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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Eine Insel zum Mitnehmen

Synes Ernst. Der Spieler /  Bei «Palm Island» hat man es wirklich in der eigenen Hand, wie die Insel aussehen soll. Das kleine Spiel ist eine echte Trouvaille.

Kleine Spiele mit Karten gibt es zu Dutzenden. Wenn nun ein weiteres auf den Markt kommt, ist die Gefahr enorm, dass es im grossen Haufen verschwindet – ausser es warte mit einer Besonderheit auf, die es weit über den Durchschnitt hinaushebt. «Palm Island» ist so ein Spiel.

Hinter dem Namen verbirgt sich vordergründig nichts Aussergewöhnliches. «Palm Island», auf deutsch «Palmeninsel», ist zuerst einmal der Sehnsuchtsort, wohin wir uns spielerisch entführen lassen. Spielen bedeutet ja, dass wir uns für eine bestimmte Zeit aus dieser Welt in eine andere begeben und dort nach eigenen Regeln etwas Schönes, Spannendes oder Abenteuerliches erleben. «Palm Island» meint hier aber noch etwas Anderes. Im Namen steckt nämlich auch das englische «Palm», auf deutsch «Handfläche».

Wortspiel im Titel

Was haben denn Palmeninsel und Handfläche miteinander zu tun? Die Auflösung dieses Rätsels führt uns zum Clou des Spiels: «Palm Island» ist nämlich ein Einhandspiel. Zum Spielen benötigt man weder einen Tisch noch eine andere Ablagefläche. Man braucht nur eine Hand, die rechte oder linke, ist egal. Mit dieser hält man den gesamten Kartenstapel, mit der anderen führt man aus, was nach den Regeln möglich ist. «Die Insel to go», die Insel zum Mitnehmen – der Untertitel auf der Verpackung bringt das Einzigartige von «Palm Island» exakt auf den Punkt: Man ist nicht nicht ortsgebunden, man kann «Palm Island» zuhause auf dem Sofa spielen, im Zug auf der Fahrt zur Schule oder zur Arbeit, im Schwimmbad, überall.

Überall – das erinnert auch an das Spielen mit dem Handy: Von Ferne dürfte es recht schwierig sein, eine «Palm Island»-Spielerin von einer Person zu unterscheiden, die auf ihrem Handy herumdaddelt. Denn Körperhaltung und Handbewegungen sind nahezu identisch. Kommt hinzu, dass wir es in beiden Fällen mit Allein-Spielern zu tun haben. «Palm Island» ist nämlich ein Solo-Spiel. Dass sich in der Schachtel zusätzliches Material für eine kooperative Zweier-Variante befindet, tut letztlich nichts zur Sache. Eine Mitspielerin oder eine Mitspieler braucht man nicht, um die gestellte Aufgabe zu lösen – auf der Palmeninsel ein reiches und schönes Dorf zu gestalten.

Reduktion auf ein Minimum

Dazu sammelt man so viele Rohstoffe wie möglich, um die Produktion zu steigern, und baut Gebäude auf. Man investiert in Märkte, um den Handel zu fördern, oder errichtet Tempel, um das Ansehen zu steigern. Alles aufs Mal ist nicht möglich, man muss immer wieder taktische Entscheidungen treffen, welche Aktion im Moment gerade die richtige ist. Denn die Mittel, die einem zur Verfügung stehen, sind knapp. Aber gerade diese Reduktion ist einer der Faktoren, welche die Faszination von «Palm Island» begründen.

Mit 16 Karten (plus einer Rundenkarte) muss ich in «Palm Island» auskommen. Wenig, denkt man beim Mischen des Stapels, aber wenn man diesen während des Spiels in einer Hand halten muss, ist man froh, dass es nicht mehr sind. Jede Karte ist in vier Bereiche unterteilt, zwei auf der Vorderseite, zwei auf der Rückseite. In den einzelnen Bereichen sind verschiedene Aktionsmöglichkeiten abgebildet. Allerdings darf man nur Aktionen aus dem oberen Bereich der jeweils sichtbaren Karten ausführen. Sichtbar sind für mich die beiden vordersten Karten in meinem Handstapel. Bei der Aktion «Lagern» kippe ich die gewählte Karte nach rechts und lege sie ans Ende des Stapels, so dass nur noch die darauf abgebildeten Rohstoffe sichtbar sind. Bis zu vier Karten darf ich auf diese Weise lagern. Die Rohstoffe (Fische, Steine, Holz) benötige ich, um weitere Aktionen (Rotieren und Wenden) zu kaufen. Ziel ist es, die Karten auf diese Weise aufzuwerten (Upgrading), so dass nach acht Runden, das heisst nach achtmaligem Durchspielen des ganzen Stapels, bei der Schlusswertung möglichst viele Goldsterne (= Siegpunkte) sichtbar sind.

Schöner Spielfluss

Erfahrungsgemäss ist das Handling des Spiels zu Beginn recht mühsam, vor allem, bis man herausgefunden hat, wie man die Karten am besten in der Hand hält, wie man sie greift, kippt, rotiert, wendet und dann wieder hinten in den Stapel legt. Wenn man aber nicht gerade mit zwei linken Händen ausgestattet ist, dauert es nicht sehr lange, bis man den ganzen Ablauf in den Griff bekommt und sich ein schöner Spielfluss mit einem gewissen Rhythmus einstellt. Erst jetzt kann man sich auch richtig auf die taktischen Finessen konzentrieren, die «Palm Island» bietet. Und die sind nicht ganz ohne, und man staunt, was in diesem Kleinspiel alles steckt.

«Palm Island» ist eine Trouvaille, wie sie nicht jedes Jahr auf den Markt kommt. Eine Insel zum Entdecken.

Palm Island: Taktisches Optimierungsspiel mit Karten von Jon Mietling, für 1 bis 2 Spielerinnen oder Spieler ab 10 Jahren. Verlag Kosmos (Vertrieb Schweiz: Lémaco SA, Ecublens), Fr. 12.-

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker Synes Ernst war lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Der Spieler: Alle Beiträge

Spielen macht Spass. Und man lernt so vieles. Ohne Zwang. Einfach so.

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Eine Meinung zu

  • am 26.09.2020 um 12:21 Uhr
    Permalink

    Vielen Dank Herr Ernst, für ihre Spielempfehlung.
    Nach gekündigtem BZ-Abo habe ich genau so eine ÖV-taugliche Unterhaltungs-Alternative gesucht, für wenn ich in der bevorstehenden Wintersaison nicht mehr mit dem Töff pendeln kann. Perfekt. Merci!

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