Kommentar

Felskugel macht Science-Fiction lebendig

Beat Gerber © bg

Beat Gerber /  Ein erdähnlicher Planet im benachbarten Sonnensystem lässt hienieden Astronomen träumen und Politiker fantasieren.

Wenn «Nature» eine wissenschaftliche Sensation ausruft, spitzt die westliche Welt die Ohren. Das renommierte britische Fachjournal platziert stets die wichtigsten Themen und Trends in der Forschung. Auch katapultiert es Karrieren in akademische Höhen. Letzte Woche nun verkündete «Nature» die «Erfüllung eines langjährigen astronomischen Traums»: Ein internationales Forscherteam unter Leitung der Londoner Queen-Mary-Universität soll den erdnächsten Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems entdeckt haben. Getauft wurde die riesige Felskugel (mit 1,3-facher Erdmasse) auf den prosaischen Namen Proxima b.

Proxima b gleiche unserem Globus auf frappante Weise, jubeln Astronomen und Journalisten zugleich. Zwar umrunde er seinen Mutterstern Proxima Centauri in nur 11,2 Tagen, doch dieser sei verglichen mit unserer Sonne ein kühler Zwerg. Der aufgespürte Exoplanet dürfte daher eine «habitable Zone» haben, worin Wasser fliessen könnte. Theoretisch wäre dort also ausserirdisches Leben möglich!

Solch verlockende Aussichten wecken unweigerlich neue Begehrlichkeiten. Für gründlichere Analysen brauche es deutlich stärkere Teleskope und hochauflösende Spektroskope, fordern die 31 Autoren der Studie in «Nature». Auch ein Schwarm winziger Roboter könnte zu Proxima b geschickt werden, um vor Ort mittels Minisonden die Gegend auszuspionieren. All diese kosmischen Geistesblitze kosten wohl viel irdisches Geld, man rechne.

Hellhörige Politik, endlose Reise

Auch die Politik wurde hellhörig und kam wie die Wissenschaft auf mehr oder weniger ernsthafte Erleuchtungen. Wenn die Forscher auf Proxima b sogar intelligentes Leben für möglich halten, liessen sich etliche aktuelle Problemverursacher bequem dorthin abschieben. Man denke an die Flüchtlinge in Como und anderswo, die Streithähne um Burka und Burkini, man nenne die lästigen Mahner für eine grüne Wirtschaft und die Energiewende. Man besinne sich auf die Kriege in Syrien, Afrika und Afghanistan.

Bei ihren Patentrezepten haben die Volksvertreter jedoch übersehen, dass Proxima b immerhin volle vier Lichtjahre entfernt ist. Die Distanz von unserer Sonne zur Erde bewältigen die Lichtstrahlen in 8,3 Minuten. Folglich würde die Reise zu den erdachten Reservaten auf der planetaren Felskugel endlos dauern – mit den schnellsten heutigen Raumschiffen rund 100‘000 Jahre.

Doch keine Bange, die Forschungsgelder der Astronomie werden munter weiter sprudeln. Auch die Medien bekommen dadurch süffigen Science-Fiction-Stoff. «Die Aliens wohnen in unserer Nachbarschaft», titelte die «SonntagsZeitung» einen ganzseitigen Artikel zum Thema (28.08.). Die Himmelskunde wird wie bisher unsere Fantasie mit ausserirdischen Daseinsformen beleben. Hingegen werden die misslichen Politprobleme garantiert auf Erden verharren. Hienieden weist uns die Physik in die Schranken. Tröstlich dabei: Selbst Naturgesetze sind nicht allmächtig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist Beat Gerber publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i», auf der diese Glosse erschien.

Zum Infosperber-Dossier:

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Beat Gerber: Tüpfelchen auf dem i

Die Welt ist Satire. Deshalb ein paar Pastillen für Geist und Gaumen.

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Beat Gerber

Der langjährige TA-Wissenschaftsjournalist und ehemalige ETH-Öffentlichkeitsreferent publiziert auf www.dot-on-the-i.ch Texte und Karikaturen. Kürzlich erschien sein erster Wissenschaftspolitkrimi «Raclette chinoise» (Gmeiner-Verlag).