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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: «Just One» und das Schilfrohr des Blaise Pascal

Synes Ernst. Der Spieler /  Mit «Just One» machte ein kooperatives Kommunikations- und Partyspiel das Rennen um den begehrten Titel «Spiel des Jahres».

Wer dereinst die Entwicklung des Brettspiels der vergangen 50 Jahre beschreiben wird, kommt nicht darum herum, sich mit der Liste der Gewinner des «Spiels des Jahres» auseinanderzusetzen. Nachdem am Montag dieser Woche der jüngste Titel hinzugekommen ist, umfasst sie mittlerweile 41 Namen. Eine stattliche Zahl, in der Tat, die für mich als langjähriges Mitglied der Jury auch mit vielen persönlichen Erinnerungen verbunden ist. Da es sich bei «Just One», dem Preisträger 2019, um ein Spiel handelt, das landläufig als Party- und Kommunikationsspiel bezeichnet wird, konzentriere ich mich im folgenden auf die Frage, wie diese Art von Spielen von der Jury wahrgenommen wurde.

Als Gattung erst ab 1980 etabliert

Vorauszuschicken ist, dass sich das Party- und Kommunikationsspiel als Gattung erst etwa ab 1980 etabliert hat. Ihre Geschichte begann gleich mit zwei Paukenschlägen: «Activity» (Piatnik) und «Trivial Pursuit» (Parker) stellten die bisherige dröge Welt der Quizspiele auf den Kopf und setzten Massstäbe, die in diesem Bereich bis heute gelten. Die Jury nahm davon keine Kenntnis. Reif war sie für diese Gattung erst 1988, als sie «Barbarossa und die Rätselmeister» von Klaus Teuber (Ass) mit dem begehrten Titel «Spiel des Jahres» auszeichnete. 1993 kam mit «Bluff» (F.X.Schmid) nochmals ein eher kommunikatives Spiel zum Zug, bevor dann während den nächsten 16 Jahren ausschliesslich klassische Brettspiele das Rennen machten. Es war dies die Zeit von «Die Siedler von Catan», «Tikal», «Carcassonne», «Zug um Zug», «Zooloretto» und «Dominion». «Ein solches Ding», und «Wie ich die Welt sehe» (alle von Urs Hostettler, erschienen bei Fata Morgana/Abacus) mussten sich jeweils mit einem Platz auf der Empfehlungsliste begnügen, während «Anno Domini» (ebenfalls von Urs Hostettler und bei Fata Morgana/Abacus) gar völlig leer ausging. Das Spiel, das mittlerweile einen Kultstatus unter den Kommunikations- und Partyspielen erlangt hat, kann man durchaus als Opfer der damaligen Politik der Jury bezeichnen, keine Spiele auszuzeichnen, von denen künftig noch Erweiterungen und Serien geplant waren. Es hätte ja sein können, dass ein möglicherweise nicht preiswürdiger Folgetitel das Label «Spiel des Jahres» zu Unrecht getragen hätte. Tempi passati, denn würde die Jury heute noch nach den Kriterien von damals entscheiden, hätte die Kosmos-Reihe «Exit» 2017 nie und nimmer den Titel «Kennerspiel des Jahres» gewinnen können.

Die Durststrecke für die Kommunikations- und Partyspiele endete 2010 mit «Dixit» (Libellud/Asmodée) als «Spiel des Jahres». «Hanabi» (Abacus), das sich entfernt auch dieser Gattung zurechnen lässt, sowie «Codenames» (Pegasus) doppelten 2013 bzw. 2016 nach. Und jetzt also noch «Just One» (ludographische Angaben am Ende des Artikels) – die Spiele, bei denen der Austausch und die Kooperation unter den Teilnehmenden im Mittelpunkt stehen, sind definitiv im Spiele-Olymp angekommen.

Kommunikation pur

«Just One» ist Kommunikation pur. Gemeinsam gilt es, 13 Begriffe zu erraten. Eine Spielerin oder ein Spieler aus dem Team übernimmt pro Runde die Rate-Rolle. Um diese Aufgabe zu bewältigen, braucht man Hinweise. Diese werden von den Mitspielenden geliefert. Ohne sich miteinander abzusprechen, notiert jeder für sich auf einem Kunststoffschildchen einen Hinweis, von dem man das Gefühl hat, dass er dem ratenden Spieler auf die richtige Spur helfen werde. Bevor die Raterin oder der Rater die Hinweise zu Gesicht bekommt, werden diese miteinander verglichen. Und jetzt kommt der Clou von «Just One»: Alle Doppelungen werden aussortiert. Ein Beispiel: Zu erraten ist der Begriff «Bauernhof». Als Hinweise dafür kommen in Frage: «Kühe», «Heustock», «Traktor», «Stall». Würde es bei diesen vier Hinweisen bleiben, käme man als Rater relativ schnell auf «Bauernhof». Gut so. Nun ist aber denkbar, dass einer der vier Hinweisgeber «Kühe» notierte, während die restlichen drei «Traktor» schrieben. Die Angelegenheit wäre nun um einiges schwieriger, da alle diese Hinweise «Traktor» eliminiert würden. Übrig bliebe allein «Kühe». Und damit sollte man nun auf «Bauernhof» kommen? Echt knifflig, da man nur einen Rateversuch zugute hat. Passen wäre in diesem Fall möglich, was nur leicht bestraft würde, falsche Antworten jedoch sollte man unbedingt vermeiden, da sie sich negativ auf das Punktekonto auswirken.

Das beschriebene Beispiel «Bauernhof» ist sehr einfach. Aber probieren Sie es einmal mit «Zauberer»,«Ehe», «Nabel», «Weiss», «Malerei», «Flug» oder «Tolkien». Aber Vorsicht: Bei einem Begriff wie «Tolkien» ist die Versuchung gross, Hinweise zu geben, die einem sofort in den Sinn kommen, also «Herr der Ringe», «Hobbit», oder «Gandalf». Je naheliegender jedoch die Hinweise, umso grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den Mitspielenden ebenfalls notiert und folglich gemäss Spielregeln eliminiert werden müssen. Sie nützen dem Ratenden also gar nichts. Zu versteckt sollten die Tipps allerdings auch nicht sein, weil dann die Gefahr besteht, dass sie gar nicht verstanden werden. Wenn jemand «Blaise Pascal» notiert, wenn der gesuchte Begriff «Schilfrohr» lautet, muss der Rater schon einmal etwas von Philosophie gehört haben und wissen, dass Pascal vom Menschen als «denkendem Schilfrohr» gesprochen hat. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass in diesem Fall der ratende Spieler im Schilf steht.

«Bumm» und «Kanone»

Die grosse Herausforderung bei «Just One» besteht darin, sich in die Mitspielenden hineinzudenken und die Hinweise entsprechend richtig zu justieren. Sich auf dieses Spiel einzulassen, ist äusserst spannend. Sind Kinder und Erwachsene dabei, verhalte ich mich ganz anders, als wenn nur Erwachsene mitmachen. Und auch da verlaufen die Partien ganz unterschiedlich, je nachdem, ob eine Runde von sechs sprachmächtigen Wortakrobaten am Tisch sitzt oder ob auch jemand mitspielt, dessen oder deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Ich habe die verschiedensten Zusammensetzungen schon erlebt und jedesmal tolle Erfahrungen gemacht (nicht nur ich selber, sondern alle Teilnehmenden, ausnahmslos). Und was wir schon gelacht haben! Am lustigsten ging’s in einer Runde mit meinen Enkelkindern zu und her. Der Begriff «Kanone» war zu erraten. Die andern notierten «Burg», «Rohr», «Krieg». Bei mir stand nur «Bumm» auf der Hinweistafel, worauf sich die achtjährige Cristina vor Lachen kugelte. Noch heute erzählt sie von diesem «Bumm», was einmal mehr bestätigt, dass von einem Spiel nicht die Regeln in Erinnerung bleiben, sondern die Emotionen, welche das Spiel in den Menschen auslöst. Ich bin daher überzeugt, dass «Just One» noch lange zu Cristinas Lieblingsspielen gehören wird.

«Just One» ist ein idealer Botschafter für das, was ein gutes Gesellschaftsspiel zu leisten vermag: Es verbindet mit einfachsten Mitteln Menschen miteinander und «zwingt» sie, sich direkt miteinander auszutauschen und sich in die anderen hineinzuversetzen. Zu alledem macht es noch Spass. Viel Spass sogar.


Just One: Kooperatives Partyspiel von Ludovic Roudy und Bruno Sautter für 3 bis 7 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Repos/Asmodée (Vertrieb Schweiz: Swissgames, Veyrier), Fr. 29.90


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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