Kommentar

kontertext: Die Demut boomt

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des AutorsHeinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist ©

Heinrich Vogler /  Politiker, Manager, Sportler verschreiben sich selbst Demut. Die Medien hinterfragen kaum, wie glaubwürdig diese Tugend noch ist.

Demut ist heute im Kern nichts anderes als Selbstentwertung. Man gibt sich bescheiden gegenüber anderen, um nicht als überheblich dazustehen. Die Tugend der Ergebenheit steht, wenn man sie wirklich ernst nimmt, ziemlich schräg in unserer exzessiven Leistungsgesellschaft. Nehmen wir nur den Politiker, der sich als Lautsprecher gibt, um sein Hauptziel zu erreichen: wiedergewählt zu werden. Oder den Spitzensportler, der nicht die geringste Schwäche offenbart, um seinen Gegnern zu imponieren. Dazu gehört auch, seinen Stolz zu Markte zu tragen. Wer aber seine Demut zur Schau stellt, der ist eigentlich nicht demütig. In der Öffentlichkeit und in den Medien agieren Manager wie Leistungssportler. Politiker und Wirtschaftskapitäne bedienen sich der Demut als Beschwichtigungsmittel, wenn es im Amt oder in der Firma nicht rund läuft. Der unbescheidene Finanzmanager Alexander Dibelius rief seine Branche zu «kollektiver Demut» auf. Das hört sich an wie ein Massenbekehrungsversuch bei einer Sekte. Die Wiederkehr der alten religiösen Tugend scheint im Fahrwasser der Ethikregeln der Compliance in den falschen Film geraten zu sein.

Herkunft des Worts

Im Althochdeutschen, also vor etwa 1700 Jahren, bedeutete diomuoti «dienstwillig». Im christlichen Kontext ging die Demut später im lateinischen Begriff humilitas auf, deutsch «Unterwürfigkeit». Rund zweihundert Jahre nach der Aufklärung hat der Mensch diese Haltung dem himmlischen Diktat entrissen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Demut eine Renaissance feiert. Könnte es sein, dass die Reichen und Mächtigen selbst das Bedürfnis haben, wieder robustere moralische Leitplanken zu errichten im täglichen Wettstreit nach Ruhm und Geld? Dann wäre die neue Demutswelle vielleicht sogar Ersatz für einen moralischen Anstoss zu mehr Verantwortungsbewusstsein, Korrektheit, Fairplay, oder wie die Etikette auch heissen mag. Dagegen hätte wohl niemand etwas. Die Wirklichkeit zeigt aber ein anderes Gesicht. Im Fussball, der sich immer mehr als Teil der globalen Finanzwirtschaft versteht, wird die Doppelmoral auf die Spitze getrieben. UEFA und FIFA führen in den Stadien Fairplay-Kampagnen unter dem Banner Respect durch. Im eigenen Haus sind diese Lobbyistenkonzerne zuweilen unverfroren schamlos, was den lockeren Umgang mit treuhänderischem Geld betrifft.

Allianz der Demut mit Medien und Sport

Es geistert das Gespenst der Demütigen durch die Medien, die vorgeben edel und gut sein zu wollen, ergeben, dankbar, bescheiden, und was sonst noch für wohlfeile Moralprinzipien dieser Art angepriesen werden. Die Demut ist Marketinginstrument der Unterhaltungsindustrie, wovon heute viele Medien ein wichtiger Teil sind. Und wenn es mal nicht so rund laufen sollte, dann ist die Demutsgeste erst recht willkommen, um der Krise angeblich die Spitze zu nehmen. Wer sich aber im Sport nur demütig gebärdete, wäre wohl bald weg vom Fenster. Seine Gegner würden ihn als Schwächling entlarven. Gleichwohl singen die Fans der Muttenzerkurve in Basel «Erfolg isch nid alles im Lääbe». Obwohl ihre Herzen eine Mördergrube sind, was den Gegner betrifft. Derweil bedient Marco Streller, der Sportchef des FC Basel, das Publikum mit dem doppelmoralischen Spagat. Er beteuert in der «Tageswoche» zuerst, dass der Klub, jetzt, wo es dem FC Basel nicht rund läuft, Demut zeigen sollte. Im gleichen Atemzug gibt er aber zu verstehen, dass das Ziel, eher etwas undemütig, weiterhin nur der Meistertitel bleibe. Kein Wort verliert der Interviewer zu diesem eklatanten Paradox zwischen Demut und Angriff. Im Gegenteil: Der Sportjournalismus spielt der Demutsinflation selbst aktiv in die Karten: «Angriff der Demütigen» betitelte der «Tages-Anzeiger» eine Saisonvorschau über den notorischen Zweiten BSC Young Boys. Moral ist, was dem Geschäft gerade nützt. Je nach Gutdünken kann man sich schliesslich von der lästigen Moral lossagen: «Zurück aus der Demut», meldete «SKY Sport Online» jüngst über den Wiederaufsteiger VfB Stuttgart.

Fusion von Demut und Politik

Der alerte französische Präsident Emmanuel Macron macht vor, wie man Demut geschickt als Imagepflege einsetzt. Er hat sich in der «Süddeutschen Zeitung» als Kickboxer geoutet, was seiner Karriere bis jetzt offensichtlich nicht geschadet hat. Mit Händen und Füssen traktieren sich die Kontrahenten im Kickboxen. In Kampfsportarten wird das Ideal der Demut, die sich mit Selbstüberschätzung paart, intensiv simuliert. Aggressionskontrolle wird mit scharfem Angriff kombiniert. Unterbrochen von formalisierten Respektsgesten gegenüber dem Gegner nach einem Treffer. Der französische Präsident gibt sich so das Image, seine Fähigkeit, Schläge einzustecken bzw. auszuteilen, zu schulen. So lässt sich die Welt als binären Zustand von entweder Sieg oder Niederlage betrachten. Mit der Realität hat dies jedoch wenig gemein.

Handeln statt schwafeln

Demut war einst eine hohe christliche Tugend. Sie bezeichnete das Verhältnis des demütigen, schwachen Menschen zum allmächtigen Gott hoch über ihm. Im Laufe der Zeit büsste sie ihre Bedeutung ein. Heute führt man diese Tugend in abgeschwächter Form zu Public-Relations-Zwecken recht unverbindlich auf den medialen Boulevards spazieren. Es scheint, dass man eine moralische Haltung simulieren will. Die ideologische Rede von der Demut oszilliert in der Unschärfe von Bedeutungen wie Dankbarkeit, Ergebenheit, Bescheidenheit, Selbsteinschätzung. Ein Vorschlag zur Güte: Wie wäre es, wenn in Politik, Wirtschaft und Sport z.B. einfach nur ein bisschen mehr Anstand eingefordert würde? Dann könnte man sich das pseudomoralische Gerede schenken. Der ehemalige deutsche Politiker Wolfgang Thierse hat auf den Punkt gebracht, was im Konkurrenzkampf Sache ist: «Demütig muss man sein, und wer es ist, spricht im Normalfall nicht darüber.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Heinrich Vogler. Geboren 1950 in Basel. Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie der Politik. War Journalist / Redaktor bei Radio DRS und SRF 2 Kultur. Arbeitete als Kultur- sowie jahrelang als Literaturredaktor. Bis zur Pensionierung Ende 2015. War freier Literaturkritiker für Berner Zeitung, Tages-Anzeiger und NZZ.

  • Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe Autorinnen und Autoren über Medien und Politik. Sie greift Beiträge aus Medien auf und widerspricht aus politischen, journalistischen, inhaltlichen oder sprachlichen Gründen. Zur Gruppe gehören u.a. Bernhard Bonjour, Rudolf Bussmann, Silvia Henke, Anna Joss, Mathias Knauer, Guy Krneta, Corina Lanfranchi, Johanna Lier, Alfred Schlienger, Felix Schneider, Linda Stibler, Ariane Tanner, Heini Vogler, Rudolf Walther.

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Eine Meinung zu

  • am 12.10.2017 um 12:04 Uhr
    Permalink

    Gut gesehen! Würde noch anfügen: «man» hat zu hoch gesungen und erschrickt wenn man das Echo hört….

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