Aserbaidschan – und was man darüber wissen muss
Welche Schweizerin, welcher Schweizer ist nicht stolz oder gar gerührt, wenn unser Aussenminister Didier Burkhalter mit einem von der Aserbaidschanischen Regierung verfolgten Journalisten im Gepäck von Baku nach Hause kommt. Die Schweiz setzt sich ein für Menschenrechte, für Meinungsfreiheit, für politisch Verfolgte! Ein gutes Gefühl, man darf sich auf die Brust klopfen!
Und was wissen wir von Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans, wo jetzt die European Games stattfinden?
Eigentlich gar nichts. Immerhin, einige Zeitungen haben der dortigen «Demokratie» ein paar Zeilen gewidmet. in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit berichtet die aserbaidschanische Journalistin Shahla Sultanova über die dortigen Verhältnisse, insbesondere über die wunderbare Kooperation des Öl-Multis BP mit der Regierung in Baku.
Wörtlich:
«Noch bevor 1993 eine britische Botschaft in Aserbaidschan eingerichtet wurde, war BP im Land aktiv. Der Firmensitz in der Hauptstadt Baku wurde inoffiziell von britischen Diplomaten genutzt. Vor dem Gebäude wehte die britische Flagge, Ölbusiness und Diplomatie traten als Einheit auf. Der Manager Leslie Abrahams war von 1991 bis 1994 der stellvertretende Repräsentant von BP in Aserbaidschan. Vor wenigen Jahren erzählte er dem britischen Fernsehsender Channel 4, der britische Geheimdienst MI6 habe ihn Anfang der neunziger Jahre wegen seiner Kontakte zum Regime angeworben. Abrahams habe aus Aserbaidschan über Truppenbewegungen und Regierungsangelegenheiten berichten sollen. Der Manager sagte zu. «BP hat immer eng mit der [britischen] Regierung kooperiert», sagte Abrahams. «Solche Dinge werden stets von einem erwartet.»
Im September 1992 flog die ehemalige Premierministerin Margaret Thatcher nach Aserbaidschan, wo sie den neu gewählten Präsidenten Abulfaz Eltschibej ermutigte, Ölverträge mit BP zu unterzeichnen. Der Verwaltungsapparat in Baku wurde mit Geldgeschenken geschmiert. Der Ex-BP-Mann Abrahams räumte ein, Barzahlungen im Aussenministerium, im Kommunikations-ministerium und im Ölministerium abgeliefert zu haben. «In jedem Umschlag steckten zehn-, zwanzig- oder dreissigtausend Dollar.»
Abrahams enthüllte noch mehr Details über die Kooperation mit dem Regime in Baku. So habe der damalige BP-Chef John Browne 45 Millionen Dollar dafür springen lassen, den Aserbaidschanern «jeden Traum zu erfüllen». Dazu gehörten laut Abrahams Sexpartys mit Champagner und Kaviar. Ein Firmenjet habe eigens Essen und Getränke eingeflogen; wenn wichtige Aserbaidschaner London besuchten, sei BP so grosszügig gewesen, ihnen Prostituierte zu besorgen.
Und weiter unten:
«Für BP bedeutet die Clanherrschaft ein bequemes Geschäftsklima. Kritik erstickt Alijew zuverlässig: Die Opposition wird erpresst, die Zivilgesellschaft ruhiggestellt, Journalisten und Aktivisten verhaftet, kritische Medien und Nichtregierungsorganisationen werden geschlossen. Wer will unter solchen Umständen die Aktivitäten von BP in Aserbaidschan untersuchen, geschweige denn kontrollieren?
Auch deshalb fällt es BP leicht, Fragen zu Bestechungen und Sexpartys auszuweichen. Kein Kommentar, lautet die Antwort des Pressesprechers, wenn man um eine Stellungnahme zur Schilderung des Ex-Managers Abrahams bittet. Ähnlich informativ verhielt sich BP, als sich im September 2008 ein grosses Gasunglück im Kaspischen Meer ereignete. Erst als Depeschen der US-Botschaft durchsickerten, erfuhr die Öffentlichkeit von der Umweltkatastrophe.
Zog die aserbaidschanische Regierung BP zur Verantwortung? Keineswegs. Der Konzern geniesst offenbar Immunität.
So gut sind die Beziehungen von BP zur aktuellen Regierung, dass es sogar Gerüchte gab, BP habe den Staatsstreich 1993 organisiert, bei dem die demokratische Regierung zugunsten Geidar Alijews gestürzt wurde. Die Sunday Times veröffentlichte im Jahr 2000 einen türkischen Geheimdienstbericht, in dem es hiess, hinter dem Staatsstreich von 1993 hätten BP und Amoco gestanden, eine damals noch eigenständige Amerikanische Ölgesellschaft, die später von BP gekauft wurde.
Auf der Website von Baku 2015 werden auch die Sponsoren der European Games mit ihren Logos gezeigt. Die Platzierung ist weder zufällig noch alphabetisch…
(Der vollständige Text kann unten downgeloadet werden.)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Etwas gutes haben die Spiele schon bewirkt: in Nagorni-Karabach ist es an den Grenzen zu Azerbaidjan seit Mai 2015 ausgesprochen ruhig. In früheren Monaten konnte es da zu 1-2 Dutzend Toten durch Scharfschützen kommen.
Quelle: Besuche bei Regierungsstellen in N.-K.
Werner T. Meyer, z.Zt Tbilisi, Georgien