Glosse
Der Spieler: Ein Hauch chinesischer Geschichte
Bis vor kurzem verstand man in Bern unter «Qing» nur Bahnhof. Das hat sich in der Zwischenzeit geändert. Seit Anfang März ein «Qing»-Tram durch die Gassen der Altstadt rollt und überall «Qing»-Plakate und -Hinweistafeln stehen, wissen jedoch schon recht viele Menschen, dass der Begriff «Qing» aus China stammt und als «Tschinn» ausgesprochen wird. Er weist auf ein Grossereignis im historischen Museum hin – konkret auf die Ausstellung «Qing – Der unsterbliche Kaiser und seine Terrakottakrieger». Die Bundesstadt steht dieses Jahr ganz im Zeichen des Ersten Kaisers von China. Das gibt mir Gelegenheit, mich mit einem gleichnamigen Spiel auseinanderzusetzen, das – unabhängig von der Ausstellung – vor kurzem auf den Markt gekommen ist.
«Qing» von Reiner Knizia hat allerdings mit der historischen Figur Qin Shi Huangdi, der von 259-210 v. Chr. lebte, nicht viel zu tun. Also auch nicht damit, dass dieser die Chinesische Mauer errichtet, Währungen, Masse und Gewichte vereinheitlicht und das Schriftsystem vereinheitlicht hat, so dass Befehle und Gesetze in allen Teilen des Reiches gelesen werden konnten. «Qing» simuliert auch nicht, wie Shi Huangdi sechs einander bekämpfende Reiche eroberte und zu einem Grossreich vereinte und so das zentral verwaltete chinesische Kaiserreich schuf. Es käme also einem Etikettenschwindel gleich, würde man «Qing» im Museumsshop als «das Spiel zur Ausstellung» anpreisen. Und das schon allein aus dem Grund, weil die berühmten Terrakottakrieger aus Qings Grabanlage, deretwegen die meisten Besucherinnen und Besucher wohl nach Bern fahren, im Spiel überhaupt nicht vorkommen.
Keine Geschichtstreue
Schlimm ist das nicht, zumal «Qing» solche Geschichtstreue für sich gar nicht in Anspruch nimmt. Es ist im Grunde genommen ein abstraktes Taktikspiel, dem Autor und Verlag ein historisches Thema übergestülpt haben. Die Ansiedelung im China im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung ist insofern stimmig, als damals tatsächlich mehrere Reiche gegeneinander kämpften. Und es könnte auch in Wirklichkeit so gewesen sein, dass die siegreichen Fürsten in den Provinzen und Dörfern, die sie erobert hatten, Bauten errichteten, um ihren Einflussbereich zu markieren. In «Qing» übernehmen Pagoden diese Funktion.
Wir haben es mit einem lupenreinen Legespiel zu tun. Das Spielmaterial besteht im Wesentlichen aus 72 Plättchen, auf denen je zwei Provinzfelder in drei unterschiedlichen Farben abgebildet sind. Wer an der Reihe ist, muss eines dieser Plättchen nach bestimmten Regeln auf dem doppelseitig bespielbaren Spielplan ablegen. Dadurch entstehen mit der Zeit neue Provinzen, auf die man zum Zeichen seiner Herrschaft eine seiner Pagoden setzt. Wächst eine Provinz, entwickelt sie sich zur Grossprovinz, die man dann mit Doppelpagoden markiert. Pagoden setzt man auch in Dörfer, die an die eigenen Provinzen angrenzen. Den neuen Besitz Markieren ist das eine, ihn Sichern das andere: Weil es in «Qing» darum geht, möglichst viele Pagoden zu setzen, trachten alle danach, ihre Mitspielerinnen und Mitspieler aus den eroberten Provinzen und Dörfern zu jagen. Wer nicht umsichtig plant, riskiert die Vertreibung und damit die Niederlage.
Gute und solide Kost
«Qing» wird als «Taktikspiel für die ganze Familie» angepriesen. Das trifft zu. Die Spielanleitung ist verständlich, und den Spielablauf hat man schnell erlernt. Das ist ideal für Wenig- oder Normalspieler, die mit «Qing» gute und solide Kost vorgesetzt bekommen. Den so genannten Vielspielern aber, die echte Herausforderungen suchen, bietet «Qing» letztlich zu wenig Möglichkeiten, ihr taktisches Können zu prüfen. Aber auch sie müssen die entscheidende Frage, die sich in «Qing» immer wieder stellt, situationsgerecht beantworten: Wie lege ich mein Plättchen für mich richtig, ohne dass ich dem nachfolgenden Spieler eine Steilvorlage liefere?
«Qing». Taktisches Legespiel von Reiner Knizia für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Verlag eggertspiele/Pegasus. Spieldauer ca. 30 Minuten
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Neuen Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied. Befasst sich mit dem Thema «Spielen – mehr als nur Unterhaltung»