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Synes Ernst: Spiel-Experte © cc

Der Spieler: Buchstabenchaos in der alten Druckerei

Synes Ernst. Der Spieler /  Sprach- und Wortspiele gibt es wie Sand am Meer. Jetzt bereichert «Spukstaben» die Gattung um eine erfrischende Variante.

Sprach- und Wortspiele gibt es wie Sand am Meer. Gefragt sind derzeit vor allem Titel, die sich der Gattung der sogenannten Kommunikation- und Partyspiele zuordnen lassen, die vor allem eines bietet: Gute Unterhaltung in grösseren Gruppen. Also genau das, was die meisten Menschen wollen, wenn sie sich mit anderen an den Spieltisch setzen.

Reine Buchstabenspiele haben vor diesem Hintergrund einen eher schweren Stand. Wer nicht zumindest ein wenig sprachaffin ist, wird von ihnen kaum angesprochen. «Scrabble», der Klassiker in dieser Gattung, besitzt zwar auch heute noch eine grosse Fangemeinde, welche die damit verbundene intellektuelle Herausforderung und den Wettbewerb unter Sprachakrobaten geradezu liebt. Die meisten aber fühlen sich von dieser Art von Spielen an die Schule erinnert, viel Ernsthaftigkeit und Disziplin, kaum Spass und Emotionalität.

Immer wieder Neuheiten auf dem Markt

Trotzdem sterben die Wort- und Buchstabenspiele nicht aus. Immer wieder bringen Verleger Neuheiten auf den Markt. Interessant ist es, zu beobachten, wie sie die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und wie sie dem herrschenden Vorurteil, diese Spiele wirkten zu seriös, zu begegnen versuchen. So steckte der Schweizer Verleger Gamefactory etwa «Bananagrams», dessen Spielprinzip sich stark an «Scrabble» anlehnt, in eine auffällige Verpackung als Hingucker, eine Stoffbanane. «Krazy Wordz» wartete wiederum mit einem witzigen Spielprinzip auf. Ravensburger ist es damit gelungen, im Bereich der Buchstabenspiele neue Akzente in Richtung moderner Unterhaltungsspiele zu setzen.

Jetzt wagt sich der Nürnberger Spielkarten-Verlag NSV, der in den vergangenen Jahren mit Titeln wie «Qwixx», «The Game» oder «The Mind» für Aufsehen gesorgt hat, mit «Spukstaben» auf das schwierige Feld. Er bereichert die Gattung der Buchstabenspiele um eine interessante kooperative Variante (die sich jedoch auch solo spielen lässt, siehe weiter unten). Beim Thema habe ich einmal mehr gestaunt, wie verrückt manchmal die Ideen und Geschichten sind, in die Autoren und Redaktionen ihr Spiel verpacken. Hier befinden wir uns um Mitternacht in einer alten Druckerei, in der es noch Setzkasten und Lettern gibt. Mitternacht, das bedeutet Geisterstunde: Kleine Gespenster, Spukstaben, treiben ihr Unwesen und versuchen, Druckbuchstaben zu stehlen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es nun, diesem Spuk bis zum Morgengrauen ein Ende zu setzen. Dies erreichen wir mit kreativen Wortschöpfungen. Je mehr Buchstaben wir retten können, desto höher fällt die Belohnung in Form von Punkten aus.

Eine Minute Zeit

«Spukstaben» kommt in kleinem Format daher. Kein grosser Spielplan, sondern quadratische Kärtchen symbolisieren den Raum, in dem sich das Geschehen abspielt, Setzraum, bei der Druckerpresse, im Büro sowie auf dem Platz vor der Türe. Hier werden nach und nach in einer bestimmten Reihenfolge die Lettern ausgelegt, zum Beispiel die Lettern W, M, B, T, S und F, mit denen die Spukstaben-Gespenster abhauen wollen. Wir versuchen das zu verhindern, indem wir Wörter bilden, die möglichst viele der ausliegenden Buchstaben enthalten. Dazu dürfen wir beliebige andere Buchstaben verwenden. In unserem Beispiel könnte mein Wort BISTRO, MOST, STURM oder BATIST lauten. Um dieses zu notieren, hat man genau eine Minute Zeit.

Für jeden aus der Auslage verwendeten Buchstaben verliert dieser an sogenannter Spukkraft, was mit einem Marker auf dem betreffenden Kärtchen angezeigt wird. Die einzelnen Spukstaben sind unterschiedlich stark. Je höher die Spukkraft von Lettern, desto grösser ist der Aufwand, sie vor dem Verschwinden aus der Druckerei zu retten. Daher sollte man sie bei den eigenen Wortbildungen möglichst oft berücksichtigen. Allerdings nützt es überhaupt nichts, einen Buchstaben gleich mehrfach in sein Wort einzubauen. Die Spukkraft eines T verringert sich gemäss Spielanleitung trotzdem nur um den Wert eins.

Gefrage Koordination

Nach jeder Runde rutschen die Spukstaben eine Reihe weiter und bewegen sich so, wie von Geisterhand geschoben, Richtung Ausgang. Und das bedeutet, dass man sofort jene Buchstaben verwenden sollte, die als nächste zu verschwinden drohen. Jetzt ist Koordination unter den Mitspielenden besonders gefragt, um vor allem doppelte Wortnennungen zu verhindern. Diese bringen nämlich nichts, das entsprechende Wort wird nur einmal angerechnet (was an den ähnlichen Mechanismus im Sprachspiel «Just One» erinnert, dem «Spiel des Jahres 2019»). Die Spielregeln lassen Tipps allerdings nur in sehr engem Rahmen zu, was die Kooperation zu einer echten Herausforderung werden lässt, vor allem in grösseren Runden.

Obwohl «Spukstaben» als Familienspiel einzustufen ist, hat es seine Tücken. Zum einen ist der von den Regeln gesteckte Rahmen, in dem Wortbildungen erlaubt sind, sehr eng, zum andern ist das Spiel mit einigen raffinierten Feinheiten ausgestattet, so etwa der Bedingung, dass ein Spukstabe gleich in die Nähe des Ausgangs platziert wird, was den Druck auf die Mitspielenden verstärkt und von ihnen eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Andere Spukstaben wiederum besitzen die Eigenschaft, dass sie gleich ein «Geschwister» mit in die Auslage bringen, und das heisst, mehr Lettern, die abhauen wollen, mehr Abwehrarbeit für die Spielerinnen und Spieler, mehr und sehr präzise Kooperation. Das alles gilt nur für die Mehrspieler-Variante. Beim Solospiel (das man auf der Homepage des Autors ausprobieren kann) muss man alle im Spiel vorkommenden Bedingungen nicht erfüllen. Das macht das Spiel einfacher, aber es fehlen damit auch die reizvollen Herausforderungen, die damit verbunden sind.

Erfrischende Variante

Was in diesem Spiel nicht unterschätzt werden darf, ist der Zeitdruck: Genau eine Minute hat man pro Runde Zeit, um sein Wort auf dem Spielblock zu notieren. 60 Sekunden, um ein Wort zu finden, das möglichst viele Buchstaben aus der Auslage in den Räumen der alten Druckerei enthält – das ist enorm wenig! So locker ist diese Herausforderung nicht zu bewältigen. Obwohl ich mich mein Leben lang viel mit Sprache beschäftigt habe, fühle ich mich bei «Spukstaben» nicht selten gestresst. Ich blicke auf die Sanduhr, sehe die vielen Lettern, die gerettet werden müssen, und ausgerechnet jetzt will mir kein richtiges Wort einfallen… Jedenfalls wird es noch einige Zeit dauern, bis ich auf der «Spukstaben»-Wertungsskala zum Wortakrobatiker oder gar zum Wortmagier aufgestiegen bin.

«Spukstaben» gefällt mir. Es bietet einen erfrischenden Zugang zu einer bekannten Gattung der Buchstabenspiele. Gemeinsam stellen wir uns einer Herausforderung, und weil jeder nach seinen Möglichkeiten zur Lösung beiträgt, können sogar auch Leute mitmachen, die sonst um Buchstabenspiele einen grossen Bogen machen.

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Spukstaben: Kooperatives Buchstaben- und Wortspiel von Moritz Dressler für 1 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 10 Jahren. Nürnberger Spielkarten-Verlag NSV (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), Fr. 18.-

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Spielekritiker Synes Ernst war lange Zeit in der Jury «Spiel des Jahres», heute noch beratendes Mitglied, in dieser Funktion nicht mehr aktiv an der Juryarbeit beteiligt.

Zum Infosperber-Dossier:

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Der Spieler: Alle Beiträge

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