Der Spieler: Spielend für Toleranz
Es geschehen noch Zeichen und Wunder: In der sonst bis aufs Steissbein unpolitischen Welt der Spiele regt sich plötzlich Widerstand gegen rechte Hetze, gegen Ausgrenzung, gegen Antisemitismus, Rassismus und Gewalt, gegen eine besorgniserregende Entwicklung, die sich in den vergangenen Wochen und Monaten immer radikaler manifestiert. Udo Bartsch, Martin Klein und Harald Schrapers, drei Spielejournalisten und gleichzeitig Mitglieder der Jury «Spiel des Jahres», haben die Initiative «Spielend für Toleranz – Gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit» gegründet. Dieser haben sich innerhalb kürzester Zeit eine grosse Zahl von Spielekritikerinnen und -kritiker sowie über 80 Spieleblogs angeschlossen, ebenso der Interessenverband der Spieleautorinnen und -autoren (SAZ).
„Mit Euch spiele ich nicht“
Man könne die Situation nicht ändern, indem man ein Emblem «Spielend für Toleranz» in seinem Blog anbringe, schreibt Udo Bartsch und fährt fort: «Aber das Emblem ist immerhin ein sichtbares Zeichen, um nicht weiter nur zu schweigen und zuzuschauen. Sondern um zu signalisieren: Ich bin für Demokratie und Menschenrecht. Ich bin für Toleranz. Ich bin gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit und gegen Nazis.»
Fairness, Respekt, Rücksichtnahme, Toleranz, Gleichheit, Dialog und Offenheit bezeichnet Martin Klein als «unumstössliche» Werte, die für ihn nicht nur am kleinen Spieltisch im Wohnzimmer gelten, sondern auch am «grossen Spieltisch des Lebens». Mit der Initiative «Spielend für Toleranz» erteile er der «lauten Minderheit, die sich uneinsichtig nicht an diese Normen halten» wolle, eine klare Antwort: «Mit Euch spiele ich nicht. Und zwar im Grossen wie im Kleinen. Mit der wunderbar bunten und viel grösseren namens ‹alle anderen› dafür um so lieber.»
Harald Schrapers, der dritte Initiant, begründet sein Engagement schliesslich wie folgt: «Wir müssen unsere offene Gesellschaft und die europäischen Werte gegen diejenigen verteidigen, die in den sozialen Medien Hassbotschaften verbreiten, Desinformation mit Fake News betreiben und die Meinungs- und Pressefreiheit beschneiden wollen. Dem stellen wir uns entgegen. Denn die Spiele-Szene steht für Toleranz und Respekt gegenüber jedermann, ganz egal welcher Herkunft, welchen Geschlechts, welcher sexuellen Identität oder religiösen Überzeugung er oder sie ist.“
Das Medium des Miteinander
Allein schon diese drei Statements zeigen, dass das Spiel für eine Initiative dieser Art prädestiniert ist. Es ist – neben Film und Musik – das Kulturmedium der Integration und des Miteinander. Da es ohne Regeln kein Spiel gibt, müssen alle, die an einem Spiel teilnehmen wollen, bereit sein, diese Regeln einzuhalten. Sonst kommt das Spiel nicht zustande. Die Regeln gelten für alle, egal ob sie Frau oder Mann sind, jung oder alt, katholisch oder jüdisch, weiss oder schwarz. Dieses Gesetz verleiht so dem Spiel über die Grenzen von Geschlecht, Alter, sozialer Stellung, Nationalität, Religion und Hautfarbe hinweg eine starke verbindende Kraft.
In diesem Zusammenhang erinnere ich mich immer wieder an eine Fotografie im Deutschen Spielearchiv, damals noch in Marburg: Abgebildet sind eine ältere Frau und ein Jugendlicher mit einer prächtigen Irokesenfrisur, die Dame oder Halma spielen. Gegeneinander zwar, aber miteinander. Im normalen Alltag würde die Alte wohl einen weiten Bogen um den Jungen machen, weil sie ihm nicht über den Weg traut, aber hier, beim Spiel, sitzt sie ihm gegenüber, sieht ihm bisweilen in die Augen – friedlicher geht es nicht! Das gemeinsame Spiel bringt sie zusammen. Die Regeln gelten für beide auf unserer Foto, gelten für alle, die sich auf ein Spiel einlassen. Dieser Zwang hat aber auch eine positive Kehrseite: Er sorgt dafür, dass alle gleichberechtigt am Spieltisch sitzen. Dieser Umstand ist von zentraler Bedeutung, weil das Spiel auf diese Weise einen Raum schafft, in dem jene Werte gelebt werden können, die heute besonders gefährdet sind: Fairness, Toleranz, Dialog, Offenheit, Demokratie.
Schritt auf das Gegenüber zu
Das Spiel ist für mich das Medium der Empathie. Wenn ich spiele, muss ich mich in meine Mitspielerinnen und Mitspieler hineinversetzen, ich muss mir vorstellen, welche Züge sie als nächstes machen werden, um so ihre Strategien und Taktiken zu durchkreuzen. Will ich dabei Erfolg haben, muss ich mir immer wieder Fragen stellen wie: Wie wird mein Konkurrent reagieren? Welcher Spielertyp ist er? Aggressiv oder doch eher defensiv? Ist er vertrauenswürdig, kann ich mit ihm eine Koalition eingehen oder ist Vorsicht angebracht? Mit Vorurteilen kommt man im Spiel erfahrungsgemäss nicht weit, mit Neugier hingegen schon. Diese Tugend lässt sich auch mit Interesse für das Gegenüber umschreiben. Wer es bekundet, macht bereits einen Schritt auf den Mitspieler zu, indem er ihm signalisiert, dass er ihn kennenlernen und verstehen möchte. In der Realität des Alltags wäre diese niederschwellige Kommunikation bereits der Anfang eines Integrationsprozesses.
Kommunikation, Integration Neugier, Austausch: Damit ist auch das soziale Potenzial angesprochen, das in jedem Spiel steckt. Fragt man Menschen, welchen Wert oder welche Bedeutung das Spiel für sie habe, wird neben dem Unterhaltenden praktisch immer das Gesellschaftliche erwähnt. Für viele ist das Spiel fast nur Mittel zum Zweck, das Vehikel, das sie zusammenbringt und nicht das Vehikel, das sie voneinander trennt.
Spielen ist untrennbar mit Leichtigkeit und Fröhlichkeit verbunden (was eine gewisse Ernsthaftigkeit nicht ausschliesst). Was haben wir in unzähligen Spielrunden nicht schon gelacht, in der Familie, mit Freunden, auch in Workshops, in denen zur Abwechslung Spiele auf den Tisch kamen. Lachen hat viele Bedeutungen, auch das Lachen beim Spiel. Es kann Situationen entschärfen und so mögliche Konflikte verhindern. Und das gemeinsame Lachen erst? Es verstärkt bestehende soziale Beziehungen und schafft aus dem Nichts heraus neue – was gibt es Besseres gegen Ausgrenzung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.
Gegen rechte Hetze! Interessant dass selbst dieses Spiel über Ausgrenzung und Ablehnung kommuniziert wird (was mit der eigenen Ablehnung des Autoren zu tun hat). Man hört es nicht gerne, aber auch „Gegen Rechts“ ist = Ablehnung und Ausgrenzung. Erst weiter unten spricht das Spiel ALLE Menschen an und richtet sich nicht spezifisch «gegen jemand». Hierzu eine passende Weisheit auf Westafrika: Fehler sind wie Berge. Man steht auf dem Gipfel seiner eigenen und redet über die der anderen.
Wenn ich dieses Spiel richtig verstanden habe, müsste das fett Gedruckte entweder über die eigene Grenze hinausgehen und das „Gegen rechte Hetze“ auslassen oder der Fairness halber auch linke Ausgrenzung und Hetze erwähnen (von der es nicht weniger gibt). Jeder Mensch trägt Ablehnung in sich. JEDER. Diese Ablehnung richtet sich letztendlich immer gegen sich selbst. Ein Spiel das die Selbstreflektion und das Verständnis für seine eigene Ablehnung (somit auch die anderen gegenüber) fördert, finde ich grossartig!