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Die Mitglieder der Fangruppe «United Force» des Vereins FK Rad zeigen oft die SS-Totenkopffahne. © Tumblr

Serbien: Politik, Mafia und Fussball

Tobias Tscherrig /  In Serbien bestehen seit den 1980er Jahren enge Verbindungen zwischen Politik, krimineller Unterwelt und dem Fussball-Milieu.

Red. Die folgende Zusammenfassung basiert auf dem Bericht «Rassismus auf dem Rasen», der von Krsto Lazarevic im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung recherchiert und geschrieben wurde.

Luiz Everton, brasilianischer Fussballspieler des serbischen Vereins Partizan Belgrad, verliess am 19. Februar 2017 weinend das Spielfeld. Seine Mannschaft gewann zwar gegen den Gegner FK Rad, der Brasilianer ging dabei aber durch die Hölle. Während des gesamten Spiels wurde er rassistisch beleidigt – nicht nur von den Fans, sondern auch von Spielern der gegnerischen Mannschaft. Um eine Eskalation zu verhindern, musste schliesslich die Polizei einschreiten. Nach dem Spiel trat die Vereinsführung des FK Rad nach. Jelena Polić, die 25-jährige Vizeklubchefin von FK Rad, veröffentlichte auf Facebook einen Hasseintrag, der an den Brasilianer Everton gerichtet war. Trotz derartigen Attacken ist die Vizechefin des Erstligaklubs regelmässig zu Gast im serbischen Fernsehen, wo sie sich nur selten für ihr Verhalten rechtfertigen muss.

Das ist nur eine Episode aus dem serbischen Fussballmilieu, die zeigt: Der serbische Fussball hat ein Problem mit rassistischen, rechtsextremen und ultranationalistischen Hooligans und Ultras. Die meisten von ihnen vertreten einen russophilen Nationalismus, der sich gegen einen EU-Beitritt, die USA und die Unabhängigkeit des Kosovo richtet. Mit diesen Positionen sind sie in weiten Teilen der serbischen Gesellschaft anschlussfähig. Weniger klar zeigen sich die Netzwerke zwischen Politik, krimineller Unterwelt und organisierten Fangruppen. Schlichtweg deshalb, weil recherchierende Journalistinnen und Journalisten oft mit dem Tod bedroht werden.

»Es ist kein Zufall, dass der Aufstieg Rechtsextremer, Nationalisten und Mafiagrössen im Fussball stattfand», analysiert Krsto Lazarevic, ein deutscher Journalist mit bosnischen Wurzeln, in seinem Bericht «Rassismus auf dem Rasen». Der Fussball habe in Serbien lange als Ventil nationalistischer Ressentiments gegolten, die im Vielvölkerstaat Jugoslawien öffentlich nicht geduldet worden seien.

Paramilitärs und Ultranationalisten
Der Aufstieg des Ethnonationalismus im Serbien der 1980er Jahre ging auch am Fussball nicht spurlos vorbei. Die Sportart wurde damals massiv von Rechtsextremen und Nationalisten unterwandert, hier liegen die Wurzeln der heutigen Probleme. Für die Verbindung aus Politik, Mafia und Kriegsverbrechen steht vor allem ein Name: Željko Ražnatović, besser bekannt unter seinem Spitznamen Arkan. Ražnatović war Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in der Hooliganszene um den Fussballklub Roter Stern Belgrad aktiv und rekrutierte aus den Hooligan-Reihen Soldaten für seine paramilitärischen Verbände der «Serbischen Freiwilligengarde». Im Jahr 1989 wurde Ražnatović Anführer des Fanclubs von Roter Stern Belgrad. Ausserdem gründete er die Firma, die das Monopol auf offizielle Fanartikel des Vereins hielt. Ein lukratives Geschäft.

Die «Serbische Freiwilligengarde» zog später in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo in den Krieg. Dabei machten sich die Truppen Kriegsverbrechen in Form von ethnischen Säuberungen, Vergewaltigungen und Vertreibungen schuldig. Ražnatović profitierte: Mit dem Geld aus seiner Kriegsbeute und seinen Geschäften in der Belgrader Unterwelt sowie dem Schmuggel von Öl und anderen Gütern kaufte er sich 1996 den Belgrader Verein FK Obilić, den er danach auch zur Geldwäsche missbrauchte. Dann kaufte Ražnatović die talentiertesten Spieler der jugoslawischen Liga, so dass die Mannschaft 1998 die Meisterschaft gewann.


Propaganda-Video der «Serbischen Freiwilligengarde», die von Željko Ražnatović (Arkan) und anderen Hooligans gegründet wurde.

Faschisten als Aushängeschild
Die offensichtlichsten Akteure des Rechtsextremismus im serbischen Fussball sind heute die Ultras «United Force» des Erstligisten FK Rad. Sie schwenken Flaggen, auf denen der SS-Totenkopf mit den Vereinsfarben kombiniert wird (siehe Bild). Auch andere rechtsextreme Symbole werden in leicht abgewandelter Form offen zur Schau getragen. Symbole, die in den serbischen Stadien zumindest geduldet werden. Das historische Vorbild der Anhänger von «United Force» ist Dimitrije Ljotić. Ljotić gründete 1935 die serbische faschistische Partei «Zbor», deren Ideologie in grossen Teilen mit derjenigen der NSDAP übereinstimmte.

Alle bekannten serbischen Mannschaften werden von organisierten rechtsextremen und ultranationalistischen Ultras mit unterstützt. Obwohl viele serbische Fangruppen extremen Nationalismus, zum Teil auch nationalsozialistische und faschistische Symbolik pflegen, sei es schwierig, dies mit politischen Zielen in Verbindung zu bringen, schreibt Krsto Lazarevic in seiner Analyse. So könne man auch nicht behaupten, dass alle Ultragruppen derartige Positionen vertreten. Problematisch sei aber, dass rechtsextreme und ultranationalistische Positionen in den Stadien weitgehend geduldet würden.

Politische Verbindungen der Hooligans
Seit der aktuelle Präsident Serbiens, Aleksandar Vučić, am 31. Mai 2017 die Macht in Serbien übernommen hat, sind die Gewaltorgien der Hooligans zurückgegangen, wofür es verschiedene Erklärungsansätze gibt. Einer geht davon aus, dass Vučić über Kontakte und Finanzierungsquellen direkten Einfluss auf verschiedene Hooligangruppen nimmt. Diese Gerüchte sind weit verbreitet, aufgrund der schwierigen Recherchesituation in Serbien können sie allerdings weder bestätigt noch widerlegt werden.

Nach den Recherchen von Lazarevic sind «gewisse Überschneidungen zwischen serbischen Parteien und Hooligangruppen nach Besuchen in serbischen Stadien offensichtlich». Viele der Hooligans seien in der rechtsextremen Bewegung «1389» aktiv, die sich nach dem Jahr der Schlacht auf dem Amselfeld benannt hat, in der serbische Truppen gegen die Osmanen kämpften. «1389» fordert in erster Linie eine Vereinigung des serbischen Volks, womit Grossserbien gemeint ist. Die Bewegung leugnet den Völkermord in Srebrenica und feiert die Massaker als «Tag der Befreiung Srebrenicas». «1389» pflegt auch Kontakte zu demokratischen Parteien aus dem Mitte-rechts-Spektrum.

Einige der Hooligans sympathisieren mit der Partei «Dveri», einer rechtsaussen stehenden Bewegung, die sich im Jahr 1999 gründete und 2015 zur Partei wurde. «Dveri» rekrutiert sich vornehmlich aus den reaktionärsten Kreisen der serbisch-orthodoxen Kirche. Die Bewegung ging aus einem Zusammenschluss von christlichen und rechten Studentinnen sowie Studenten der Universität Belgrad hervor und weckte schnell das Interesse der Hooligans. In ihren Kreisen bewegen sich auch Geistliche der serbisch-orthodoxen Kirche, die gegen Homosexuelle und den Westen hetzen. Die Partei organisiert Schlägertrupps und warnte mehrfach öffentlich, eine Gay-Pride hätte «soziale Unruhen» zur Folge und «Belgrad würde brennen».

Verbindungen zur serbisch-orthodoxen Kirche
Im Jahr 2010 konnte man beobachten, welches Mobilisierungspotenzial rechte Hooligangruppen in Serbien haben. Rund 6000 Hooligans und Rechtsextreme verwüsteten die Belgrader Innenstadt und versuchten, die Teilnehmenden der Gay-Pride zu verprügeln. Die Bilanz: über 150 Verletzte und Sachschäden in Millionenhöhe. Dabei erhielten die rechten Hooligans Unterstützung von der serbisch-orthodoxen Kirche, bis hoch zum serbisch-orthodoxen Patriarchen Irinej. Dieser forderte ein Verbot der Gay-Pride und verglich Homosexuelle mit Kinderschändern. Einige Priester segneten rechtsextreme Fussballhooligans, bevor diese auf die Strasse gingen und versuchten, Schwule und Lesben zu lynchen.


Die Gay Pride 2010 in Belgrad aus der Sicht von Amnesty International.

Zwischen 2009 und 2011 prägten rechte Hooligans Serbien durch ihre extreme Gewalt. Seither nahmen das Mobilisierungspotenzial und damit die Gewalt etwas ab. Ereignisse wie 2010 in Belgrad wiederholten sich in dieser Intensität nicht. Vielleicht auch, weil die rechten Hooligans ihr Ziel erreicht hatten: Die Politik knickte ein und verbot die Gay-Pride in den Jahren zwischen 2011 und 2013.

Spiele der Nationalmannschaft als Bühne

Auch die Spiele der serbischen Nationalmannschaft werden von rechten Hooligans als Bühne für ihre Ideologie genutzt. In den vergangenen Jahren kam es sogar zu zwei Spielabbrüchen, die international für Schlagzeilen sorgten. An beiden war Ivan Bogdanov, rechtsextremer Hooligan von Roter Stern Belgrad, beteiligt. Bogdanov gehörte der Ultragruppe «Ultra Boys» an, gilt als extrem gewaltbereit und soll 2008 an einem Brandanschlag auf die US-Botschaft im Kosovo beteiligt gewesen sein.

Im Oktober 2014 schrien die serbischen Fans dann im Belgrader Stadion beim Spiel gegen Albanien kollektiv «Tötet die Albaner», bis plötzlich eine Drohne auftauchte, an der eine Flagge Grossalbaniens befestigt war. Ein serbischer Spieler zupfte sie herunter, worauf ihn albanische Spieler attackierten. Serbische Fans stürmten das Spielfeld und griffen Spieler der albanischen Mannschaft an. Die Drohne soll von Olsi Rama, dem Bruder des albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama, auf das Spielfeld gelenkt worden sein. Mittendrin: Ivan Bogdanov. Der maskierte rechtsextreme Anhänger von Roter Stern Belgrad war bereits 2010 aufgefallen, als er nach nur sieben Minuten für einen Spielabbruch sorgte. Er war an den Randalen an vorderster Front beteiligt und zeigte den Hitlergruss.


Das Skandalspiel Serbien-Albanien vom 14.10.2014.

Auch bei verschiedenen Spielen der serbischen U-21-Mannschaft kam es in der Vergangenheit wiederholt zu rassistisch motivierten Vorfällen. Von einem wirklichen Problembewusstsein sind der serbische Fussball und die serbische Öffentlichkeit weit entfernt. Viele Serbinnen und Serben würden zwar Rechtsextremismus, Rassismus und Gewalt ablehnen, akzeptierten sie aber gleichzeitig als Bestandteil des Fussballs, so das Fazit von Krsto Lazarevic.

Bei «Neues vom Ballaballa-Balkan» sprechen Krsto Lazarević, Danijel Majić und Dario Brentin über die Thematik.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Krsto Lazarevic, deutscher Journalist mit bosnischen Wurzeln, lebt in Berlin und arbeitet für deutschsprachige Medien, darunter «Die Welt», «TagesWoche» ,«Vice» und «Wirtschaftswoche». Lazarevic recherchierte für die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung über Rassismus und Extremismus im serbischen Fussball. Hier finden Sie den vollständigen Bericht vom Juni 2017.

Zum Infosperber-Dossier:

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Arbeitslosigkeit, Immigration und zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich sind Nährboden für Extremismus.

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