ausgeliefertseins, das «Machi Koro»-süchtig macht: In der nächsten Partie wird es sicher besser laufen …
Keine geographische Lokalisierung kennt Splendor von Marc André, dafür aber eine zeitliche: Wir versetzen uns in die Renaissance und schlüpfen in die Rolle von Edelsteinhändlern, welche mit dem Sammeln von wertvollen Juwelen zu hohem Prestige kommen wollen. Wer an der Reihe ist, hat drei Handlungsmöglichkeiten: Man bedient sich entweder im Vorrat von Edelstein- und Goldchips, reserviert sich oder kauft sich eine Entwicklungskarte. Für den Kauf benötige ich die entsprechenden Chips. Jede Karte hat einen bestimmten Wert an Prestige- und (fast noch entscheidender) Bonuspunkten. Denn je mehr ich von diesen habe, desto günstiger werden meine weiteren Einkäufe. Entsprechend optimiere ich als Händler meine Sammeltouren. Die griffigen Chips verleiten zu schnellem Spielen, Pokerspielen kennen das. Doch je rasanter das Tauschgeschäft, desto schwieriger ist es, die Entwicklung auf dem Tisch im Auge zu behalten. Höchste Aufmerksamkeit in diesem 2014 zum «Spiel des Jahres» nominierten Titel ist also gefragt.
Wenig Interaktion heisst nicht wenig Emotion
Warum sind diese drei Mehrpersonenspiele für zwei Personen besonders geeignet? Das hängt im wesentlichen damit zusammen, dass sie ihr Potenzial unabhängig von der Zahl der Teilnehmenden entwickeln. Die Interaktion unter den Spielerinnen und Spielern ist relativ gering, ebenso die Kommunikation.
Eine Partie «Machi Koro» könnte beispielsweise ablaufen, ohne dass man überhaupt ein Wort miteinander spricht. Trotzdem kommt ein Spielerlebnis zustande, dank dem Eifer jedes Einzelnen, ein Optimum aus seinen Möglichkeiten herauszuholen, dank dem Mitfiebern beim Würfeln, dank der Freude, wenn die erhoffte Zahl gefallen ist, oder umgekehrt dank dem Frust, wenn der Würfel nicht macht, was man will. Das heisst: Wenig Interaktion muss nicht gleichbedeutend sein mit wenig Emotion. Diese wollen wir, auch beim Spielen zu zweit, gerade in diesen Zeiten.
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Azul: Taktisches Legespiel von Michael Kiesling für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Next Move / Plan B Games / Pegasus, ca. Fr. 60.-
Machi Koro: Städtebauspiel von Masao Suganuma für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Kosmos-Spiele, ca. Fr. 19.-
Splendor: Taktisches Tausch- und Sammelspiel von Marc André für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 9 Jahren. Space Cowboys, ca. Fr. 45.-
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.