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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Plättchenlegen im lunar-esoterischen Umfeld

Synes Ernst. Der Spieler /  «Nova Luna» ist ein strategisch-taktisches Legespiel. Es zeichnet sich aus durch Einfachheit und Spieltiefe zugleich.

Woher nimmt der Mann alle seine Ideen? Diese Frage stellt sich unweigerlich, wer auf Wikipedia die Ludographie Uwe Rosenbergs durchgeht. Knapp hundert publizierte Spiele sind da aufgelistet. Damit gehört der 50-jährige Mathematiker aus Ostfriesland weltweit zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Gesellschaftsspielen.

Es ist aber nicht nur die Zahl der Titel, mit der Rosenberg imponiert. Ebenso überzeugend ist seine Kreativität, die in aussergewöhnlicher Vielfalt von innovativen Spielideen und -mechanismen zum Ausdruck kommt. Die Spannweite reicht von den witzigen Kartenspielen wie «Bohnanza» und «Mamma mia» über die grossen Strategiespiele «Agricola», «Le Havre», «Ora et Labora» und «Ein Fest für Odin» bis hin zu den taktischen Legespielen «Patchwork» und «Cottage Garden». Einige Werke wie «Bohnanza» und «Agricola» geniessen als moderne Klassiker Kultstatus.

Wirklich beeindruckend! Die Quellen, aus denen Rosenberg seine Ideen generiert, scheinen unerschöpflich. Eine davon seien bereits vorhandene Spielmechanismen, von denen er sich inspirieren lasse, verrät er in einem Interview mit dem Video-Blog «Spiel doch mal». Er sehe überhaupt kein Problem darin, schon mal publizierte Ideen weiterzuentwickeln. Allerdings sei es wichtig, Transparenz zu schaffen, wie dies nun beim neuen Legespiel «Nova Luna» geschehen sei. Rosenberg hatte an einem Familienfest das Lieblingsspiel seiner Nichte kennengelernt, das Legespiel «Habitats» des holländischen Autors Corné van Moorsel. Der Legemechanismus habe ihm spontan sehr gut gefallen, sagt Rosenberg, und rasch habe er erkannt, was sich daraus noch machen liesse. Gedacht, getan, und schon bald einigten sich die beiden, dass «Nova Luna» eine Doppelautorschaft haben würde und van Moorsel am Erfolg beteiligt wäre.

Verbindung vollkommen geglückt

«Habitats» war allerdings nicht die einzige Inspirationsquelle Rosenbergs. Ein zweite war das eigene Spiel «Patchwork», für das er eine neue Art, die Zugreihenfolge zu bestimmen, umgesetzt hatte. Die Verbindung der beiden Mechanismen zu einem völlig neuen Spiel ist Rosenberg vollkommen geglückt, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass die Jury «Spiel des Jahres» bewogen hat, «Nova Luna» als einen der drei Titelanwärter für den diesjährigen Oscar für Gesellschaftsspiele zu nominieren.

Hinter der leicht lunar-esoterisch anmutenden Aufmachung, die entsprechend konditionierte Käuferinnen und Käufer auf eine falsche Fährte locken könnte, verbirgt sich ein abstraktes strategisches Legespiel. Dessen Ablauf ist einfach und leicht zu merken: Kärtchen, die in einem Kreis angeordnet sind, aufnehmen und dann vor sich ablegen, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen. Wer als erster das Soll von 20 Aufgaben erledigt hat, ist Sieger.

Wenn ich einen Titel mit derart einfachen Strukturen vor mir habe, bin ich immer gespannt auf das, was darin verpackt ist, das mich fesselt und herausfordert, mir Spass macht und die Welt um mich herum für eine gewisse Zeit vergessen lässt. Kurz: Warum es sich lohnt, ein solches Spiel überhaupt zu spielen. Bei «Nova Luna» bekommt man die Antwort auf diese Frage relativ schnell.

Richtiger Platz für das richtige Plättchen

Die Aufgaben, die man zu erfüllen hat, sind auf quadratischen Plättchen abgebildet. Ein Plättchen könnte beispielsweise verlangen, dass es von einem roten, einem türkisen und einem blauen Teil umgeben ist. Ein anderes müsste ein rotes und ein blaues sowie drei gelbe Plättchen in seiner Nachbarschaft haben. Als Spieler sollte man darauf achten, dass man mit dem Ablegen eines Plättchens gleich mehrere Aufgaben gleichzeitig abhaken kann. Dazu wählt man mit Vorteil Plättchen, mit denen man Farbgruppen bilden kann oder auf denen Aufgaben abgebildet sind, die sich gegenseitig erfüllen. Um den Überblick über die Entwicklung der eigene Auslage nicht zu verlieren, braucht es in erster Linie ein gutes Auge. Sonst übersieht man schnell mal eine gute Möglichkeit, und schon ist sie verbaut.

Der richtige Platz ist das eine, das richtige Plättchen das andere: Wichtig ist deshalb neben dem Blick auf die eigene Ablage jener auf die Aufgabenplättchen, unter denen ich nach bestimmten Regeln eines wählen muss, wenn ich an der Reihe bin. Ein Aufgabenplättchen zu nehmen kostet Zeit, die mit Schritten auf dem Mondkreis abgerechnet wird. Der entsprechende Zahlenwert ist jeweils auf dem betreffenden Plättchen angegeben. Die Plättchen sind unterschiedlich teuer, wobei tendenziell jene Aufgabenplättchen weniger kosten, die beim Ablegen mehr Aktionsspielraum bieten. Deshalb sind sie auch besonders begehrt. Hier zeigt sich die Cleverness des Rosenbergschen Zugmechanismus, der die Spielenden immer mit Entscheidungen konfrontiert, bei denen viele Faktoren zu berücksichtigen sind. Da kommt dann auch die Spieltiefe zum Vorschein, die «Nova Luna» bei aller Einfachheit auszeichnet.

Verdiente Nominierung

Wer hat als Erster seine Aufgaben erfüllt? Bei dieser Ausgangslage ist «Nova Luna» eine Art Rennspiel. Trotzdem ist es ein eher ruhiges Spiel, bei dem kaum Hektik aufkommt. Interaktionen unter den Spielenden gibt es kaum und damit fehlen auch die von ihnen ausgelösten Emotionen. Es lässt sich sogar problemlos allein spielen. Als Zweierspiel eignet es sich hervorragend, was uns in der Corona-Zeit sehr entgegen kam, als grössere Runden gar nicht möglich waren.

Mit der verdienten Nominierung zum «Spiel des Jahres» hat «Nova Luna» die Chance, mit anderen strategisch-taktischen Legespielen gleichzuziehen, die schon den weltweit wichtigsten Preis für Gesellschaftsspiele gewonnen haben, so mit «Carcassonne», «Alhambra», «Zooloretto», «Qwirkle», «Kingdomino» und «Azul». Es würde diese Reihe würdig fortsetzen, doch die Konkurrenz, namentlich durch «My City» ist hart. Am 20. Juli weiss man mehr, wenn die Jury ihre Wahl bekanntgegeben hat.

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Nova Luna: Strategisch-taktisches Legespiel von Uwe Rosenberg und Corné van Moorsel für 1 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Edition Spielwiese/Pegasus Spiele. ca. Fr. 35.-

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Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt

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