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Spielexperte Synes Ernst © cc

Der Spieler: So lebt der Klassiker Domino weiter

Synes Ernst. Der Spieler /  Domino sei ein Kinderspiel, jammern viele. Vor allem solche, die nicht sehen, dass diese Spielidee lebt. In «Kingdomino» etwa.

Haben Sie auch schon versucht, einen angefressenen Jass-Spieler von der Schönheit eines anderen Kartenspiels zu überzeugen? Oder einen Skat-Spieler? Eine Tichu- oder Dog-Spielerin? Keine Chance. Sie halten ihr Spiel für das beste überhaupt. An dieses lassen sie nichts heran. Besonders schlimm wird es, wenn sie sich in Interessenverbänden organisieren. Diese vergleiche ich gerne mit Heimatschutzverbänden, in denen schon ein kurzer Blick über den eigenen Horizont einem Tabubruch gleichkommt. Äussert sich die Welt da draussen nicht ebenso euphorisch über das Objekt ihrer Zuneigung wie sie selber, fühlen sie sich unverstanden und ungerecht behandelt.

Bei den Vorbereitungen zu diesem Artikel bin ich wieder einmal auf ein Musterbeispiel solchen Verhaltens gestossen. Auf der deutschsprachigen Webseite der «Fédération Internationale de Domino (FIDO)» lese ich unter dem Titel «Domino – ein Kinderspiel?»: «Diese Erklärung aus dem Brockhaus von 1999 spiegelt das ganze Elend wider, in dem sich DominospielerInnen in Deutschland behaupten müssen.» Was hat denn diese Frustration ausgelöst? Es ist die Definition: «Das Dominospiel: Legespiel für 2 bis 8 Spieler mit meist 28 rechteckigen Dominosteinen, die in zwei Felder geteilt sind. Jedes Feld trägt 0-6 Punkte (Augen) in allen möglichen Verbindungen …» Dazu der Kommentar auf der Webseite: «Schon die Verbindung der Aussagen mit meist 28 … Steinen und 0-6 Punkte in allen möglichen Verbindungen macht deutlich, dass Domino eher mit dem Aufstellen und Umwerfen von Steinen als mit Mathematik verbunden wird.» Am liebsten hätten die Domino-Funktionäre der Mutter aller Lexika entgegnet: «Erstens versteht ihr nichts von der Sache und zweitens habt ihr uns beleidigt, weil die Definition unser Domino zum Kinderspiel degradiert.»

Blick über den Rand

So viel Beleidigtsein wäre nicht nötig. Wenn nämlich die Domino-Freaks nur ein wenig über den Rand ihrer Steine hinaus blickten, würden sie zu ihrer Freude feststellen, wie ihr Liebling in der heutigen Spielelandschaft präsent ist. Jahr für Jahr kommen neue Ableger und Varianten des Klassikers auf den Markt. Die Gattung der Legespiele, die letztlich auf Domino zurückgeht, gehört derzeit wohl zu den vitalsten. Selbst wenn das ursprüngliche Domino als Erwachsenenspiel ein wenig in Vergessenheit geraten ist – ein Schicksal, das es mit vielen anderen Spielen teilt, die ebenfalls aus der Mode geraten sind – , ist Jammern nicht angebracht. Denn die Spielidee lebt, und wie!

Eine besonders schöne und gleichzeitig intelligente Variante hat der französische Autor Bruno Cathala mit «Kingdomino» geschaffen. Wer den Namen liest, weiss auch gleich, dass es sich um ein Legespiel handeln muss. Irgendwie spielen auch Königreiche (Kingdom) eine Rolle. Ein gelungener Titel, weil er den Spielerinnen und Spielern exakt sagt, was sie erwartet. Und interessant: Offenbar vertraut der Verlag auf die magische Kraft der Herkunfts- und Verwandtschaftsbezeichnung «Domino»: «Domino kennen wir doch, Domino ist gut, also muss ’Kingdomino› auch gut sein.»

In der Rolle des Königs

Als Spieler schlüpfe ich in die Rolle eines Königs, der über ein kleines Königreich herrscht. Mit meinem Besitztum bin ich nicht ganz zufrieden, folglich möchte ich ihn vergrössern. 5 mal 5 Felder wird am Schluss mein Königreich umfassen. Doch nicht die Grösse allein entscheidet über den Ausgang des Spiels, sondern der Wert meiner Ländereien, die ich nach bestimmten Regeln angeordnet habe. Punkte bekomme ich, wenn es mir gelingt, möglichst grosse Gebiete aus jeweils einem Landschaftstyp (Wiese, Wüste, Wald) mit wertvollen Gebäuden zu bilden.

Was ist denn nun das Besondere, das «Kingdomino» aus dem Durchschnitt hinaushebt und zu einem empfehlenswerten Spiel macht? Da ist einmal Verknappung des Raumes, der einem zur Verfügung steht. 5 mal 5 Felder, das grenzt die Möglichkeiten zur kreativ-üppigen Entfaltung (wie etwa in «Carcassonne») enorm ein. Wer am Schluss ein prestigeträchtiges Königreich sein eigen nennen will, muss also planen und vor allem aufpassen, dass er sich die eh schon knappen Möglichkeiten nicht noch verbaut. Dies im wahrsten Sinne des Wortes. «Kingdom»-Autor Cathala schenkt aus diesem Grund dem Moment der Planung besondere Beachtung. Wer an der Reihe ist, wählt aus vier Landschaftsplättchen (die in der Spielanleitung als «Dominosteine» bezeichnet werden) eines aus und baut es in sein im Wachsen begriffenes Königreich ein. Gleichzeitig reserviert man in einer zweiten Auslage von ebenfalls vier Landschaftsplättchen jenes, das man dann im nächstfolgenden Zug für sich haben möchte. Ausschlaggebend für die Wahl dieses Plättchens ist allerdings nicht nur der darauf abgebildete Landschaftstyp (Wald oder Wiese?), sondern auch seine Platzierung in der Auslage: Wer ein Plättchen vorne in der Reihe für sich reserviert, kommt in dieser Runde früh dran. Unproblematisch, wenn das entsprechende Plättchen auch in mein Königreich passt. Was aber, wenn ich ein Plättchen haben möchte, das ganz am Ende liegt? Ich wäre folglich als Letzter dran und hätte als Letzter die Wahl für die übernächste Runde und müsste womöglich etwas nehmen, das mir meine schönste Planung über den Haufen werfen würde.

Klingt ein wenig kompliziert, ist in Wirklichkeit aber sehr einfach. Denn «Kingdomino» besticht durch seine Eleganz und Schlichtheit, seine Geradlinigkeit und Transparenz. Autor und Redaktion haben der Versuchung widerstanden, hier noch ein Zusatzelement und da noch einen Umweg einzubauen, die das Ganze nicht bereichert, sondern nur verkompliziert hätten. Wäre das der Fall gewesen, hätte «Kingdomino» irgendwie die Domino-Grundidee verraten. Und dann wären vermutlich auch jene Dilemma-Situationen abgeschwächt worden, in die man hier immer wieder gerät und die den herausfordernden Reiz ausmachen, der ein spannendes Spielerlebnis garantiert und den ich bisher in allen «Kingdomino»-Runden beobachtet habe.

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Kingdomino: Taktisches Legespiel von Bruno Cathala für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Pegasus-Verlag (Vertrieb Schweiz: Fata Morgana, Bern), Fr. 27.-


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied.

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