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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Odysseus und der Alpstein im Schlussgang

Daniel Goldstein /  Im Sportteil Stilblüten zu suchen, ist unsportlich. Anstrengender ist es, sie als Neophyten querbeet durch die Medien zu verfolgen.

«Was für ein Drama! Was für ein epischer Zweikampf! Was für eine Stimmung!» Ob ich mir darob auch die Augen reiben müsse, fragte mich der Leser, der mir diesen Anfang eines Schlussberichts vom Eidgenössischen Schwingfest schickte. Nein, das musste ich nicht, denn beim Sportteil, wo die «historischen» Leistungen einander mindestens im Monatstakt jagen, bin ich auf jede Steigerung gefasst. Und mir schien, der gewiss im Dreiklang Drama-Epos-Lyrik klassisch geschulte Reporter habe dabei Homers gedacht und sei im Unterschied zu mir womöglich der genauen Stelle gewahr gewesen. Mit gnädiger Hilfe eines noch gediegeneren Blattes war sie rasch gefunden: «Rücklings warf er ihn hin, und es sank von oben Odysseus / Ihm auf die Brust; rings schauten erstaunt und wundernd die Völker.» (Ilias, 23. Gesang)

Mehr Grund zum Augenreiben bieten mir die Sportmetaphern, die in andere Ressorts überschwappen. «Obenaus schwingt der Alpstein», lese ich, was schon für sich ein Bild von erdgeschichtlicher Dimension ist, vor allem aber ein pietätlos unangemessenes, denn es geht keineswegs um einen Wettstreit. Der Titel «Hier sterben die meisten Wanderer» lässt nicht einmal unbedingt auf einen Vergleich schliessen: Er könnte auch bedeuten, dass beim Wandern im Alpstein mehr Leute sterben als mit dem Leben davonkommen. So schlimm ist es dort dann doch nicht, nur schlimmer als anderswo. Von einem weiteren befremdlichen Wettbewerb war am Radio zu hören: Bei einer Umfrage zum Fachkräftemangel habe wider Erwarten das Gesundheitswesen «nicht am stärksten abgeschnitten», sondern liege im Mittelfeld, deutlich hinter der IT-Branche.

Handtuch nach Eigentor

Am stärksten strapaziert wird unter den Sportbildern vielleicht «das Handtuch werfen». Die Redensart hat sich, sogar unter Sportjournalisten, längst von seiner Herkunft im Boxen gelöst – und so spielt es heute keine Rolle mehr, dass dort nicht der Aufgebende dieses Tuch wirft, denn der Faustkämpfer in Aktion hat es ja gar nicht dabei. Vielmehr wirft es ihm der Trainer zu – als Signal zum Aufgeben. Bei den Politikern, die die Rangliste der bildhaften Handtuchwerfer anführen, muss man darauf warten, bis sie selber zum Wurf schreiten.

Gern hätte wohl ein fleissiger Leserbriefschreiber als Trainer das Tuch Bundesrat Maurer zugeworfen, denn der habe das Nein zur jüngsten Steuervorlage auf mangelndes Verständnis in der Bevölkerung zurückgeführt, und damit «setzt er sich aufs hohe Ross und schiesst ein Eigentor». Eine Sportmetapher aus dem Polo – vielleicht eine Weltpremiere. Ein Vorgänger Ueli Maurers schoss mit einem Bild aus dem Sport ein wirklich historisches Eigentor: Adolf Ogi, der 1992 den EWR als Trainingslager für die EU bezeichnete und damit möglicherweise den Ausschlag dafür gab, dass das Volk den Beitritt zu diesem Europäischen Wirtschaftsraum ablehnte.

Ohne Mojo auf der Verliererstrasse

Manchmal ist der Sportteil selber das Trainingslager für eine Redensart, die sich nach dem Transfer aus dem Ausland dann auch nichtsportlich durchsetzt. Das scheint im Deutschen bei «sein Mojo verlieren» der Fall zu sein. Mir begegnete das zum ersten Mal bei der jüngsten AHV-Abstimmung, bei der das Ja bedeuten könne, dass «die Linken und die Gewerkschaften ihr Mojo verloren» hätten. Ihr was? Gemäss Wikipedia bedeutet Mojo einen aus Afrika stammenden Talisman und ist via Blues-Texte in den amerikanischen Sprachgebrauch gelangt. In der Schweizer Mediendatenbank SMD sind es Sportler, die zuerst ihr Mojo verlieren und in dieser Disziplin bald darauf von Wirtschaftsleuten überholt werden.

Auch die Manager können auf die Verliererstrasse gelangen, obwohl sich daselbst vorwiegend Sportsleute tummeln. Verlieren können sie auf dieser Strasse im Grunde genommen nichts, denn die Sieger sind ja offenbar auf einer anderen Strasse unterwegs. Und dies schon lange vor der Erfindung des Parallelslaloms – meines Wissens der ersten Disziplin, die auf separaten Wegen ausgetragen wird. Jedenfalls, wenn man den jurafüsslichen Osterbrauch des Eierufläsets nicht als Sport sehen will.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Zum Infosperber-Dossier:

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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Eine Meinung zu

  • am 22.10.2022 um 23:26 Uhr
    Permalink

    Wunderbar! Der Vergleich mit Odysseus und dem Eidgenössischen Schwingfest: «Rücklings warf er ihn hin, und es sank von oben Odysseus / Ihm auf die Brust; rings schauten erstaunt und wundernd die Völker.» (Ilias, 23. Gesang).

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