aa.Spieler.Synes.2020

Synes Ernst: Der Spieler © zvg

Der Spieler: Am Schluss ist es vielleicht doch Magie

Synes Ernst. Der Spieler /   In «Witchstone» tauchen wir ein in die Welt der Zauberer und Hexen. Diese ist voller Möglichkeiten. Wir suchen die beste.

Hexen und Zauberer zählen nicht zu meinen Lieblingen. Filme und Bücher, in denen magische Gestalten ihr (Un-)Wesen treiben, sind bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa «Herr der Ringe» oder «Die unendliche Geschichte», nicht mein Ding. Auch bei den Spielen ziehe ich es vor, beide Füsse auf dem Boden zu behalten. Nicht, dass ich mich dagegen wehren würde, mich in andere Welten entführen zu lassen, aber wenn schon, dann lieber mit Geschichten, die zu früheren Zeiten oder in fernen Ländern spielen. 

Das erklärt auch, weshalb es eine gewisse Überwindung brauchte, um mich mit dem vor kurzem erschienenen «Witchstone» (dt. Hexenstein) zu beschäftigen, dessen Rahmenhandlung in der Spielanleitung wie folgt umschrieben wird: «Alle 100 Jahre versammeln sich bedeutende Hexen und Zauberer in einer Gegend, deren Lage seit vielen Generationen ein streng gehütetes Geheimnis ist, um mit magischen Formeln und Riten das Energiefeld des legendären Hexensteins zu erneuern und so den Erhalt und die Stärkung der eigenen Zauberkräfte zu sichern.»

Aus dem Vollen geschöpft

Bevor ich als Hexe oder Zauberer an der «okkulten Prozedur» teilnehmen kann, muss ich mich erst mal in der Welt der Magie zurecht finden. Was nicht ganz einfach ist, da die beiden Autoren Reiner Knizia und Martino Chiacchiera, der Illustrator Mariusz Gandzel und der Huch-Verlag aus dem Vollen geschöpft haben. Der Spielplan mit der obligaten Kristallkugel ist riesig, die Ausstattung mit Hexenkesseln für alle Mitspielenden, vielen Chips, Markern und «Kristallen», ist üppig, die reich illustrierte Spielanleitung mehrere Seiten lang. Solcher Überfluss erfreut zwar das Herz des eingefleischten Spielers, wirft aber gleich die bange Frage auf: Bekomme ich das alles in den Griff? 

Ja, lautet die Antwort. Doch alles der Reihe nach.

Der Schlüssel zum Geschehen sind die so genannten Hexplättchen, je 15 pro Spielerfarbe. Diese bestehen aus zwei zusammengefügten Sechsecken, wie man sie von «Einfach Genial» her kennt, einem früheren Spiel von Reiner Knizia. Jedes Sechseck zeigt ein Symbol, das wiederum für eine bestimmte Aktion steht, die ausgelöst wird, sobald man zu Beginn seines Zuges ein Hexplättchen in seinen Hexenkessel gelegt hat. Mit Vorteil legt man dieses so, dass gleiche Symbole wie beim Domino aneinander angrenzen, so dass mit der Zeit ein richtiges Puzzle entsteht. Je länger die Reihen und je grösser die Flächen mit gleichen Symbolen sind, desto mehr Aktionsmöglichkeiten ergeben sich daraus für mich als Spieler. Denn aneinander angrenzende gleiche Symbole werden addiert; statt nur zwei darf ich drei, vier, fünf oder mehr Aktionen aktivieren. Der Clou: Einzelne Aktionen können weitere auslösen. Man spricht in diesem Zusammenhang von Kettenzügen. Sie spielen, was schon aus dieser kurzen Beschreibung hervorgeht, in «Witchstone» eine entscheidende Rolle. Wer sie beherrscht, hat die besten Chancen, für die nächsten hundert Jahre den Ehrentitel der Meisterin oder des Meisters des Hexensteins zu tragen.

Glücksfaktor vorhanden, aber gering

Welche Aktionen man wählt, hängt davon ab, welche Hexplättchen und damit welche Symbole einem zum Beginn einer Runde jeweils zur Verfügung stehen. Die Reihenfolge, wie diese Plättchen ins Spiel kommen, ist zufällig. Trotzdem ist der Glücksfaktor in «Witchstone» eher gering. Ausschlaggebend ist allein, mit welcher Taktik man das Spielziel nach elf Runden am besten erreichen will. Entsprechend wählt man die Hexplättchen, welche einem die dafür richtigen spielerischen und taktischen Möglichkeiten bieten.

Die einzelnen Aktionen sind in der Spielanleitung ausführlich beschrieben. Ich kann also hier darauf verzichten, auf die Details einzugehen, zumal es den Rahmen einer Besprechung sprengen würde, wenn ich hier über mehrere Abschnitte hinweg erklärte, was es mit den Energie-, Hexen-, Pentagramm-, Kristall-, Zauberstab- und Schriftrollen-Aktionen auf sich hat. 

Enorme Spieltiefe

Bei der Fülle an Möglichkeiten, die «Witchstone» bietet, ist es selbstverständlich, dass man nicht gleich von Anfang den Überblick hat, was hinter den einzelnen Aktionen steckt. Man sollte sich genügend Zeit lassen, das Spiel kennenzulernen, was sich auch lohnt: Denn je mehr man in die Zauberwelt abtaucht, desto verlockender ist es, neue Taktiken auszuprobieren. Da «Witchstone» über eine enorme Spieltiefe verfügt, bietet es genügend Raum für solche magische Entdeckungsreisen. So schnell hat man «Witchstone» in jedem Fall nicht ausgespielt, wenn überhaupt. 

Das hängt auch damit zusammen, dass wir mit «Witchstone» ein Optimierungsspiel vor uns haben. Sein Spielmechanismus fordert uns direkt oder indirekt immer wieder auf, beim nächsten Mal auszuprobieren, ob ich mit einer anderen Taktik zu mehr Siegpunkten kommen oder mit einem anderen Zeitmanagement meiner Konkurrenz nicht doch noch ein paar Boni vor der Nase wegschnappen könnte. Besser machen kann man es immer. Oder zumindest versuchen, wozu uns «Witchstone» auf raffinierte Art und Weise einlädt. Denn immer wieder werden wir für unsere Aktionen mit zusätzlichen Sieg- oder Bonuspunkten belohnt. So bleiben wir gerne dran.

Intensives Spielerlebnis

Meiner anfänglichen Abneigung der Welt der Hexen und Zauberer gegenüber zum Trotz: «Witchstone» bietet ein Spielerlebnis, das so intensiv ist, dass man die thematische Einbettung kaum mehr wahrnimmt. Es richtet sich an Leute, die über eine gewisse Spielerfahrung besitzen und auch vor umfangreicheren Spielanleitungen keine Angst haben. Für «Witchstone» spricht zudem, dass es den beiden Autoren gelungen ist, das komplexe Spielgeschehen so zu strukturieren und näher zu bringen, dass wir zum einen den Eindruck haben, es völlig zu durchschauen, zum andern aber das Gefühl nicht loswerden, dass darin noch ein paar Geheimnisse versteckt sind. Am Schluss doch Magie? 

Witchstone: Taktisches Optimierungsspiel von Reiner Knizia und Martino Chiacchiera für 2 bis 4 Spielerinnen und Spieler ab 12 Jahren. Huch-Spiele (Vertrieb Schweiz: Carletto AG, Wädenswil), ca. Fr. 64.-.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Synes Ernst ist Spielekritiker und beratendes Mitglied der Jury «Spiel des Jahres».
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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