Der Spieler: Endlich wieder in grösseren Runden spielen
Endlich wieder öffentlicher Spielabend in der Ludothek, endlich wieder mit Menschen spielen, die man seit mehr als eineinhalb Jahren nicht mehr gesehen hat. Zwar tragen wir an diesem Abend, der noch vor dem Erlass zur Zertifikatspflicht stattfindet, Schutzmasken, und Konsumation mit dem sonst obligaten Glas Wein gibt es nicht, aber was soll’s, wir freuen uns über die Rückkehr zur (Fast-)Normalität.
Was mir auffällt: Die Lust auf strategisch-taktische Wettbewerbsspiele hält sich in Grenzen. Offenbar wollen die Leute, die gekommen sind, erst einmal das Gefühl des Miteinanderspielens geniessen. Und sofort finden sich vier für eine Runde des kooperativen Spiels «Switch & Signal», bei dem man gemeinsam versucht, innerhalb einer bestimmten Zeit eine spannende Herausforderung zu lösen – mit Zügen Waren aus verschiedenen Städten in den Hafen von Marseille zu transportieren.
Lauter als eine Zweierpartie zuhause
Bis zum Spielabend hatte ich das Spiel nur in der Kleinstbesetzung gespielt, zu zweit (es wäre auch möglich, «Switch & Signal» für sich allein zu spielen, doch auf diese Solo-Version habe ich verzichtet). Für mich war nun interessant zu beobachten, wie die Kooperation in der grösseren Vierer-Gruppe funktionierte.
Die Runde ist lauter als die Zweierpartien zuhause. Denn vier Personen diskutieren nun mal intensiver als zwei. Die Gesprächsfetzen fliegen hin und her. «Die schwarze Lok zuerst!» «Nein die braune, weil die Risiken beim Ziehen kleiner sind.» «Holen wir doch die Waren in Hamburg!» «Oder lieber jene in Paris?» «Pass auf, da stehen die Signale auf Rot!» «Stell erst die Weichen um, sonst bleibt die graue Lok stecken» «Sag mal, hast du die Karten, um unseren Plan zu realisieren?» «Ich probier’s mal!» «Ha, geht!» «Oh shit, total blockiert!»
Es ist viel schwieriger, sich in der grösseren, zufällig zusammengesetzten Runde, auf eine gemeinsame Lösung zu einigen, als im Spiel mit zwei Menschen, die schon fast 50 Jahre lang gewohnt sind, miteinander die verschiedensten Herausforderungen des Lebens zu meistern.
«Wenn Ihr meint …»
Selbst wenn in «Switch & Signal» das Kooperationsniveau eher niedrig ist, sieht man jetzt am Spielabend, wie sich alle mit ihren Ideen in die Diskussion einbringen wollen, die einen mit mehr, die anderen mit weniger Nachdruck. Man spürt auch, dass es nicht allen immer leicht fällt, die gemeinsam gefundene Lösung zu akzeptieren, was dann meistens mit «Wenn Ihr meint …» kommentiert wird. Da sind eindeutig Emotionen im Spiel.
Wir haben es übrigens an diesem Abend nicht geschafft, alle Waren innerhalb der vorgegebenen Zeit nach Marseille zu transportieren. Da unser basisdemokratisches Bahn- und Transportmanagement nicht optimal war, blieben unsere Züge zu oft stecken. Dafür hat uns das gemeinsame Erlebnis sehr viel Spass gemacht.
Party-Spiele wecken Emotionen
Um einiges turbulenter ging es dann zu und her, als «Krazy Pix» auf den Tisch kam. Kein Wunder, denn es gehört zur Gattung der so genannten Party-Spiele. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf einfachen Regeln basieren, voller Witz sind, die Kreativität fördern, Emotionen wecken und ihre unterhaltende Wirkung am besten in grösseren Gruppen entfalten.
Da einige in unserer Runde «Krazy Wordz» schon kennen (und lieben), ist der Einstieg in «Krazy Pix» einfach. Denn die beiden Spiele funktionieren nach dem gleichen Prinzip, unterscheiden sich aber in einem zentralen Punkt: Bei «Krazy Wordz» zieht man ein paar Buchstaben und bildet daraus Worte, die in keinem Wörterbuch aufgeführt sind, aber doch irgendwie zum Begriff passen, der einem zugeteilt worden ist. Zudem sollten die Mitspielenden erraten können, wer in der Runde welches Phantasiewort gebildet hat.
Spiel ohne Worte
Im Unterschied dazu ist «Krazy Pix» ein Spiel ohne Worte. An die Stelle der Buchstaben treten Bildfragmente in Form von Bögen, Geraden, Wellen, Punkten, Farben usw. Die Aufgabe bleibt dieselbe: Mit einigen dieser Piktogramme ist ein Motiv zu gestalten, das irgendwie zum Begriff passt, der auf dem vor mir liegenden Kärtchen steht. Und wiederum versuchen die Mitspielenden herauszufinden, von wem in der Runde welches «Bild» stammt.
«Krazy Wordz» liegt mir als Journalist eindeutig näher. Denn Sprache ist mein Metier. Zwar ist es auch für wortgewaltige Spielerinnen und Spieler nicht einfach, mit den Buchstaben J, N, R, P, G, E, I und O ein Wort zu bilden, das irgendwie zum Begriff «Eissorte» passt. Aber stellen Sie sich nun vor, Sie müssten die gleiche Aufgabe lösen, indem Sie Piktogramme auf ihrem Tableau entsprechend anordnen. Wer da nicht über gestalterische Kreativität und Phantasie verfügt, verzweifelt schier. Wenn man am Tisch den Seufzer hört: «Ach, das ist unmöglich!», ahnen die andern ringsum, dass da jemand versucht, mit Kreisen, Wellen, Punkten oder ähnlichen Symbolen etwas zum Begriff «Stille Wasser gründen tief» oder «Harry Poter» zu gestalten. Schadenfreude kommt jedoch nicht auf, da alle mit den Tücken des Objekts zu kämpfen haben.
Ein Kreis für ein UFO
Umso befreiender ist dann der Moment, in dem alle in der Kreativphase entstandenen Motive vor der Runde liegen und die Mitspielenden nun zu erraten versuchen, welches Bild von wem stammen und zu welchem Begriff es passen könnte. Was da gelacht und kommentiert wird! «Dieses schräge Teil soll auf Elvis Presley verweisen?» oder «Sonnenklar, dass dieser Kreis ein UFO symbolisiert!» Deutlich macht gerade dieses letzte Beispiel, dass der Glücksfaktor in «Krazy Pix» eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Mit einem Kreis lässt sich leichter so etwas wie ein UFO darstellen als mit geraden Linien und zwei Dreiecken.
Je mehr man mit seinem Motiv dem vorgegebenen Begriff nahe kommt, desto grösser ist die Chance, dass man von den Mitspielenden als dessen Urheberin oder Urheber identifiziert wird. Für richtige Tipps, erhaltene oder abgegebene, gibt es Punkte. Schnell stellt man jedoch fest, dass es überhaupt keine Rolle spielt, ob man nun gewinnt oder verliert. Im Vordergrund stehen bei «Krazy Pix» vielmehr Spiel, Spass und Unterhaltung, vor allem für Menschen, die gerne in grösseren Gruppen spielen und es mögen, wenn sie phantasievoll und kreativ um ein paar Ecken denken müssen. Blödeln inklusive.
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Krazy Pix: Party-Spiel von Sophia Wagner (nach einer Grundidee von Thomas Odenhoven, Dirk Baumann und Matthias Schmitt) für 3 bis 8 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Verlag Ravensburger (Vertrieb Schweiz: Carlit + Ravensburger, Würenlos), ca. Fr. 26.- (Hinweis: wenn Kinder mitspielen, empfiehlt es sich, die speziell markierten, nicht ganz jugendfreien Begriffe vorher auszusortieren).
Switch & Signal. Gemeinsam zum Ziel: Taktisches Kooperationsspiel von David Thompson für zwei bis vier Spielerinnen und Spieler ab zehn Jahren. Kosmos Verlag (Vertrieb Schweiz: Lemaco SA, Ecublens), ca. Fr. 50.-
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker Synes Ernst war lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.