Der Spieler: Das Kartenspiel mit dem «werblichen Stopper»
«Werbliche Stopper» heissen in der Fachsprache die Punkte, welche Werbestrategen zwischen einzelne Buchstaben oder am Ende eines Begriffes platzieren, um mehr Aufmerksamkeit für einen Namen, ein Produkt oder eine Aussage zu generieren. Das wohl bekannteste Beispiel dieser Art lieferten die Freien Demokraten in Deutschland, die 1968 die interne Modernisierung unter dem damaligen Parteivorsitzenden Walter Scheel auch mit einem neuen Logo nach aussen signalisieren wollten. Aus dem gewöhnlichen «FDP» wurde das pfiffige «F.D.P.», das bis 2001 Bestand hatte, als man es durch einen neuen Schriftzug ersetzte. Zum einen hatte die FDP genug davon, immer wieder als «Drei-Punkte-Partei» bezeichnet zu werden, zum anderen wollte Guido Westerwelle seine Partei für die Wahlkämpfe im Dotcom-Zeitalter fit machen. «F.D.P.» als Internet-Adresse war technisch aber nicht möglich.
Diese Geschichte mit der «F.D.P.» kam mir wieder in den Sinn, als ich das Kartenspiel «L.A.M.A.» zum ersten Mal sah. Auf dem Cover nicht ein Fabeltier, sondern eindeutig ein Lama (wenn auch heftig karikiert). Der «werbliche Stopper» im Titel hat bei mir die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt: Hätte das Spiel «Lama» geheissen, wäre es mir in der Flut der Neuerscheinungen nicht sofort aufgefallen. Das hängt mit den Assoziationen zusammen, die wir mit dem Lama verbinden – ein gutmütiges und sanftes, geduldiges Nutztier, alles in allem eher unscheinbar und langweilig, nichts Kribbeliges, was Spielerinnen und Spieler reizen würde. Als «L.A.M.A.» wird das Lama plötzlich interessant und weckt Neugier. Was so ein paar Punkte ausmachen …
Simple Regeln
Was das Spielprinzip betrifft, hätte das Spiel allerdings problemlos «Lama» heissen können. Denn es ist als Kartenablegespiel in der Art von «Uno» nicht aussergewöhnlich. Wie bei diesem millionenfach gekauften und gespielten Klassiker legen wir auch in «L.A.M.A.» Karten ab mit dem Ziel, unsere Handkarten (hier sind es sechs) loszuwerden und Minuspunkte zu vermeiden. Die Regeln sind simpel: Wer an der Reihe ist, darf eine Karte ablegen. Diese hat entweder den gleichen Wert oder einen um eins höheren Wert als die Karte auf dem Stapel, auf die man ablegt. Das heisst auf eine Zwei folgt wieder eine Zwei oder aber eine Drei. Auf die Sechs folgt entweder eine Sechs oder ein Lama, auf dieses erneut ein Lama oder eine Eins. Das ist alles. Taktisch lässt sich der Spielverlauf relativ wenig beeinflussen. Ob ich nun auf eine Zwei wieder eine Zwei lege oder eine Drei ist nicht matchentscheidend, da ich kaum voraussehen kann, welche Karte offen ausliegt, wenn ich das nächste Mal an der Reihe bin.
Was aber haben nun Autor und Verlag unternommen, das die Verwandlung von einem «Lama» in ein «L.A.M.A.» rechtfertigen würde? Schon nach wenigen Partien weiss man, wo die Herausforderungen und damit auch die Reize dieses Spiels verborgen sind. Nämlich dort, wo man entscheiden muss, ob man Karten vom Nachziehstapel nehmen oder aber für den Rest der Runde aussteigen will. Diese beiden Aktionsmöglichkeiten habe ich, wenn ich keine passende Karte aus meiner Hand ablegen kann. Jede hat ihre Vor- und Nachteile. Beim Abwägen gilt es zu berücksichtigen, dass alle auf der Hand verbliebenen Karten minus zählen. Gleiche Werte werden jedoch nur einmal gezählt. Es gibt also vier Minuspunkte, egal, ob ich dreimal die Vier auf der Hand habe oder nur einmal. Passe ich, weiss ich zumindest genau, wieviel Minuspunkte mir in dieser Runde blühen. Mit dem Passen verpasse ich aber unter Umständen ein noch besseres Ergebnis, da sich mit dem Nachziehen dank der neuen Karten neue Chancen eröffnen, im Spiel zu bleiben und so Karten loszuwerden. Karten jedoch, die ich nachgezogen habe, könnten mir unter Umständen auch bleiben und so mein Minus vergrössern.
Neckisches Element
Nachziehen oder Aussteigen? Ich habe mich schon oft geärgert, dass ich auf Nummer sicher gehen wollte und deshalb gepasst habe, zu früh, wie sich später herausstellte. Oder dass ich Mal für Mal Karten nachgezogen und so die Zahl meiner Handkarten unnötig vermehrt habe, weil sich keine darunter befanden, die ich ablegen konnte. Ein neckisches Regelelement hat sich der Autor des Spiels, Reiner Knizia, schliesslich für die Verteilung der Bonuspunkte ausgedacht, welche man bekommt, wenn man eine Runde als Erster durch das Ablegen aller Handkarten beendet. Dafür darf man einer seiner Chips zurückgeben, mit denen die Minuspunkte gezählt werden. Auf diese Weise kann man sogar schwarze Chips loswerden, die zehn Minuspunkte «wert» sind. Es könnte sich also lohnen, möglichst lange im Spiel zu bleiben und auf den Gewinn einer Runde zu schielen. Wobei man hoffen muss, dass diese Rechnung am Schluss auch aufgeht.
Geteilte Meinungen
Die Meinungen über das kleine Kartenspiel sind geteilt. Die einen halten «L.A.M.A.» für ein Klassespiel, während andere bei «Uno» bleiben möchten. Und es gibt solche, die nicht verstehen, dass es in Teilen des Publikums und bei Kritikern, namentlich unter den Bloggern, einen derart grossen Hype auszulösen vermochte. Udo Bartsch von der Jury «Spiel des Jahres», welche das Spiel auf ihre aktuelle Nominierungsliste setzte, schrieb in seiner Kritik: «Solche Spiele werden gebraucht, weil sie auf einfachste Weise vermitteln, was Spielspass ist.»
Das trifft meines Erachtens zu. «L.A.M.A.» hat emotionales Potenzial, bietet ein bisschen Spekulation und Ärger, eine Spur Bluff, viel Spass und das bei einem Minimum an Regeln – das ist erfahrungsgemäss die Mischung, die bei vielen Menschen die Lust am Spielen zu wecken vermag, vor allem bei Gelegenheits- und Familienspielern, die beim Spielen nicht unbedingt tiefschürfende taktische Überlegungen anstellen wollen. Aber deswegen gleich «L.A.M.A.»? Persönlich hätte ich dem Spiel eher den Ttel «L.A.ma» verpasst, passend zum witzigen kleinen Spiel für zwischendurch oder als Absacker zum Schluss eines Spieleabends.
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L.A.M.A.: Kartenablegespiel von Reiner Knizia für 3 bis 6 Spielerinnen und Spieler ab 8 Jahren. Amigo-Spiele (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), Fr. 12.- Für 2 Personen nicht geeignet, je grösser die Gruppe, desto besser.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Spielekritiker für das Ausgehmagazin «Apéro» der «Luzerner Zeitung». War lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.