Der Spieler: Hirnverdreher schärfen die Sinne
Ich hätte es ja wissen müssen. Seit Jahren stand die Kartonröhre auf dem Gestell neben meinem Schreibtisch. «Mimürfel» steht in Grossbuchstaben drauf. Doch als ich vor vierzehn Tagen den Text für meine letzte «Spieler»-Kolumne verfasste, schrieb ich, ohne lange zu überlegen, «Mim-Würfel». Kaum war der Beitrag auf «Infosperber» veröffentlicht, schickte mir Christian Beiersdorf ein Mail. Beiersdorf ist Geschäftsführer der Spiel-Autoren-Zunft (SAZ) und Inhaber der Lizenz-Agentur Projekt Spiel. Diese vertritt u.a. die Rechte des 2016 verstorbenen Hajo Bücken, der in den frühen 1980er Jahren den «Mimürfel» entwickelt hatte. Beiersdorf machte mich auf meinen Fehler aufmerksam, das Objekt heisse richtig «Mimürfel». Ich korrigierte und schrieb – «Mimwürfel». Worauf Beiersdorf postwendend reagierte: «‹Mimürfel› – ohne ‹w›.» So steht es jetzt auf der Webseite (Link hier).
Dass mich mein Hirn so im Stich gelassen hat, hängt höchstwahrscheinlich damit zusammen, dass ich den Würfel mit den Mimik-Symbolen von Anfang an unter dem naheliegenden Begriff «Mim-Würfel» (zusammengesetzt aus Mimik und Würfel) in meinem Gedächtnis gespeichert hatte. Wo ich auf das Ding zu sprechen kam, nannte ich es «Mim-Würfel». Das auf der Verpackung in Grossbuchstaben gedruckte MIMÜRFEL nahm ich irgendwie nie zur Kenntnis. Für mich waren es die «Mim-Würfel», und so kamen sie auch in den «Infosperber»-Text. Ich hatte zusätzlich noch den Fehler begangen, der uns Journalistinnen und Journalisten immer wieder unterläuft: Dass wir Namen und Fakten, von deren Richtigkeit wir felsenfest überzeugt sind, nicht mehr überprüfen.
Einbildung und vorgefasste Meinung
Etwas allgemeiner betrachtet haben wir es hier mit einem kognitiven Phänomen zu tun: Wie nehme ich die Wirklichkeit wahr? Welche Rolle spielen Einbildung und vorgefasste Meinung? Wie kommt es, dass uns unsere Sinne täuschen und uns das Gehirn, wie wir sagen, Streiche spielt? Ich überlasse die theoretische Auseinandersetzung mit diesen spannenden Fragen anderen und stelle stattdessen mit «Schwarz Rot Gelb», «Geistesblitz» und «Illusion» drei Spiele vor, die uns das Phänomen auf vollkommen lockere Art und Weise erleben lassen.
«Schwarz Rot Gelb» spielt mit der Schwierigkeit, die Übersicht nicht zu verlieren, wenn das Wort auf der Farbkarte «Grün» heisst, aber «Rot» gedruckt ist. Ist «Grün» nun rot oder doch grün? Schwierig, da man unter Zeitdruck eine Reihe von Karten auszulegen hat, in der die Farben ständig wechseln. Das Spielmaterial besteht zur Hauptsache aus 80 Farbkarten in Schwarz, Rot, Gelb, Grün und Blau. Diese werden gemischt und verdeckt in der Mitte des Tisches verteilt. Jede Spielerin und jeder Spieler zieht zu Beginn einer Runde eine Farbkarte als eigene Startkarte. Gespielt wird gleichzeitig. Man nimmt eine Karte aus der Mitte und prüft, ob man sie an die Startkarte bzw. letzte der in der eigenen Reihe ausliegenden Karten anlegen kann. In einer Reihe dürfen nebeneinander liegende Karten weder im Farbwort noch in der Farbe und in der Anzahl der Farbwörter übereinstimmen. Unpassende Karten werden offen in die Tischmitte geworfen und dürfen von den Mitspielenden verwendet werden. Ziel ist es, schnellstmöglich eine Kartenreihe vor sich abzulegen, die je nach Anzahl der Teilnehmenden unterschiedlich lang ist (zwischen sieben und elf Karten). Eine Runde ist fertig, wenn der erste Spieler die vorgeschriebene Reihe abgelegt hat. Gewonnen hat die Runde die Spielerin mit der längsten fehlerfreien Reihe. Sie bekommt dafür die höchste der ausliegenden Punktekarten. Nach fünf Runden steht die Gewinnerin oder der Gewinner fest.
Unter Zeitdruck
«Schwarz Rot Gelb» ist in unseren Spielrunden sehr beliebt. Es gibt zwar solche, denen das Spiel, weil es unter Zeitdruck gespielt wird, zu stressig ist. Stressig ist das Spiel in der Tat: Innerhalb kürzester Zeit muss ich die aufgenommene Karte mit der letzten in meiner Reihe vergleichen. Sind die Farben identisch? Die Farbworte? Die Anzahl? Bereits bei einer positiven Antwort darf ich die neue Karte nicht anlegen. Und mit Erstaunen stelle ich immer wieder fest, wie schnell man ein Kriterium übersehen hat. Eine kurze Unaufmerksamkeit, und schon ist die Verwechslung passiert, vor allem bei den Kriterien Farbe/Farbwort.
Diesem Phänomen der Verwechslung hat der österreichische Dichter Ernst Jandl (1925 – 2000) in seinem 1966 veröffentlichten Gedicht «Lichtung» ein wunderbares Denkmal gesetzt:
«manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht
velwechsern.
werch ein illtum!»
Jandl hätte «Schwarz Rot Gelb» sicher gut gefallen. Und wohl auch «Geistesblitz», unser zweiter Hirnverdreher. Wieder geht es um Wahrnehmung und Reaktion unter Zeitdruck. Vor uns stehen fünf Holzfiguren, ein weisser Geist, ein roter Sessel, eine grüne Flasche, ein blaues Buch sowie eine graue Maus. Daneben liegt ein Stapel Karten mit Fotos, auf denen jeweils zwei der genannten Figuren abgebildet sind. Allerdings – und das ist der Kern des Spiels – nicht nur in den wirklichen Farben. Sobald eine Karte des Stapels aufgedeckt ist, geht das grosse Grapschen los: Blitzschnell versucht man mit einer Hand die Figur zu schnappen, die auf der Karte farblich richtig abgebildet ist, zum Beispiel den weissen Geist oder die graue Maus. Gibt es auf der Karte jedoch keine Figur in ihrer Originalfarbe, greift man nach der Figur, die nicht abgebildet ist und deren Originalfarbe auf der Karte nicht zu sehen ist. Sieht man auf der Karte etwa einen blauen Geist und eine rote Maus, muss man nach der grünen Flasche schnappen (weder die Flasche noch die Farbe grün sind auf der Karte zu sehen).
Einfaches Spielprinzip
Wie «Schwarz Rot Gelb» besticht auch «Geistesblitz» durch die Einfachheit seines Spielprinzips. Beide Spiele können süchtig machen. «Geistesblitz» als Reaktionsspiel ist noch um einiges hektischer und fieser als «Schwarz Rot Gelb», weil es direkt gegeneiander gespielt wird. Und weil man immer auf Sprung ist und als erster zupacken will, ist es auch spannungsgeladener. Was überhaupt nicht negativ zu bewerten ist, da es die spannenden Spiele sind, welche Menschen an den Tisch bringen, nicht die langweiligen.
Wie leicht wir uns von Formen und Farben täuschen lassen, zeigt uns das kleine Kartenspiel «Illusion», das dritte in unserer Reihe. Wieder geht es um die Wahrnehmung der Wirklichkeit, konkret um die falsche. Im Zentrum des Spiels stehen 98 Karten, auf denen Farben in unterschiedlichen Mustern abgebildet sind. Vor jedem Durchgang wird festgelegt, mit welcher Farbe gespielt wird. So zeigt ein grüner Pfeil an, dass sich alles um Grün dreht. Durch Ablegen der Karten entsteht eine Reihe, wobei der Anteil der festgelegten Farbe in Pfeilrichtung immer höher werden muss. Wer an der Reihe ist, nimmt eine Karte auf und legt sie entsprechend in die Reihe. Dieses Ablegeprinzip ist mit jenem von «Anno Domini» verwandt. Zweifelt jemand die Korrektheit der kompletten Reihe an und es kommt zur Kontrolle: Zu diesem Zweck sind auf der Rückseite die Anteile der einzelnen aufgedruckten Farben in Prozent angegeben. So lässt sich leicht feststellen, ob die Regelbestimmung (steigender Anteil) eingehalten worden ist oder nicht.
Wirklichkeit hinterfragen
Wenn wir «Illusion» spielen, das ruhigste unter den drei hier vorgestellten Spiele, staunen wir immer wieder, wie unser Gehirn die Informationen, die es bekommt, verarbeitet. Kann es denn so schwierig sein, die unterschiedlichen Symbole, Flächen, Formen und Farben richtig einzuschätzen? Hat es einen Einfluss, ob die Formen statisch oder dynamisch gestaltet sind? Sind Vierecke einfacher zu fassen als Kreise?
Mehr als bei anderen Spielen diskutieren wir nach Runden, in denen «Schwarz Rot Gelb», «Geistesblitz» oder «Illusion» auf den Tisch gekommen sind, über das, was hinter diesen Titeln steckt, über die Phänomene, Wahrnehmung, Sinnestäuschung, Illusion, Wirklichkeit. Denkbar ist ja, dass solche Spiele auch dazu beitragen können, unsere Sinne zu schärfen, und uns animieren, die Wirklichkeit immer wieder zu hinterfragen, ob sie tatsächlich auch so ist, wie sie sich uns präsentiert.
——
Schwarz Rot Gelb: Merk- und Sprachspiel von Günter Burkhardt für 2 bis 6 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Amigo Spiel + Freizeit (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), Fr. 14.80. Von diesem Spiel gibt es eine sogenannte Extrem-Variante.
Geistesblitz: Reaktionsspiel von Jacques Zeimet für 2 bis 8 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Zoch-Verlag (Vertrieb Schweiz: Siba/Dickie, Schlieren), Fr. 17.50. Von diesem Spiel gibt es mehrere Varianten.
Illusion: Schätz- und Bluffspiel von Wolfgang Warsch für 2 bis 5 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Nürnberger Spielkarten-Verlag NSV (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), Fr. 12.-
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.