China: Die Verstädterung eines riesigen Landes
Bis im Jahr 2025 sollen weitere 300 Millionen Chinesinnen und Chinesen in Millionenstädte ziehen. Dann werden 900 Millionen der 1,3 Milliarden Einwohner «urbanisiert» sein. Das Tempo der von der Partei geförderten Verstädterung ist u.a. deshalb möglich, weil die Bauernfamilien auf den weiten Landstrichen keine Eigentumsrechte haben. Die Stadtverwaltungen können Land einzonen und es an Generalunternehmer verkaufen oder leasen. Weil sie die Bauern nur gering entschädigen müssen, gelangen die Städte und ihre Funktionäre zu hohen Einnahmen. Das Resultat sind schreckliche Überbauungen der Stadtränder mit Wolkenkratzern voller Wohnungen und Büros, von denen viele leer stehen.
Auseinander driftende Klassen
In den Millionenstädten leben einerseits reiche Eigentümer, die nach Europa in die Ferien reisen, und andererseits Wanderarbeiter, die in Fabriken schuften und viele Hilfsarbeiten verrichten. Wanderarbeiter dürfen sich in den Städten nicht anmelden, müssen deshalb auf öffentliche Dienste verzichten und behalten ihren offiziellen Wohnsitz auf dem Land. Bei der Bevölkerungszahl der Städte wird deshalb unterschieden «mit» oder «ohne» Millionen von Wanderarbeitern.
In kleineren und mittleren Städten sollen Wanderarbeiter künftig zwar Wohnsitz nehmen können, doch in Städten mit über fünf Millionen Einwohnern wird sich an der Zweiklassen-Bevölkerung kaum etwas ändern. Sozialer Zündstoff ist vorhanden. Im Folgenden einige optische Eindrücke der rasanten Verstädterung (alle Bilder von Andreas Seibert).
Hochhäuser im Bau (durch ein Zaunloch) in der südlichen Agglomeration der Stadt Zhengzhou. Zhengzhou, Henan Province, China. 23.05.2015
Das Dorf Wang nördlich von Zhengzhou, das Hochhäusern weichen muss. Herr Wang, 82, arbeitet in einem kleinen Garten, wo früher das Haus seines Sohnes stand. Weil sein Sohn Mitglied der KP ist, wurde er gebeten sein Haus als erstes abreissen zu lassen. Henan province, China. 22.05.2015
Das «Stadt-Dorf» Lao Ya Chen Village in Zhengzhou ist bereits teilweise zerstört. «Stadt-Dörfer» liegen teilweise im Stadtkern und teilweise ausserhalb. Sie sind vor allem von Armen und Wanderarbeitern bewohnt. Häufig sind sie schmutzig, übervölkert und mit sozialen Konflikten konfrontiert. Allerdings gehören sie zu den belebtesten Quartieren und bieten Ankömmlingen Arbeit. Zhengzhou, Henan Province, China. 27.05.2015
Im Dorf Lao Ya Chen, einem bereits teilweise abgerissenen Viertel von Zhengzhou. Chang, 7, (links) und ihre Freundin Tien, 11. Zhengzhou, Henan Province, China. 27.05.2015
Eine Wandzeichnung in der Stadt Zhengzhou zeigt einen Chimonanthus und ein Gedicht über diese Winterblüte. Die chinesische Kultur schätzt diese Pflanze, weil sie auch harte Winter überlebt, ähnlich wie Bambus oder Pinien. Zhengzhou, Henan Province, China. 27.05.2015
Blick auf Zhengzhou vom 388 Meter hohen «Tower of Fortune». Zhengzhou gehört zu den zehn schmutzigsten Städten Chinas. Ein Bericht von Greenpeace aus dem Jahre 2015 zeigt, dass die Provinz Henan die höchste Luftverschmutzung aller Provinzen hat. Zhengzhou, Henan Province, China. 30.05.2015
Herr Liu, 59, arbeitet als Strassenwischer auf einem offenen Lebensmittelmarkt auf dem «Lung Hu Beer Square». Zhengzhou, Henan Province, China. 01.06.2015
Die weltgrössten Panorama-Bilder sind im dritten und vierten Stock des 184 Meter hohen Wolkenkratzers «Tower of Fortune» ausgestellt. Unter dem Titel «Splendid Central Plains» zeigt es das kulturelle Erbe der Provinz Henan, darunter die als Weltkultur anerkannten antiken Bauten von Dengfeng, die Longmen Grotten in Luoyang (Drachen-Tor-Grotten) und das Yinxu Museum in Anyang. Zhengzhou, Henan Province, China. 30.05.2015
Strassenszene am frühen Morgen im zentralen Geschäftsviertel von Zhengzhou. Zhengzhou, Henan Province, China. 18.03.2016
Neue Autobahn im Bau in der südlichen Agglomeration von
Zhengzhou. Zhengzhou, Henan Province, China. 19.03.2016
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Siehe auch:
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Von den Kulturellen Eigenheiten, also der Architektur, mal abgesehen erkenne ich die beschriebene Situation als die geleiche hier. Anstatt dem Staat und seinen Volksvertretern regiert neoliberaler Schutz von Eigentum, marktübliche Renditen und Profite die vom Staat zu schützen sind. Was die Wegweisung von Besitzlosen anbelangt erkenne ich auch hier keinen Unterschied, denn das letzte Wort hat immer der Besitzende der die Besitzlosen wegweisen darf und diese können selber schauen wo sie bleiben. Ebenso wird ein besitzender Staat (sozialer Wohnungsbau), auch wieder in Vertretung der Besitzlosen, als Konkurrent von privaten Investitionen.
In den Augen der neoliberalen ist gemeinschaftlicher Besitz, Service Public, Non Profit Diebstahl weil Investitions,,Profit, Renditemöglichkeiten verhindert werden und die dafür erhobenen Steuern gleich noch als Raub betrachtet werden. Was also dort einer Partei zugeschoben werden kann wird hier dem Staat und seiner Pflicht zum Eigentummschutz übergeben. Gerade auch die einstigen Service Public Systeme die ja über Jahrzehnte von allen bezahlt wurden, hat man gezielt privaten Profitinteressen vermacht und eventuelle Anliegen von seiten der Bevölkerung entzogen. Eine debatte über was mit öffentlichem Gütern getan werden soll gab es nie. Was es aber laufend gibt ist das auslagern von profitablen Prozessen aus staatlichen Einheiten in privates Unternehmertum.
Der chinesische Manchester-Kapitalismus unter der Führung der «Kommunistischen» Partei Chinas ist mindestens so brutal wie seinerzeit der englische im 19. Jahrhundert. Mit der massiven Verstädterung, wonach 70% der Bevölkerung von 1.3 Milliarden in Grossstädten wohnen sollen, wachsen auch die sozialen Probleme und wird sich in Kürze genügend sozialer Sprengstoff anhäufen. Ein kleiner Funke wird genügen, um dieses Pulverfass zum Explodieren zu bringen. Das kann in 2 Jahren oder in 12 Jahren sein. Die aktuellen wirtschaftlichen Probleme Chinas sind erst der Vorbote. Hinzu kommen die Folgen der strikt durchgesetzten Ein-Kind-Familienpolitik mit der Überalterung der Gesellschaft. Ob die KPCh das überleben wird, ist zumindest fraglich. China steht vor grossen Veränderungen.