Glosse
Aliens hinter dem Gurten?
Bundesbern muss für die USR-III-Abstimmungsschlappe den Gring hinhalten, bekamen doch «die da oben» am 12. Februar einen heftigen Chlapf a d’Ohre. Die Classe politique wurde regelrecht deklassiert.
Bern gilt als behäbiges Provinznest und biederes Beamtenbiotop. Auch der Bauernstand ist weitherum wahrnehmbar, wird doch am westlichen Stadtrand noch bschüttet*. Lenin entfloh 1916 diesem «kleinbürgerlichen Käfig» (NZZ, 22.02.), ebenso verliess Einstein die engen Gassen (1922), ihm folgten Dürrenmatt (1946) und Nizon (1977). Andere kritische Geister wie Kurt Marti (kürzlich 96-jährig verstorben) und Mani Matter (1936 – 1972) blieben und rieben sich an den Autoritäten.
Bern hat über Jahrzehnte ein beachtliches Protestpotenzial entwickelt. Die Reitschule ist für viele rechtschaffene Bürger ein Ärgernis. Derzeit machen die Chaoten wieder Furore und kämpfen letztlich auf verlorenem Posten gegen die Tschugger, wie sie die Polizei nennen. Niemand fragt nach den tiefen Gründen dieser Krawalle, doch das geforderte Strafmass für die bösen Aktivisten verdoppelt sich täglich. In der Bundesstadt finden auch die grossen Politdemos statt, heikle Versammlungen wie diejenige der Tibeter gegen den chinesisches Staatschef werden hingegen nicht in der Nähe des Bundeshauses geduldet.
Stiller Has hoppelt zahmer
Bern beherbergt etliche Protestsänger und Auflehnungs-Poetinnen. Stiller Has und Züri West gehören zum kulturellen Inventar. Der Has hoppelt in seiner neuen CD («Endosaurusrex») zwar nicht mehr so aufmüpfig durch die Schrebergärten. Aber dafür beflügelt die jüngere Spokenword-Generation mit Stefanie Grob («Ir fautsche Stadt») sowie vielen andern originellen Köpfen die rebellischen Fantasien. Und leistet Widerstand, gewaltlos im Gring.
Bundesbern schafft nämlich unerbittlich aus. Zum Beispiel letzthin eine als Flüchtling abgewiesene Tibeterin nach Nepal, wo sie (wie voraussehbar) verhaftet wurde und unweigerlich an China ausgeliefert wird. Dort erwarten die 27-jährige Frau qualvolle Jahre in Gefängnissen und Umerziehungslagern (TA, 23.02.). Der Bund erlaubt auch den Export von Rüstungsmaterial nach Saudi-Arabien, wo die Menschenrechte (wie in Tibet) buchstäblich mit Füssen getreten werden.
Bundesbern mangelt es an Visionen, die Energiewende hat die Kurve nicht geschafft, die Politzukunft dreht sich um Milliardenlöcher in der Altersvorsorge und Grenzzäune für Flüchtlinge. Die intellektuelle Wüste lebt. All die Blochers, Amstutz‘ und Glarners animieren unweigerlich zum Auswandern. Gringweh machen aber auch die antiquierten Kampfparolen der Linken. Rundum Eigennutz und Bauchnabelperspektive. Dazu Stiller Has: «I wott ändlech furt vo hie (…), furt vo däm land hinger de bärge, wo cowboys zu gartezwärge wärde.»
40 Lichtjahre ennet dem Frienisberg
Bern hat jedoch eine weltoffene Universität. Bekannt ist die kleine, aber feine Hochschule für ihre Klimaforschung, genauso wie für Raumfahrt und Astronomie. Berner Forschende haben jetzt (in einem internationalen Team) sieben erdähnliche Planeten entdeckt, wie das renommierte Wissenschaftsmagazin «Nature» berichtet (22.02.). Eine Sensation auf sämtlichen Kanälen! Die Planeten kreisen um den Zwergstern Trappist-1 und sollen die bisher vielversprechendste Fährte zu ausserirdischem Leben sein (diverse Medien, 23.02.). Es könnte dort flüssiges Wasser geben und damit die Voraussetzungen für biologische Daseinsformen. Das stimuliert die Fantasie: Endlich kommt Hoffnung auf, dass es hinter dem Gurten* doch noch Leute gibt.
Bern schafft damit Perspektiven, die Welt endet nicht ennet dem Frienisberg*. Treffen wir demnächst Mitmenschen aus anderen Sonnensystemen, die politisch und kulturell sogar weiter entwickelt sind als wir? In Sicht käme dabei eine bessere Zukunft, fern von irdischen Zumutungen wie Trump, Le Pen, al-Assad, Erdogan und Kim Jong-un. Bern, die Stadt mit den lauschigen Lauben, könnte den Globus ermuntern, den wissenschaftlichen Weitblick auf Politik und Wirtschaft zu übertragen. Beispielsweise mit fairen Wirtschaftsbeziehungen, bedingungslosem Grundeinkommen (finanziert durch Robotersteuer) und fossilfreier Energieversorgung.
Bern lässt die Erde träumen, doch die Distanz von 40 Lichtjahren zu Trappist-1 ist kein Pappenstiel. Die Reise zu den erdachten Paradiesen auf den jüngst entdeckten Planeten würde endlos dauern – mit den schnellsten heutigen Raumschiffen (New-Horizons-Sonde der Nasa) mindestens eine halbe Million Jahre. Die Berner Lebensweisheit «Nume nid gschprängt, aber gäng echly hü!»* bekommt dabei eine ziemlich weltfremde und auch duldsame Note. Der Mensch gebietet zwar über die Erde, im Universum ist er jedoch bedeutungslos. Das tut vielen hienieden halt schampar weh.
*Berndeutsches Glossar: bschütten (jauchen), Gurten (Berner Hausberg), Frienisberg (Naherholungsgebiet im Norden Berns), Nume nid gschprängt, aber gäng echly hü! (Nicht hastig, doch stets ein bisschen vorwärts!), schampar (sehr, besonders, extrem)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist des «Tages-Anzeiger» war bis Februar 2014 Öffentlichkeitsreferent der ETH Zürich. Er publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i».