Steuererklärung: Basel will Überforderte anrufen
Es ist wieder Hochsaison für die Verantwortlichen der Haushaltsfinanzen: Wer die Frist nicht verlängert, muss die Steuererklärung bis Ende März einreichen. Mit dieser Pflicht zur Deklaration der Steuern ist die Schweiz ein Sonderfall. In anderen Ländern ist es üblich, dass die Steuern direkt vom Lohn abgezogen werden. Hierzulande muss jeder und jede eine Steuererklärung ausfüllen. Wer es nicht tut, bezahlt dafür teuer. Das zeigt beispielhaft der Fall einer alleinerziehenden Mutter, den das «Surprise Magazin» in seiner aktuellen Ausgabe schildert.
Riesiger Schuldenberg trotz Arbeitslosigkeit
Die Frau hatte wegen einer psychischen Krise während zehn Jahren keine Steuererklärung eingereicht. Heute sitzt sie deswegen auf einem Schuldenberg in sechsstelliger Höhe. Der Grund: Die Behörden wussten nicht, dass die Frau arbeitslos war und schätzten sie aufgrund ihrer letzten, gutbezahlten Tätigkeit als Anwalts- und Direktionssekretärin ein. Hätte sie ihre Steuererklärung korrekt eingereicht, hätte die Frau keine Steuern bezahlen müssen – und erst noch Anrecht auf Prämienverbilligung bei ihrer Krankenversicherung gehabt. Neben den Steuern schuldet die Frau auch ihrer Krankenkasse viel Geld – Konsumschulden dagegen hat sie keine. Sie sei komplett überfordert gewesen und habe Angst davor gehabt, vom Steueramt zur Rede gestellt zu werden, begründete die Frau ihr Unterlassen. In der Zeit habe sie von Ersparnissen sowie den Alimenten ihres ex-Mannes gelebt.
Wird also bei der Steuererklärung Überforderung systematisch bestraft? Behörden stellen sich auf den Standpunkt, dass sie rechtlich dazu verpflichtet sind, jene nicht zu begünstigen, die ihren Pflichten nicht nachkommen. Tatsächlich heisst es im Gesetz dazu, dass Ämter dafür sorgen müssen, dass nicht höhere Steuern bezahlt, wer diese korrekt deklariert. Ohne eine Deklaration stützen sich die Ämter bei der Steuereinschätzung in der Regel auf Vorjahresdaten oder Lohnmeldungen des Arbeitgebers. Fehlen solche, haben sie viel Ermessensspielraum.
Die Baslerin mit dem Schuldenberg ist mit ihrer Geschichte aber nicht alleine. Eine Untersuchung der Fachhochschule Nordwestschweiz kommt zum Schluss, dass vielfach Überforderung der Grund ist, warum Steuererklärungen nicht eingereicht werden. Die Befragten aus dem Kanton Basel-Stadt steckten in einer Lebenskrise, zum Beispiel nach einer Trennung, bei Arbeitslosigkeit, Schulden, Wohnungsverlust oder gesundheitlichen Problemen.
Allerdings: Wie viele tatsächlich überfordert sind und wie viele der Deklarationspflicht aus anderen Gründen nicht nachkommen, darüber kann die Untersuchung keine Angaben machen. Denn es handelt sich um eine qualitative Studie, die lediglich auf 19 Interviews basiert. Tanja Soland, zuständige Regierungsrätin von Basel-Stadt, räumt denn auch ein, dass es durchaus Personen gebe, die ihre Steuererklärung nicht einreichten in der Hoffnung, dass sie zu tief eingeschätzt werden. Dies zeigten die Erfahrungen des Steueramts.
13’000 Menschen anrufen
Um herauszufinden, wie viele das sind und wie viele effektiv in einer Krise stecken und aus Überforderung ihren Pflichten nicht nachkommen, plant der Stadtkanton nun weitere Massnahmen. Man prüfe derzeit all jene anzurufen, die entweder auf die erste oder auf die zweite Mahnung nicht reagierten, so Soland. Und zwar nicht, um Druck zu machen, die Rechnung zu begleichen. «Sondern um die Gründe zu verstehen, warum sie ihre Steuern nicht deklarieren.» Dafür müsste die Stadt viele Stunden am Telefon verbringen. Rund 13’000 zweite Mahnungen verschickte Basel im letzten Jahr, 5600 Personen, die keine Steuererklärung einreichten, schätzte sie ein.
Als weitere Massnahme, um zu präziseren Einschätzungen zu kommen und zu verhindern, dass zu hohe Einschätzungen die Falschen treffen, soll das Steueramt auf die Daten des Sozialamts zurückgreifen können. Eine Arbeitsgruppe aus beiden Ämtern arbeite derzeit an den Details, heisst es. Punkto Datenschutz spricht nichts dagegen, da Ämter all jene Informationen untereinander austauschen dürfen, die sie für die «pflichtgemässe Erfüllung» ihrer Aufgabe benötigen. Das ist bei der Einschätzung der Steuerbeträge der Fall, denn Sozialhilfebeiträge sind nicht steuerpflichtig. Reichen SozialhilfebezügerInnen allerdings keine Steuererklärung ein und werden eingeschätzt, schulden sie den vom Amt festgelegten Betrag dennoch.
«Staat trägt auch eine Bringschuld»
Die Praxis mit der Steuererklärung ist für Fachleute ein Beispiel dafür, dass die Schweiz ihren Bürgerinnen und Bürgern relativ viel Verantwortung überträgt. Dabei habe der Staat nicht nur die Pflicht, das Geld einzufordern, sondern müsse auch dafür sorgen, dass die Beträge stimmen, wie Carlo Knöpfel, Professor für Sozialpolitik und Soziale Arbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz, sagt. «Der Staat trägt auch eine Bringschuld.» Knöpfel fordert, dass Wissen über die Steuererklärung, genauso wie solches über Sozialleistungen bereits in der Schule vermittelt werden sollte. «Heute vernachlässigt es der Staat über weite Strecken, Wissen über sich selber im Rahmen der Schulbildung zu vermitteln.»
Dieser Text ist eine Zusammenfassung aus einem Artikel des Autors aus dem auf der Strasse verkauften und online nicht verfügbaren Surprise Magazin (Nr. 519).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke, das Ausfüllen der Steuererklärung war mir lange ein Horror in Basel. Die Androhung von Strafe durch zu hohes Einschätzen sitzt einem im Nacken, wenn man in einer Familie mit Existenzangst aufwachsen musste. Mein verstorbener Vater brüllte jeweils in seiner Verzweiflung » Wer in der Schweiz nicht funktioniert und Steuern zahlt, landet in der Psychiatrie, im Gefängnis oder kann unter der Brücke übernachten.» Wenn die Steuererklärung kam, dominierte Gewalt und Alkohol. Mein Vater arbeitete zeitweise bis zu meinem 10 Lebensjahr an 2 Stellen gleichzeitig, um 5 Esser durch zu bringen, trotz Berufslehre und Handelsdiplom. Als Kind schon Kriegstraumatisiert, auf einem Auge fast blind, erlag er bei der Pension dem fünften Herzinfarkt. Ein gewalttätiges System ohne Alternativen auf Bestrafung aufgebaut macht krank, erzeugt Elend und letztendlich radikalen Kapitalismus und Kriege. Quo Bonum, wem nützt es? Man folge dem Geld. Vieles hat sich gebessert, aber wir sind noch weit vom Ziel entfernt.
«Da es bei den Steuern ökonomisch gesehen nicht um eigentliche «Bezahlung» geht, sondern um eine «Rückflusszuordnung» handelt es sich um eine falsche Umlage der Staats- und Sozialquote. Mit diesem gesetzlich legitimierten, modellierten Umweg, werden völlig unnötige Arbeitsplätze geschaffen und die Menschen in die Irre geführt. Weder der reichste noch ärmste Zeitgenosse beteiligen sich an der Staats- und Sozialquote, denn es fällt kein Geld vom Himmel. Die Staats- und Sozialquote wird wie alle Kostenfaktoren in den Leistungspreis eines Produkts einkalkuliert und von der Gelderzeugung abgedeckt. Es geht nur um Umlage! Diese müsste zwingend direkt von der Wirtschaft an den Staat erfolgen, denn diese Anteile gehören nicht zum Erwerbseinkommen (Gegenwert der Arbeitsleistung) hinzugefügt. Dieser infame Irreführung ermöglicht den Regierenden ihren Spieltrieb ausleben zu können, denn die Geldentstehung stellt nur die Sinnfrage, niemals die Demografie-, Erwerbs- und Kostenfrage, sie kann keinen Mangel erzeugen, er muss organisiert werden»
Danke Herr Ermotti, ihr Kommentar regt mich zum Denken an und bewegt mich.
In meinem Kanton helfen die netten Leute vom Steueramt gerne bei der Korrektur der Steuererklärung. Aber nur wenn zugunsten von Gemeinde und Staat geht. Wenn ich zuwenig Abzüge mache, bleibt die Hilfe aus.
Was können wir Bürger und Bürgerinnen, wir Menschen, tun, damit diese Situation besser wird? In Basel hat sich, nach meiner Erfahrung, in den letzten 10 Jahren in sozialer Hinsicht einiges gebessert. Als ein Mensch mit einem Handycap seit Geburt, welches mich zu früh aus dem Berufsleben riss, wurde meine Steuererklärung schwieriger. 4 Zeugnisse für die Abzüge, ja vor 15 Jahren musste ich noch hunderte von Ausgabenquittungen beilegen für meine aufwändige Diät. Auch das ich eine Benevol Ausbildung machte, um nicht nutzlos zu sein, damit ich im Sozialbereich stundenweise ehrenamtliche Einsätze machen kann solange es noch geht, verlangte zu belegen, das ich kein heimlicher Nebenverdiener bin. Solche Dinge tun weh, vieles ist in diesem Bereich besser geworden, aber es könnte noch besser, vor allem Gerechter werden. Viele nicht selbst verschuldete Randständige wissen nicht mal, das es ein Büro für Steuererlass gibt, das es einen Sozialkalender gibt um Unterstützung zu beantragen, viele sind in Krisen überfordert und können diese Angebote nicht mal nutzen. Sie landen in einem Schuldenberg, können sich nicht wehren, und kommen wirtschaftlich nie wieder auf die Beine. Das ist unmenschlich und grausam für die Betroffenen und zerstört Ressourcen.