Die subtilen Fouls gegen Frauen im Sport
«Es ist schon eine Faszination, dass man da dabei sein darf, wie die Frauen hier leiden»: So kommentierte Mathias Winterberg kürzlich ein Langlaufrennen im Schweizer Fernsehen – und es widerspiegelt, wie Frauensport heute wahrgenommen wird, in einer Zeit, da wir eigentlich glauben möchten, dass Frauen genauso Sport treiben, wie das Männer tun. Aber offenbar glauben sogar Sportkommentatoren, dass Frauen «leiden», wenn sie sich anstrengen. Bei Männern heisst es in solchen Fällen: Sie kämpfen. Sie arbeiten. Oder sie powern.
Das Leiden der Frauen erwähnte der Kommentator ausgerechnet an jenem Tag, als es im Langlaufsport mit der Gleichberechtigung der Frauen einen Schritt vorwärts ging. Erstmals absolvierten die Langläuferinnen am Holmenkollen oberhalb von Oslo ein Langdistanz-Rennen, das gleich lang war wie jenes der Männer: nämlich 50 Kilometer und nicht wie bisher die «Frauendistanz» von 30 Kilometern.
Die Langläuferinnen freuten sich. Doch Winterberg sah sie leiden. Mit seinem antiquierten Frauenbild ist er nicht allein. An jenem Tag gab es im Bündnerland ein weiteres Langlaufrennen, den Engadin-Skimarathon.
Die «Heldentat» eines Mannes
Die 23-jährige Bündnerin Giuliana Werro glitt mit knapp einer halben Minute Vorsprung auf ihre Konkurrentinnen dem Ziel entgegen. Sie hätte die Schlusskurve problemlos selber geschafft. Aber eben: Einer Frau trauen offenbar nicht alle so eine Leistung zu. Ein Kollege aus dem Schweizer Langlaufteam breitete seine Arme aus, um sie vor den anderen Männern zu schützen.
Dabei fuhr er einem Konkurrenten über die Ski und stürzte selber – worauf der Kommentator sagte, dass er sich «völlig aufgeopfert» habe. Eine Heldentat also – allerdings eine, welche die Siegerin gar nicht nötig hatte, sondern ein Vorgehen, das nur ein weiteres Mal eine ziemlich veraltete Haltung zeigte: Die Frauen können es im Sport halt schon noch etwas weniger gut als die Männer.
Die «Guerilla»-Läuferin
Aber immerhin werden Frauen heute nicht mehr ausdrücklich vom Sport ausgeschlossen. Vor 50 Jahren war das noch ganz anders. Zum Beispiel durften am Murtenlauf, einem Schweizer Volkslauf, lange Zeit nur Männer starten. 1973 nahm Marijke Moser als erste Frau illegal am Murtenlauf teil, nachdem sie sich unter einem Männernamen angemeldet hatte. Kurz vor dem Ziel hinderten sie Männer mit Gewalt am Weiterlaufen. Die Organisatoren kritisierten danach öffentlich ihren damaligen Mann, den Leichtathleten und Waffenläufer Albrecht Moser, weil er seine Frau nicht im Griff habe. Das Publikum und die Medien unterstützten Moser aber, und seit 1977 können Frauen offiziell am Murtenlauf teilnehmen.
Lange dauerte es auch beim Marathon, bis Frauen endlich anerkannt wurden. Den Marathon laufen Männer bei Olympischen Spielen seit bald 130 Jahren; Frauen dürfen das erst seit 40 Jahren. Man betrachtete eine so lange Strecke – 42,195 Kilometer – als für Frauen ungeeignet.
Stichhaltige Gründe für diese Haltung gab es nie. Ausser vielleicht, dass die Männer die Konkurrenz fürchteten. Denn mittlerweile ist es so, dass die besten Marathon-Läufer nur noch knapp 13 Minuten schneller ins Ziel kommen als die besten Marathon-Läuferinnen. Und die Unterschiede werden immer geringer.
Aufs Velo dürfen Frauen nur kurz
Besonders der Radsport schafft es bis heute, die Frauen von Wettkämpfen möglichst fernzuhalten. Als in den 1950er Jahren die ersten offiziellen Frauen-Velorennen stattfanden, geschah das auf Minidistanzen: Die Fernfahrt «Rund um Leipzig» mass für Frauen gerade mal 20 Kilometer.
Heute dürfen die Frauen an Velorennen immerhin Etappen bis zu 140 Kilometern – an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften ausnahmsweise auch einmal 160 Kilometer – zurücklegen. Doch der Männer-Elite traut der Internationale Radsport-Verband (UCI) wesentlich mehr zu: Sie dürfen 240 Kilometer – ausnahmsweise auch bis zu 280 Kilometer – im Sattel sitzen.
Auch sonst ist es um die Gleichberechtigung im Radsport immer noch schlecht bestellt: Während 25 Jahren gab es zwar eine Tour de France für die Frauen, die Grande Boucle Féminine. Doch wurde dort täglich nach Etappenende ein «Preis der Eleganz» vergeben – was den sportlichen Stellenwert dieses Rennens doch ziemlich relativierte. 2009 ging das Rennen mangels Beachtung ein. Erst im Juli 2022 gab es erstmals wieder eine Tour de France Femmes. Die Frauen durften nach Ende des Männer-Rennens starten und acht Etappen fahren. Die Männer absolvieren jeweils um die zwanzig.
Achtung Gebärmutter!
Auch vom Skispringen wollten einige Männer die Frauen abhalten – mitunter mit hanebüchenen Argumenten. Legendär war die Ansicht des inzwischen verstorbenen Gian Franco Kasper, der damals Präsident des Internationalen Ski-Verbands (FIS) war: Skispringen sei kein Sport für Frauen. Bei der Landung würde es nämlich die Gebärmutter der Athletinnen zerreissen, dozierte er.
Nun liesse sich einwenden, dass man sich auch um männliche Genitalien schon Sorgen gemacht hat, dies also keine Diskriminierung von Frauen im Sport sei. Nachdem die Velorennfahrer Lance Armstrong im Alter von 25 Jahren und Ivan Basso mit 37 Jahren an Hodenkrebs erkrankt waren, tauchte in der Tat die Frage auf: Kommt das vom Velofahren? Doch Männern gelingt es einfacher, solche Vorurteile zu kontern. Der Schweizer Radprofi Tony Rominger antwortete in einem Interview auf die Frage, ob er nicht Angst vor Hodenkrebs habe, trocken: «Nein, ich fahre ja nicht auf den Hoden.»
Heute würden die Skispringerinnen die Vorurteile von Gian Franco Kasper wohl ebenso souverän zerstreuen: «Wir landen ja nicht auf der Gebärmutter.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Vieles trifft zu, was Esther Diener-Morscher schreibt. Aber den Begriff «leiden» wenden Sportreporter durchaus auch auf männliche Sportler an. Ausserdem ist es sowieso besser, die Worte von Sportreportern nicht auf die Goldwaage zu legen 😉