Der Spieler: So herausfordernd ist das Energie-Business
Droht der Schweiz eine Stromknappheit? Die Debatte um die Energieversorgung unseres Landes ist in den vergangenen Wochen und Monaten wieder intensiver geworden. Mit den Gründen, weshalb die Debatte ausgerechnet jetzt immer höhere Wellen wirft, und mit ihren Inhalten will ich mich in der Kolumne «Der Spieler» nicht befassen. Ich nehme sie vielmehr als Anlass, einen, vielleicht gar den Klassiker unter den Spielen vorzustellen, deren Thema die Strom- und Energieversorgung ist.
Es handelt sich um «Funkenschlag» von Friedemann Friese. Als Spielerinnen und Spieler führen wir Konzerne, die mit ihren Kraftwerken elektrischen Strom produzieren und damit Städte mit Energie versorgen. Wie in der Wirklichkeit wollen die Unternehmen Gewinne erzielen, entsprechend fliesst der «Elektro», wie die Währung hier sinnvollerweise heisst.
Nichts von seiner Attraktivität eingebüsst
Erschienen ist das Wirtschaftssimulationsspiel im 2F-Verlag des Autors erstmals 2001, dann 2004 in der heutigen Form (2018 aufgefrischt als «Recharged»). Seine englische Version «Power Grid» belegt im Ranking auf der weltweit wichtigsten Spieledatenbank von Boardgamegeek immer noch Platz 48. Dies zeigt, dass «Funkenschlag» bis heute nichts von seiner Attraktivität eingebüsst hat. Und das, obwohl es zum einen ein respektables Alter aufweist und zum andern nicht als lockerer Leichtgänger bezeichnet werden kann. Das spricht für seine Qualität, unbedingt.
Schwergewicht mit Kultstatus: Dass «Funkenschlag» zu dem geworden ist, ist die grosse Leistung des Autors Friedemann Friese. Er hat hier ein paar Ideen und Mechanismen umgesetzt, die zwar anspruchsvoll sind, gleichzeitig aber auch ein höchst intensives Spielerlebnis garantieren.
Das Erfolgsrezept von «Funkenschlag»
Der Erfolg von «Funkenschlag» basiert zur Hauptsache auf dem folgenden Rezept:
Klare Struktur: Das komplexe Spielgeschehen würde die Mitspielenden glatt überfordern, wenn es nicht klar durchstrukturiert wäre. «Funkenschlag» verläuft über mehrere Stufen und Runden, die aus fünf Phasen bestehen. Zuerst wird jeweils die Spielerreihenfolge festgelegt, die im Verlauf des Spiels wechseln kann, weil als beste Spielerin immer diejenige gilt, die am meisten Städte angeschlossen hat.
Da es für die Stromproduktion Kraftwerke braucht, kann man in der zweiten Phase ein solches ersteigern. Anschliessend geht es auf den Rohstoffmarkt, wo man sich die für den Betrieb erforderlichen Rohstoffe – Kohle, Öl, Müll und Uran – ersteht. So ausgerüstet baut man in der vierten Phase auf der Landkarte sein Netz aus, um Städte an die Stromversorgung anschliessen zu können. Als letzte folgt in jeder Runde die als «Bürokratie» bezeichnete fünfte Phase, in der man Geld kassiert sowie den Kraftwerk- und den Rohstoffmarkt für die nächste Runde aktualisiert. Dieser Ablauf folgt der inneren Logik des Spielthemas, weshalb er leicht zu merken ist.
Stärke allein zählt nicht: Der Erfolg von «Funkenschlag» hängt wesentlich mit dem Spielprinzip zusammen, wonach Stärke allein nicht zum Erfolg führt. Mit einem ausgeklügelten Mechanismus wird nämlich verhindert, dass ein Spieler oder eine Spielerin dem Feld davon zieht, ohne dass sie von den restlichen Mitspielenden noch eingeholt werden können. So macht bei der Auktion der Kraftwerke zwar immer der bestplatzierte Spieler das erste Gebot, aber jene, die später dran sind, haben echte Chancen, gute oder gar noch bessere Geschäfte zu tätigen. Ein raffinierter Mechanismus ermöglicht dies.
Die umgekehrte Spielerreihenfolge, also der schlechtestplatzierte zuerst, gilt am Rohstoffmarkt. Dies ist insofern von Bedeutung, als man beim Kaufen immer mit den billigen Rohstoffen beginnt. Nach der gleichen Regel werden schliesslich auch die Stromnetze ausgebaut, die hinten Platzierten zuerst.
Ein letztes hübsches Beispiel noch, wie sich der Autor um die «Schwächeren» sorgt: Selbst wenn es jemand nicht schafft, eine Stadt anzuschliessen, geht er bei der Abrechnung nach jeder Runde nicht leer aus. Er bekommt 10 Elektro – quasi als Staatshilfe, damit man nicht ausscheiden muss, weil in der Kasse Ebbe herrscht. Das Friesemannsche Balance-Prinzip hat zur Folge, dass niemand abgehängt wird und sich in der Folge nach drei Runden frustriert zu langweilen beginnt, weil ja eh nichts mehr zu holen ist. Hier bleibt man immer im Spiel, was mit Blick auf die Spieldauer von eineinhalb bis zwei Stunden doch nicht unerheblich ist.
Strategisch/taktisch herausfordernd: Eine so lange Spieldauer lässt sich nur rechtfertigen, wenn man sich in dieser Zeit mit einer Vorlage beschäftigt, die strategisch/taktisch auch eine Menge hergibt. In «Funkenschlag» sind wir dauernd an allen Ecken und Enden gefordert. Zentral ist dabei das Verhalten bei der Versteigerung der Kraftwerke, weil man sich erfahrungsgemäss nur Hoffnungen auf den Sieg machen kann, wenn man über effiziente Kraftwerke verfügt, mit denen man möglichst viele Städte mit Strom versorgen kann.
In dieser Phase des Spiels muss man sich bewusst sein, dass die stärksten Kraftwerke erst nach einer gewissen Zeit in den Verkauf gelangen. Also sollte man sich vorher am Markt mit schwächeren Modellen eindecken, die einem erlauben, jene Rohstoffe zu lagern, die man benötigt, um später die echten Powermaschinen zu betreiben. Man muss also genau planen, wann und wieviel man in Kraftwerke, aber auch in Rohstoffe und Netze investiert. Die wechselseitigen Abhängigkeiten sind offensichtlich, und nicht selten greift man sich an den Kopf und sagt sich: «Oh, hätte ich doch …!»
Das Meccano funktioniert: So komplex «Funkenschlag» auch ist, das Meccano, das heisst das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente, funktioniert. Diese Erfahrung haben Tausende von Spielerinnen und Spielern in den vergangenen zwanzig Jahren gemacht, und das unabhängig von der jeweils gewählten Strategie.
Interaktionen und Emotionen: In vielen grossen Strategiespielen, die nach «Funkenschlag» erschienen sind, plätschert das Spielgeschehen mehr oder weniger vor sich hin. Von Interaktion unter den Teilnehmenden ist dabei – ausgerechnet in einem Medium, das sich stolz «Gesellschaftsspiel» nennt – nicht unbedingt viel zu spüren. Nicht so bei «Funkenschlag». Überall und immer wieder kommen Spielerinnen und Spieler mit ihren Entscheiden einander tüchtig ins Gehege, beim Ersteigern der Kraftwerke, beim Kauf der Rohstoffe oder beim Ausbau des Stromnetzes.
Beispielhaft ist in dieser Hinsicht das Auktionsgeschehen reguliert. Die entsprechenden Bestimmungen schaffen einen Rahmen, in dem man die Konkurrenz durch raffiniertes Mit- und Überbieten fast zur Verzweiflung treiben oder durch zögerliches Verhalten dafür sorgen kann, dass Kraftwerke, die eigentlich für einen günstigen Preis zu haben wären, vom Markt genommen werden müssen. Ausbremsen nennt man dies in der Rennfahrersprache.
Zuletzt noch etwas, womit man sich garantiert Freunde schafft: Sowohl beim Ersteigern von Kraftwerken als auch beim Kauf von Rohstoffen versuchen die meisten, den andern die günstigen Angebote vor der Nase wegzuschnappen. Diese Art von Egoismus gehört nun einmal zu Auktionsspielen. Wer das nicht mag, mache um solche Spiele einfach einen grossen Bogen ….
Unternehmerisches Denken und Handeln
Spielen bedeutet immer auch unternehmerisches Denken und Handeln. Man muss sich ein Ziel setzen und entsprechend Strategien und Taktiken entwickeln, um dieses zu erreichen. Dazu gehört, dass man sich die nötigen Mittel beschafft und diese mit Blick auf die Rendite effizient einsetzt. Es gilt auch, das Umfeld zu beobachten, das Verhalten der Konkurrenz und das Geschehen auf dem Brett (am Markt) zu analysieren. Unternehmerisches Denken beinhaltet auch, verschiedene Wege zur Erreichung des Ziels zu prüfen, die Risiken abzuwägen und Alternativen zu entwickeln. In «Funkenschlag» kommt das alles beispielhaft zum Zug, da im Energie-Business ohne intelligentes Ressourcenmanagement nichts läuft.
Obwohl es in einer grünen Schachtel (Grün ist die Marken- und Hausfarbe des Verlags) verpackt ist – «Funkenschlag» ist kein Öko-Spiel. Energie-, klima- und gesellschaftspolitische Aspekte werden ausgeblendet. «Funkenschlag» war Anfang der 2000er-Jahre als reines Wirtschaftssimulationsspiel konzipiert worden. Als solches gehört es nicht nur zu den Besten seiner Gattung, sondern zu den Top-Spielen überhaupt. Hätte der Autor eine politische Botschaft hineinverpackt, wäre «Funkenschlag», wie die Geschichte solcher Spiele zeigt, ein Nischenprodukt geworden.
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Funkenschlag (Recharged): Strategisches Wirtschaftssimulationsspiel von Friedemann Friese für 2 bis 6 Spielerinnen und Spieler ab 12 Jahren. 2F-Spiele. Fr. 64.-
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker Synes Ernst war lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich bin ein Tessiner Ingenieur, pensioniert: Infosperber gehört zu meinen Pflichtlektüren!
Das Thema Energie, Glasgow, Übergang, usw., ist gerade jetzt aktuell. Kürzlich hat Herr Ernst Synes einen schönen Beitrag verfasst: Der Spieler: So herausfordernd ist das Energie-Business. Ich glaube nicht, dass es wir die Transition zu Nullemissionen schaffen, aus verschiedenen Gründen, die ich Ihnen gerne mitteilen könnte. Aber Sie haben sicher Spezialisten, die die Materie besser kennen.
Kurz gesagt: wenn wir die Trendwende ohne wirtschaftlichen Einbüssen schaffen wollen, haben wir nur zwei praktikabel Alternativen: entweder mehr Atomstrom, oder beim Erdöl/Kohle/gas bleiben. Erneuerbare Quellen (Wind, Solar und Hydro) schaffen es nach einfachen Schätzungen und Lagebeurteilung gar nicht!
Kompliment für Ihre ganze Mannschaft!
Giovanni Coda
+41 79 370 4000
PS: ich kann leider keine Spende leisten, sonst würde ich es gerne tun.