Der Spieler: Mit „Hanabi“ nähern sich Computer dem Menschen
„Seit es Computer gibt, waren Spiele wichtige Testfelder, um zu erforschen, wie gut die Rechenmaschinen intelligente Entscheidungen treffen können.“ Mit dieser nüchternen Feststellung beginnt ein Forschungspapier, das ein neues Kapitel in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) einläutet. Es trägt den Titel „The Hanabi Challenge: A new Frontier for AI Research“ (Die Hanabi-Herausforderung: Eine neue Grenze für die KI-Forschung). Erschienen ist das 25-seitige Dokument Anfang Februar, und verfasst haben es 16 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Deepmind, einem britischen Unternehmen, das auf Programmierung und Forschung von KI spezialisiert ist. Seit 2014 gehört Deepmind zum Google-Konzern.
Nicht die Tatsache, dass die Google-Tochter im Bereich der KI-Forschung zu neuen Grenzen aufbrechen will, lässt aufhorchen (es gehört zum Wesen der Forschung, dass sie ständig versucht, die Grenzen dessen, was wir wissen, auszudehnen). Was uns Spielekenner hellhörig macht, ist der mit dem Challenge verbundene Name „Hanabi“.
Klein, jedoch einzigartig
Es handelt sich um ein – was Verpackung und Material betrifft – kleines Kartenspiel, das 2013 mit dem Titel „Spiel des Jahres“ ausgezeichnet worden war. Diesen weltweit wichtigsten Preis für Gesellschaftsspiele erhielt „Hanabi“, weil es dank einer innovativen Idee ein neues und gleichzeitig einzigartiges Spielerlebnis sowohl für die einzelnen Mitspielenden als auch für die Gruppe als Ganzes schuf. Im Spiel geht es darum, dass die zwei bis fünf Teilnehmenden Karten aus ihrer Hand nach Farben und Zahlen geordnet ablegen. Es ist also ein Spiel in der „Rommé“-Tradition, bereichert diese aber um zwei entscheidende Faktoren: Man spielt es erstens kooperativ und man hält zweitens seine Karten so in der Hand, dass man ihre Rückseite sieht, das heisst, man kennt die Handkarten der anderen, aber nicht seine eigenen. Tricky! Wie aber soll ich richtig ablegen können, wo ich keine Informationen über meine Handkarten verfüge? Ganz einfach: Man bekommt von den Mitspielenden Unterstützung in Form von (non-verbalen) Hinweisen auf das eigene Blatt. Nun ist es an mir, diese Informationen zu interpretieren und aufgrund der Analysen zu handeln, das heisst Karten abzulegen. Hoffentlich solche, die gemäss Regeln die richtigen sind …
Das ist ein äusserst komplexer Kommunikatios- und Entscheidungsprozess. Er macht die Attraktivität und Faszination von „Hanabi“ aus. Dass sich die Deepmind-Leute jetzt dafür interessieren, hat seinen Grund: Sie suchen eine neue Herausforderung, nachdem sie mit dem Programm „AlphaGo“ und „AlphaStar“ bewiesen haben, dass Computer dank Künstlicher Intelligenz den weltweit besten „Go“- und „Starcraft“-Spielern haushoch überlegen waren. Speziell war dabei, dass die Rechner ihre Fähigkeiten nicht verbesserten, indem sie gegen Menschen spielten, sondern indem sie sich tagelang selber trainierten. Mit „AlphaStar“ war es den KI-Forschern auf diese Weise gelungen, einen grossen Schritt auf dem Weg vorwärts zu kommen, der letztlich zur Beherrschung des Spiels mit unvollständigen Informationen führen sollte.
Weiterer Forschungsschub
Das Ziel ist erreicht, wenn das Programm die offenen Aktionen und Hinweise, mit denen die Mitspielenden untereinander Informationen austauschen, ebenfalls „lesen“ kann. Und um definitiv eine erfolgreiche Strategie zu entwickeln, müsste der Rechner zusätzlich in der Lage sein, die nicht kommunizierten Überlegungen und Absichten der Spieler zu verstehen. So weit ist die Künstliche Intelligenz jedoch noch nicht. Deshalb soll nun die Herausforderung „Hanabi“ der Forschung einen weiteren Schub verleihen.
„Die Kombination von Kooperation, unvollständigen Informationen und beschränkter Kommunikation macht aus ‚Hanabi‘ ein ideales Spiel, um zu überlegen, wie man die ‚Theory of Mind‘ in Intelligente Agenten einbauen kann“, wird im Papier „The Hanabi Challenge: A new Frontier for AI Research“ begründet, weshalb Deepmind dieses Kartenspiel zu ihrem neuen Trainingsfeld gewählt hat. Ein ehrgeiziges Vorhaben! Denn „Theory of Mind“ bezeichnet eine Fähigkeit, die Menschen von klein auf besitzen, nicht aber Computerprogramme, nämlich, sich erstens vorzustellen, was andere Menschen denken, fühlen, beabsichtigen, erwarten, meinen oder welche Bedürfnisse sie haben, und zweitens daraus Schlüsse für das eigene Verhalten abzuleiten. Die Beherrschung dieser Fähigkeit ist eine zentrale Grundlage unseres Zusammenlebens mit anderen Menschen, für den Austausch untereinander und den Umgang miteinander.
Wirkungsvolle Zusammenarbeit
Mit „Hanabi“ sollen Inteligente Agenten – Computerprogramme, die sich selbständig und eigendynamisch verhalten und sich „durch Wissen, Lernfähigkeit, Schlussfolgerungen und die Möglichkeit zu Verhaltungsänderungen auszeichnen“ (Wikipedia) –, die wirkungsvolle Zusammenarbeit mit anderen Intelligenten Agenten trainieren, „namentlich menschlichen“. Die Forscher wollen also letztlich, dass der Computer uns Menschen besser verstehen lernt, und das Spiel soll ihm dabei helfen. Das Erfreuliche dabei ist: Es war ein Mensch, der mit dem genialen Trainingsfeld „Hanabi“ eine Herausforderung geschaffen hat, die möglicherweise auch die intelligentesten Agenten nicht bewältigen werden. Ich bin sehr gespannt.
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Hanabi: Kooperatives Ablegespiel mit Karten von Antoine Bauza für zwei bis fünf Spielerinnen und Spieler ab acht Jahren. Abacusspiele (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), Fr. 11.90
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.