Facebook & Co nutzen Schwächen unseres Gehirns aus
Red. Der Autor ist Digital Officer an der Berner Fachhochschule im Fachbereich Wirtschaft.
Als ich klein war, hat mir mein Vater einen Trick beigebracht, wie man sicherer im Verkehr unterwegs sei. Neben «luege, lose, laufe» hat er mir empfohlen, durch die Windschutzscheibe den Fahrer anzublicken. Wenn man den Fahrer am Steuer sehen konnte, dann konnte man auch erkennen, wohin dieser schaut und ob er einen gesehen hat.
Das mache ich im Verkehr noch immer so. Aber heute zähle ich, wie viele Leute am Steuer das Handy verwenden. Fazit: Mehr als man denken würde.
Kurz an der Ampel gestanden? Handy hervorgekramt. Lange, langweilige Strasse und Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30km/h? Zeit zu scrollen, während man mit einem Auge die Strasse mehr oder weniger im Blick behält. Anruf? Muss abgenommen werden. An einem guten Tag komme ich auf etwa sechs Beispiele pro Arbeitsweg und dieser ist nicht allzu lang. Kurzum, ich überlege mir, ob ich nicht vom Velo auf etwas Sichereres umsteigen soll.
Beim Einfahren in die Stadt komme ich an mehreren Haltestellen vorbei und sehe Menschentrauben auf ihren ÖV warten – und was wird dort gemacht? Instagram gescrollt, Benachrichtigungen abgearbeitet, Messages beantwortet. Um 10 Uhr komme ich an einem Café vorbei, ein Pärchen sitzt da, jung, hübsch. Sie reden nicht miteinander, sie leisten sich Gesellschaft beim Texten, während der Kellner fünf Meter weiter entfernt in seiner Zigarettenpause den Feed, der sich seit Schichtbeginn angesammelt hat, auf seinem neuen iPhone abarbeitet.
Feierabend, ich gehe an die Aare, schliesslich ist Abkühlung dringend notwendig. Auf dem Weg vom Marzili unter dem Bundeshaus zum Eichholz zähle ich die Handys, die von Badenden im Wasser gehalten werden, und komme oft auf drei. Die Handys, die auf den Badetüchern links und rechts gezückt sind – unzählbar.
Fast schon habe ich das Gefühl, dass diese Leute es kaum erwarten können, ihr Handy unter die Haut implantiert zu bekommen und es subkutan zu konsumieren, es überall mitzunehmen und nie mehr wieder verlieren zu können. Manchmal fühle ich mich wie in einem dieser klassischen Horrorfilme, wo sich die Welt des Protagonisten unmerklich von einem Tag auf den anderen verändert hat und dieser schliesslich merken muss, dass irgendetwas ganz und gar nicht mehr stimmt.
Und dieses Etwas hat einen Namen: Sucht
Unser Hirn hat gemäss Neurowissenschaftlern drei Grundfunktionen. 1. Informationen sammeln 2. Soziale Zugehörigkeit 3. Gefahren vermeiden. Alles andere, was unseren Charakter, unsere Motivation und unsere Einzigartigkeit ausmacht, kommt danach oder kann diesen drei Bereichen untergeordnet werden. Social Media, das Internet und die Endgeräte (vor allem Smartphones), decken genau diese drei Bereiche ab.
Komischer Zufall, oder? Wenn man eine Benachrichtigung bekommt und diese checkt, dann wird man vom Hirn belohnt, Informationen gesammelt zu haben. Likes für die Bilder vom Wochenende? Man gehört dazu. Ein reisserischer Artikel? Pfuuh, wieder Gefahr vermieden. Und das alles aus dem Komfort des Bettes heraus und vor dem ersten Kaffee. Wie will die «echte Welt» da mithalten?
Doch wie wird aus diesem Verhalten eine Sucht? Nun, auch da haben Neurowissenschaftler eine Antwort. Nach dem Neurowissenschaftler Eric Kandel bilden sich im Hirn sogenannte Nervenautobahnen. Das heisst, wenn man einen Gedanken oder eine Handlung erfolgreich zu Ende denkt oder ausführt, dann bildet sich eine Verbindung, ähnlich einer Strasse zwischen den Neuronen. Zuerst ist diese Verbindung wie ein Trampelpfad, klein, uneben und nicht sehr schnell, doch je öfter ein bestimmter Gedanke gedacht wird, desto «ausgebauter» wird diese Strasse und umso motivierter wird das Gehirn, in diesen Bahnen zu denken. Wenn wir unserem Hirn mitteilen, dass wir unsere Grundbedürfnisse (Informationen holen, soziale Zugehörigkeit, Gefahrenvermeidung) aus dem Komfort unseres Bettes und risikolos holen können, dann verkümmern die anderen Bahnen zusehends, bis wir irgendwann einmal nicht mehr ohne die täglich benutzten Pfade leben können. Für seine Erkenntnisse und wissenschaftlichen Beweise seiner Theorie hat Kandel im Jahr 2000 den Nobelpreis für Physiologie und Medizin erhalten.
Und genau diese Verletzlichkeit unseres Hirnes wird vom grossen Social-Media Giganten Facebook (WhatsApp, Instagram) gezielt ausgenutzt. Sean Parker, Mitbegründer von Napster und Berater bei Facebook, erklärte 2017 in einem Interview, dass die Facebook-Gründer genau wussten, dass sie etwas süchtig Machendes kreierten, indem sie eine «Vulnerability», also eine Verletzlichkeit im menschlichen Gehirn ausnutzten. Chamath Palihapitiya, CEO von «Social Capital» und Vizepräsident für «User Growth», also Nutzerzuwachs, geht sogar einen Schritt weiter und fürchtet, was diese «auf kurzfristige Belohnungen ausgerichteten, Dopamin-gesteuerten Feedback-Loops in unseren Hirnen ausrichten können und dass der Zusammenhalt unserer Gesellschaft dadurch zerstört werden könnte…»
Ganz so schwarz malen nicht alle den Teufel an die Wand. Das Internet und damit auch Social Media und Smartphones sind etwas völlig Neues für unsere menschliche Entwicklung. Es ist fast so, als hätten wir einen neuen Tastsinn entdeckt oder als wäre uns plötzlich ein weiterer Arm gewachsen und dieser schwinge jetzt ungeschickt hin und her, schmeisse Sachen um und schlage einem bisweilen ins Gesicht, weil wir noch nicht gelernt haben, diese neue Technologie richtig zu nutzen.
Technikbefürworter und leidenschaftliche Anhänger der Informationstechnologien und unserer sich bildenden Informationsgesellschaft sind zuversichtlich, dass wir in irgendeiner Form damit umgehen lernen werden. Es wird Gesetze, Bildung und das Vermitteln von Kompetenzen brauchen, damit wir in Zukunft nicht weiterhin schutzlos Psychomanipulationen durch ausländische Grossfirmen ausgesetzt sind.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Der Artikel beschreibt sehr anschaulich, was auch ich tagtäglich beobachte – ich könnte auch noch einiges Krasseres erzählen. Ich frage mich allerdings, was der Satz am Schluss soll: »….. damit wir in Zukunft nicht weiterhin schutzlos Psychomanipulationen durch ausländische Grossfirmen ausgesetzt sind.» Ist der Autor etwa der Ansicht, inländische, also schweizerische Firmen enthielten sich jeglicher Psychomanipulationen?
"Es wird Gesetze, Bildung und das Vermitteln von Kompetenzen brauchen, damit wir in Zukunft nicht weiterhin schutzlos Psychomanipulationen durch ausländische Grossfirmen ausgesetzt sind."
Spannender Artikel. Allerding: wäre es besser, all das würde durch inländische Grossfirmen bedient?
@ Herr Dinter, @Herr Lüthi
Ich finde den Satz im Nachhinein auch eher unglücklich formuliert, denn dieser könnte immer noch sehr gut ohne das «ausländische» funktionieren. Es müssen auch nicht mal Grossfirmen sein.
Besten Dank für Ihre scharfen Augen.
M. Arduin