Aplanalp

Marc Aplanalp (im Koma auf der Bahre) „korrekt“ spitalreif gecheckt © el/zvg

Einzelrichter deckt Eishockey-Brutalos

Niklaus Ramseyer /  Schnyder checkt Keller so, dass der jetzt querschnittgelähmt ist. Der Eishockey-Einzelrichter verhöhnt das Opfer: «Selber schuld!»

Stefan Schnyder checkte Ronny Keller von hinten derart mit voller Wucht gegen die Bande, dass der jetzt querschnittgelähmt ist (es stand im Infosperber). Einzelrichter Reto Steinmann aber liefert einen Persilschein und möchte, dass auch künftig Brutalo-Szenen erlaubt sind.

«Choquant, schockierend»: Mit diesem einzigen aber klaren Wort kommentiert Emmanuel Favre in der Westschweizer Zeitung «Le Matin» das Urteil, welches der Eishockey-Einzelrichter Reto Steinmann im Fall Schnyder gegen Keller gefällt hat. Steinmann kam zum tatsächlich schockierenden Schluss, Schnyders Opfer Ronny Keller sei «selber schuld», dass er jetzt Zeit seines Lebens gelähmt bleiben wird. Dabei zeigt das Video des «Spiels (!)» Olten gegen Langenthal vom 5. März ganz klar, dass Schnyder nicht nur von hinten mit grosser Geschwindigkeit in Bandennähe in Keller hinein fährt: Es ist auch deutlich zu sehen, wie er ihn mit einer ruckartigen Bewegung des Stocks noch entscheidend beschleunigt, und kopfvoran in die Bande schleudert. «Mörderisch» und ein richtiges «Attentat» sei dies, sagte der Sportreporter im Fernsehen sofort.

Das Opfer zum Täter gemacht
Und die Hockey-Regeln verbieten beides: Den Check mit Anlauf von hinten ebenso, wie den Check gegen die Bande. Die Schiedsrichter sanktionierten Schnyder darum vor dem geschockten und betroffen verstummten Publikum regelkonform sofort mit 5 Minuten und einer Matchstrafe (www.infosperber.ch/Artikel/Gesellschaft/Blick-Gewalttater-auf-Schlittschuhen-Ronny-Keller.)

Doch der «schockierende» Einzelrichter Steinmann hat das jetzt alles umgestossen: Schnyder habe gar kein Foul begangen, meint er. Vielmehr sei das Opfer Ronny Keller der Schuldige an der ganzen üblen Sache. Er sei es, der die Kollision gesucht und ausgelöst habe.

Sportredaktor Favre versteht die Welt nicht mehr: Steinmann mache «das Opfer zum Schuldigen», stellt er fest. Und der wahre, rücksichtslose Täter werde in seinem üblen Tun bestätigt und bestärkt: Das völlig unverständliche Urteil öffne «weiteren solch schlimmen Dramen in der Welt des Schweizer Eishockeys Tür und Tor», warnt er.

Freipass für weitere Gewalttaten
Doch Favre bleibt mit seiner Warnung fast allein. Die meisten Sportjournalisten applaudieren dem Einzelrichter. Die Brutalo-Show kann weitergehen. «Es ist ein wegweisendes Urteil», freut sich etwa die «Aargauer Zeitung». Und wohin der Weg führt, zeigt sich schon beim nächsten Match in Zürich gegen Freiburg: In der 45.Minute rammt der ZSC-Mann Andres Ambühl den Freiburger Marc Aplanalp aus voller Fahrt von hinten gegen die Bande. Aplanalps Kopf prallt brutal aufs Plexiglas, er bleibt mit einer schweren Gehirnerschütterung bewusstlos auf dem Eis liegen (www.lematin.ch/sports/hockey/enorme-check-dambuehl-abplanalp/story/21991853). Dann muss er mit der Bahre hinausgefahren und ins Spital gebracht werden.

Doch diesmal verhängen die Schiedsrichter nicht einmal eine Strafe gegen den Täter: Sie haben das Signal des Einzelrichters verstanden. Die geltenden Regeln (www.eishockeypedia.de/ehm/Strafen) scheinen ihnen ebenso wurst zu sein, wie diesem. Dass sie nur Minuten später einen Spieler für 2 Minuten vom Eis schicken, der seinem Gegner den Stock weggeschlagen hat, ist zwar regelkonform. Aber angesichts der straflosen Gewalttat Ambühls zynisch: Bei diesem Stockschlag bestand überhaupt keine Gefahr für niemanden.

Straffreiheit für schwere Körperverletzer?
Im Nachhinein hat Einzelrichter Steinmann Ambühl dann doch noch für einen Match gesperrt. Eine Lachnummer allerdings: Weil der ZSC Einsprache machte, durfte der Gewalttäter im letzten Spiel der Saison seiner Mannschaft in Freiburg am Gründonnerstag (5 zu 4 für Freiburg – und ZSC damit ausgeschieden) dennoch wieder aufs Eis. Was wunder nehmen Gehirnerschütterungen im Eishockey erschreckend zu.

Im Fall des gelähmten Ronny Keller läuft immerhin noch eine Untersuchung der normalen Solothurner Gerichtsbehörden wegen «fahrlässiger schwerer Körperverletzung». Doch die NZZ hat schon festgehalten, Steinmanns Persilschein für den Gewalttäter Schnyder sei «ein erste Schritt zur Straffreiheit». Denn: «Die Staatsanwaltschaften und die staatlichen Gerichte stellen bei der Prüfung, ob ein Spieler mit einer regelwidrigen Aktion einen Tatbestand des Strafgesetzbuches erfüllt hat, regelmässig auf die Beurteilung der Fachgremien der Verbandgerichtsbarkeit ab.»

Im Eishockey ist dies kein Gremium, sondern eine Einmann-Veranstaltung – der zusehends umstrittene Einzelrichter Steinmann. Jetzt gibt es Bestrebungen, ihn durch ein kompetenteres Dreiergremium zu ersetzen. Und die Angehörigen des im Nachhinein noch zum Täter abgestempelten Opfers Ronny Keller sind gut beraten, wenn sie den Fall bis vor Bundesgericht weiterziehen. Das Video von Schnyders brutalem Angriff auf Keller ist nämlich ein starkes Beweismittel.
«Mörderisch» sagt der Reporter spontan und «ein Attentat» oder eben «choquant».


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Eine Meinung zu

  • am 30.03.2013 um 11:10 Uhr
    Permalink

    "The Show must go on", denn Sport ist kein Sport mehr, sondern knallhartes Geschäft. Und es geht um Zuschauerzahlen, da ist jeder Spektakel gut.
    Da bleibt nur eins: TV abschalten!

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