Der Spieler: Mit Nein-Sagen zum Erfolg
Wer sie noch miterlebt hat, fühlt sich angesichts der Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine (und den USA) in die Zeit des Kalten Kriegs zurückversetzt. Und wer dann, von dieser Erinnerung geprägt, in den Regalen eines Spielegeschäfts eine Verpackung entdeckt, auf der ein uniformierter, grimmig dreinschauender Bär mit Pelzmütze abgebildet ist, bleibt unweigerlich stehen. Denn auch der Titel «Njet!» – ein geflügeltes Wort aus jener Zeit – hat sein Interesse zusätzlich noch geweckt.
Ja, ein Spiel mit dieser Aufmachung muss auffallen, nicht nur vor dem aktuellen politischen Hintergrund. Mit diesem oder dem Kalten Krieg der Zeit zwischen 1945 und 1989 hat «Njet!» jedoch konkret nichts zu tun, höchstens im übertragenen Sinn (davon später).
Bekannter und vertrauter Mechanismus
In der auffälligen Schachtel steckt ein Kartenstichspiel, dessen Mechanismus uns von Dutzenden von anderen Titeln her bekannt und vertraut ist: Eine Trumpffarbe wird bestimmt, Vorhand spielt aus, die anderen müssen die ausgespielte Farbe bedienen. Die höchste Karte der ausgespielten Farbe gewinnt den Stich. Wer nicht bedienen kann, darf entweder eine beliebige andere Farbe spielen oder mit einer Trumpfkarte stechen. So geht im Grund genommen auch «Njet!».
Warum also soll man sich mit diesem Kartenspiel beschäftigen, wenn es ungefähr das Gleiche ist wie etwa das Jassen? Oder anders gefragt: Was unterscheidet «Njet!» von diesem? Vor allem: Was bietet es mehr als unser Nationalspiel? Ich verrate es vorweg: Einiges, das «Njet!» zu einem aussergewöhnlichen Stichspiel macht.
Überraschende Ideen
Dies ist ein paar überraschenden Ideen zu verdanken, die der Autor Stefan Dorra hier realisiert hat. Die entscheidende Innovation besteht darin, dass er zwischen dem Verteilen der Karten und der eigentlichen Stichphase eine so genannte «Njet!-Phase» zwischengeschaltet hat, in der die Mitspielenden nach bestimmten Vorgaben die Rahmenbedingungen für die anschliessende Stichphase selber festlegen.
Zu Beginn von «Njet!» wählen die Teilnehmenden eine von fünf Charakterkarten und legen diese offen vor sich aus. Anschliessend bekommt jeder die Marker, die zu seinem Charakter passen, worauf die insgesamt 60 Spielkarten (vier Farben, je 3mal mit Wert 1 und je 1mal mit den Werten 2 bis 13) gleichmässig an die Spielenden verteilt werden. Einzig im Spiel zu dritt ist die Verteilung ein wenig anders.
Feilschen um Rahmenbedingungen
Im Mittelpunkt der nun folgenden «Njet!-Phase» steht ein kleines Spielbrett , auf dem wir mit Hilfe der Marker festlegen, welche Zusatzregeln in der anschliessenden Stichphase gelten. Wir bestimmen den oder die Startspielerin, legen die Trumpffarbe fest und sagen, wie viel jeder Stich wert sein wird, 1, 2, 3, 4 oder minus 2 Punkte. Und zudem entscheiden wir auch, welche Farbe die Supertrümpfe haben (das sind die drei Einser-Karten in den vier Farben). Es ist aber durchaus möglich, dass die Mitspielenden keinen Supertrumpf haben wollen. Das wird auf dem Spielbrett themengerecht mit einem «Njet!» angezeigt, was übrigens auch der Fall ist, wenn die Runde nicht will, dass zu Beginn der Stichphase Karten abgelegt bzw. weitergegeben werden müssen.
Sind die Rahmenbedingungen festgelegt, folgt die Stichphase, zu deren Beginn der Startspieler noch bestimmen muss, mit wem zusammen er ein Team bilden möchte. Dass die Teams nicht von Anfang an fest sind, sondern vom Startspieler zu diesem Zeitpunkt ernannt werden, ist eine weitere Besonderheit von «Njet!». Sie zwingt dazu, genau zu verfolgen, was die Mitspielenden in der «Njet!-Phase» über ihre Kartenhand preisgeben und wer sich als Partner oder Partnerin aufdrängen könnte. Das Spiel geht je nach Zahl der Teilnehmenden über acht, neun oder zehn Runden.
Kernstück fordert von Mitspielenden alles ab
Die «Njet!-Phase» ist das Kernstück des Spiels. Sie fordert von den Teilnehmenden auf verschiedensten Ebenen alles ab. Entscheidend ist, dass man seine Karten, also seine Hand, richtig einzuschätzen weiss, welches ihre Möglichkeiten, ihre Stärken und Schwächen sind. Von entsprechenden Erfahrungen, die man zum Beispiel beim Jassen schon gemacht hat, kann man in «Njet!» nur profitieren. Anfängerinnen und Anfängern ist das Dorra-Spiel nicht zu empfehlen, da sie gegen «Karten-Profis» kaum eine Chance hätten.
Doch selbst geübte Jasser und Jasserinnen müssen in «Njet» noch dazu lernen: Wenn sie dort ihre Hand nur so weit analysieren müssen, um eine Trumpffarbe anzusagen, gilt es hier noch weitere Entscheide zu treffen: Will ich Startspieler sein? Ist es besser, Karten abzulegen oder weiterzugeben? Was wird Trumpf, was Supertrumpf? Und wie viele Punkte sollen die Stiche am Schluss wert sein? Autor Stefan Dorra macht es dabei den Spielenden nicht leicht. Wie in vielen seinen Spielen hat er auch hier kleine, jedoch reizvolle Gemeinheiten eingebaut. Eine für «Njet!» typische besteht darin, dass man mit seinen Markern anzeigt, was man nicht will, nicht das, was man aufgrund seiner Karten für sich wünscht. Wer zum Beispiel in Blau schwach und in Rot hingegen stark ist, legt seinen Marker auf die blaue Farbe, dies in der Hoffnung, dass am Schluss doch Rot Trumpf wird. Das bedeutet mit andern Worten, dass man nur zum Ziel kommt, indem man am richtigen Ort Nein oder eben «Njet!» sagt. Insofern hat unser Spiel indirekt doch etwas mit dem Kalten Krieg zu tun.
Verhindern und fördern
Eine geschickte Veto-Taktik besteht auch darin, dass man seine Konkurrenz genau beobachtet. Denn wer etwas verhindert, signalisiert damit auch, was er fördern möchte. Und das wiederum gilt es rechtzeitig zu blockieren, sofern man dazu die Möglichkeit noch hat. Denn auch hier gilt der dem sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow zugeschriebene Ausspruch aus dem Jahr 1989: «Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.»
«Njet!» lässt sich nicht einfach so runterspielen. Die vielen taktischen Möglichkeiten, die es bietet, muss man erst entdecken. Wer Kartenspiele mit innovativen Mechanismen sucht, kommt mit «Njet!» voll auf seine Rechnung. Denn es ist in jeder Hinsicht aussergewöhnlich.
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Njet! Taktisches Kartenstichspiel von Stefan Dorra für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 12 Jahren. Verlag iello / Hutter (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 26.-. Dass sich «Njet!» auch für 2 Personen eignet, wird auf der Verpackung verschwiegen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Synes Ernst ist Spielekritiker und beratendes Mitglied der Jury «Spiel des Jahres».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.