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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Sie sorgen für die Qualität der Spiele

Synes Ernst. Der Spieler /  Von ihnen spricht man kaum. Dabei leisten sie die Arbeit im Hintergrund, bis ein Spiel auf den Markt kommt – die Spielredaktionen.

Es war ein harter Schlag für den Spieleverlag Amigo, als der US-Spielzeugmulti Mattel 1992 die weltweiten Rechte für das Kartenspiel „Uno“ erwarb. Denn mit dem Deal ging der Vertrieb des Mega-Bestsellers, der ab 1986 sechs Jahre lang das ökonomische Fundament des Kleinverlags gebildet hatte, an die Amerikaner. Der finanzielle Einbruch zwang die Inhaber 1993 zum Verkauf ihres Unternehmens an die Berliner Kapitalbeteiligungsgesellschaft. Als dann noch Uwe Pauli Geschäftsführer wurde, sahen viele Insider schwarz für Amigo – branchenfremdes Geld und ein branchenfremder Chef, das konnte ja nicht gut gehen. Doch die Wahl von Pauli war ein kluger Schachzug: Er kam vom Logistikunternehmen CBD im hessischen Dietzenbach und kannte das Vertriebsgeschäft aus dem Effeff. Das war damals, als sich für die bislang ausschliesslich fachhandelsorientierte Spielzeugbranche mit dem US-Giganten Toys ’r Us eine neue mächtige Konkurrenz abzeichnete, eine Überlebensgarantie. Sofern man die geeigneten Produkte im Angebot hatte.

Und die waren bei Amigo vorhanden. Bei den meisten von ihnen hatte Uwe Mölter die Hand im Spiel. Er hatte Mitte der 1990er Jahre als Redaktor bei Amigo angeheuert und diese Tätigkeit während mehr als zwanzig Jahren ausgeübt. Ende dieses Monats geht er in Pension. „Eine Institution verlässt die Spielebranche“, schreibt Amigo in der entsprechenden Medienmitteilung.

Furioser Start

Das war und ist Uwe Mölter in der Tat. Denn er ist einer der Dienstältesten seiner Art, Vertreter einer Generation von Spielbegeisterten, wenn nicht gar Spielverrückten, die in den 1990er Jahren das Szepter in den deutschen Spieleverlagen übernahmen und dort die Grundlage für den beispiellosen Aufschwung des Brett- und Gesellschaftsspiels schufen, der bis heute anhält. Mölters Start bei Amigo war furios: Mit „Elfenland“ von Alan R. Moon sicherte er sich 1998 für seinen Arbeitgeber zum ersten Mal den prestigeträchtigen Titel „Spiel des Jahres“. 1997 hatte Mölter das Kartenspiel „Bohnanza“ von Uwe Rosenberg zur Marktreife gebracht. Mit „Bohnanza“ und den früher erschienenen „6 nimmt!“ von Wolfgang Kramer (1994) und „Wizard“ von Ken Fisher (1996) hat Amigo seither drei Kartenspielklassiker im Sortiment. Sie alle haben sich mittlerweile zu eigentlichen Kultspielen mit jeweils riesigen Fangemeinden entwickelt. Zur Verlagsstrategie von Amigo gehört auch, dass um das jeweilige Basisspiel Serien und Familien entstehen, die dafür sorgen, dass der Ausgangstitel im Neuheitenrummel, der in der Spielebranche massiv ist, nicht untergeht. Dementsprechend besteht eine der wichtigen Aufgaben eines Spielredaktors oder einer Spieleredaktorin, dass er seine Klassiker pflegt und mit ihren Autoren in dauerndem Kontakt steht, um mit ihnen zu überlegen, wie man etwa ein „Bohnanza“ noch weiterdrehen könnte.

Dabei hat jemand wie Uwe Mölter, der nun fast ein Vierteljahrhundert für einen einzigen Verlag tätig war, einen Riesenvorteil: Er kennt „seine“ Autoren, die meist eigenwillige und selbstbewusste Persönlichkeiten sind, mit der Zeit in- und auswendig, er weiss, wo ihre Stärken liegen, und bekommt ein Gespür dafür, wer wann kreativ geführt werden muss und wie stark, und wen er an der langen Leine lassen kann. Personelle Kontinuität in der Redaktion zahlt sich für die Verlage auch deshalb aus, weil Autoren und Autorinnen umgekehrt genau wissen, wem sie vertrauen und an wen sie sich mit ihren Ideen wenden können. Sie gehen dorthin, wo sie sich redaktionell gut betreut und bis hin zu den Vertragsgesprächen fair behandelt fühlen.

Kontinuität sichert Qualität

Es ist denn auch kein Zufall, dass in den führenden deutschen Spielverlagen, die über längere Zeit hinweg mit einem guten Angebot am Markt sind, die gleichen Leute in den Redaktionen über Jahre hinweg zum einen Kontakte zu den Autorinnen und Autoren pflegen und zum andern Spiele von der Idee bis zum fertigen Produkt entwickeln. Solche Kontinuität sichert Qualität, kein Zweifel.

Der Wettbewerb um die besten Spielideen ist hart, weshalb weiche Faktoren, wie etwa das Vertrauen zwischen Redaktion und Autoren, den Ausschlag geben können, dass eine tolle Idee gerade bei diesem Verlag realisiert wird, während ein anderer das Nachsehen hat. Dass Klaus Teuber mit der Idee zu seinem späteren Millionenerfolg „Die Siedler“ zum Stuttgarter Kosmos-Verlag gegangen ist, hängt wesentlich mit dem in der Zwischenzeit leider verstorbenen Reiner Müller zusammen. Müller hatte 1988 als Spieleredaktor bei ASS Teubers Erstling „Barbarossa und die Rätselmeister“ betreut, der dann gleich die begehrte Auszeichnung „Spiel des Jahres“ gewann. Die beiden blieben einander freundschaftlich verbunden, gründeten gar einen gemeinsamen Verlag, und als Müller zu Kosmos ging, war es keine Frage, dass „Die Siedler“ (ebenfalls „Spiel des Jahres“) ihm folgten.

Müller hatte, was Spielredaktoren haben müssen: Die Übersicht über den Markt und die Trends sowie ein sicheres Gespür dafür, welche der unzähligen Ideen, die jährlich bei einem Verlag eingereicht werden, das Potenzial zu einem guten, wenn nicht gar überdurchschnittlich guten Spiel besitzen. Mölter hatte dieses Gespür auch: Als er am Rande eines Exporttreffens bei Amigo mit dem Autor erstmals den Prototyp von „Icecool“ spielte, habe ihm die innovative Spielidee spontan gefallen und er habe sofort gewusst, dass man daraus etwas machen könne. Der erste Eindruck hat nicht getäuscht: 2017 wurde „Icecool“ von der Fachjury zum „Kinderspiel des Jahres“ gekrönt.

Harte Arbeit

Solche Auszeichnungen sind Highlights im Leben eines Spielredaktors oder einer Spielredaktorin, so selten wie der Gewinn einer Olympiamedaille im Leben eines Sportlers. Der Alltag ist harte Arbeit. Selbst Spielen, für die „normalen“ Menschen mit Spass, Freizeit und Unterhaltung verbunden, ist für den Redaktor ein Muss. Eine hieb- und stichfeste Spielanleitung muss her, und die fällt nicht einfach vom Himmel, sondern muss präzis Punkt für Punkt erarbeitet werden, eine der zentralen Aufgaben eines jeden Redaktors. Statt das Spielen zu geniessen, muss er alles prüfen, was die Spielidee vorwärts bringen könnte. Änderungs- und Verbesserungsvorschläge sind in unzähligen Testrunden auszuprobieren und mit den Autoren zu besprechen, was mitunter äusserst mühsam sein kann oder frustrierend, wenn man mit der Zeit feststellen muss, dass man beim besten Willen doch auf keinen grünen Zweig kommt. Bei alledem sitzen einem die Finanzer des Hauses im Nacken, welche die Produktionskosten möglichst tief halten wollen. Und schliesslich sind da noch die Termine, die eingehalten werden müssen, nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern bei allen Zulieferern.

Der Beruf des Spieleredaktors hat sich in den vergangenen Jahren als Folge der Digitalisierung massiv verändert. So ist die Kommunikation unter allen, die an der Entwicklung eines Spiels beteiligt sind, einfacher geworden. Gleichzeitig wird der Entstehungsprozess aber immer schneller, was die Qualität nicht unbedingt fördert. Kommt ein Drittes hinzu: Dank der Vorfinanzierung der Produktion über das Crowdfunding ist es heute wesentlich leichter als noch vor wenigen Jahren, ein Spiel im Eigenverlag herauszugeben. An grossen Spielveranstaltungen, wie etwa der Spiel 18 in Essen, ist diese Entwicklung an der hohen Zahl von Ausstellern, die nur ein Spiel, ihr eigenes, anbieten, direkt ablesbar. An den etablierten Verlagen vorbei produziert, das heisst auch, an den etablierten Spielredaktionen mit ihren Qualitätskriterien vorbei. Diese werden sich auf diese neue Herausforderung einstellen müssen, genau so, wie es die etablierten Medienredaktionen angesichts der neuen Konkurrenz in Form von Blogs tun mussten.

Noch immer gilt der Beruf des Spielredaktors als Traumjob für Spielbegeisterte. Uwe Mölter hat diesen Traum realisiert. Jetzt kann er das Spielen wieder richtig geniessen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

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