Kommentar

Milliarden, die wir nicht verzehren können

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Die NZZ glaubt, dass uns die 1300 Milliarden der 2. und 3. Säule dereinst ernähren und pflegen werden.

Wenn es in der Schweiz eine Zeitung gibt, die für ökonomische Kompetenz steht, dann ist es die NZZ – könnte man meinen. Doch manchmal schiesst auch die ehrwürdige alte Tante von der Falkenstrasse einen groben Bock. So geschehen am 19.September unter dem reisserischen Titel «Das Rentendebakel der Deutschen als Warnung».

Das deutsche Rentensystem, schreibt der ehemalige Migros-Bank-Pressesprecher und heutige NZZ-Wirtschaftsredaktor Albert Steck, verkomme zum Schwindel. Schon würden die Jungen aus dem Generationenvertrag aussteigen.

Die Analyse ist nicht falsch:

«Die (wie unsere AHV auf dem Umlageverfahren beruhende) Rentenversicherung oder Volkspension, welche die linken Parteien so unerschütterlich propagieren, ist in der Praxis nicht bezahlbar. Das Gerede von der Solidarität zwischen den Generationen verkommt zur Heuchelei. Fehlt der Nachwuchs in einer Gesellschaft, so ist das System zum Scheitern verurteilt.»

Da hat Steck nicht unrecht. Und weiter im Text:

«Noch in den 1980er Jahren finanzierten in Deutschland knapp drei Arbeitnehmer einen Rentner. Bis 2045 wird dieses Verhältnis laut offizieller Prognose auf nur gerade 1,5:1 sinken. Die tiefe Geburtenrate und die höhere Lebenserwartung verstärken sich hier gegenseitig.»

Dagegen kann man einwenden, dass die Arbeitnehmer jetzt schon rund 70 Prozent produktiver sind als damals und bis 2045 werden sie mindestens doppelt so produktiv sein. So gesehen bleibt das Verhältnis von 3 zu 1 unverändert. Das ändert aber nichts daran, dass die künftigen Aktiven einen deutlich höheren Anteil ihres (gestiegenen) Einkommen für die Renten aufwenden müssen. Steck schätzt diesen Anteil auf 50 Prozent. 30 Prozent wären realistischer, aber zusammen mit allen übrigen Steuern und Sozialabgaben käme man auf weit über 60 Prozent.

Das wiederum hätte zur Folge – und damit sind wir wieder bei der Analyse von Steck – dass sich die Aktiven erst recht keine Kinder leisten könnten und dass sie einen zu grossen Anreiz hätten, die hohe Abgabenlast zu vermeiden. Etwa indem sie weniger oder nur noch schwarzarbeiten oder indem sie auswandern – vorzugsweise in die Schweiz. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Steuer- und Abgabenlast für die im deutschen Arbeitsprozess Verbliebenen weiter zunähme.

Ein Teufelskreis. Man kann die Leute verstehen, die das Vertrauen in den Generationenvertrag verloren haben und das Rentensystem als Schwindel empfinden.

Soweit hat Steck recht oder liegt zumindest nicht weit daneben. So kann es nicht mehr lange weitergehen. Doch was ist die Lösung? Steck kennt die Antwort:

«Letztlich ist das Rentensystem nichts anderes als nüchterne Arithmetik. Jede Generation wird einmal alt und kann auf zweierlei Arten vorsorgen: Sie bildet Humankapital, indem sie Kinder in die Welt setzt. Oder sie legt gespartes Geld auf die Seite und schafft damit Realkapital, welches sie im Ruhestand verzehren kann. Deutschland bezahlt nun einen hohen Preis dafür, dass es nicht rechtzeitig eine 2. Säule in Form einer kapitalgedeckten Vorsorge errichtet hat.»

Genau das hat die Schweiz getan. Auf den Konten der 2.und 3. Säule liegen inzwischen mehr als 1300 Milliarden Franken. Dazu kommen weitere rund 3300 Milliarden Privatvermögen an Aktien, Obligationen, Immobilien et cetera. Applaus!!

Doch handelt es sich dabei wirklich um Realkapital? Das wir im Ruhestand verzehren könnten? Hier irrt Steck und mit ihm die ganze NZZ, die seit Jahrzehnten eine Kampagne gegen das «Schneeballsystem» der AHV führt. Sie setzt alles auf das Kapitaldeckungsverfahren der privaten Spar-Vorsorge – und ersetzt damit das «Schnellballsystem» mit teuren Luftblasen.

Piksen wir mal die grösste dieser Blasen an – das private Immobilienvermögen von aktuell 2660 Milliarden Franken. Es ist in den letzten fünf Jahren im Schnitt um fast 120 Milliarden Franken gestiegen. Real investiert worden sind aber pro Jahr nur gut 10 Milliarden. Und vor allem: Es gibt keinen Vorrat an Immobilien, in denen die künftigen Rentner leben könnten.

Auch die Aktien, die Obligationen und die 936 Milliarden Franken Bargeld können im Ruhestand nicht verzehrt werden. Das schon deshalb nicht, weil die Guthaben der einen die Schulden der anderen sind und weil die Nettoguthaben sehr einseitig verteilt sind. Das gilt auch für die Guthaben der Pensionskassen, von denen keine vier Prozent dem ärmsten Fünftel der Rentnerhaushalte gehört. Davon wird man nicht satt.

Und wie steht es mit den aktuell 894 Milliarden Franken Nettovermögen gegenüber dem Ausland? Könnten wir wenigstens die verzehren? Theoretisch ja: Wenn wir dieses Guthaben in – sagen wir – 30 Jahren abbauen und die Leistungsbilanz von plus 70 auf minus 30 Milliarden senken würden, könnten wir – über den Daumen gepeilt – 400’000 Beschäftigte der Exportindustrien freistellen und für die Pflege und Verpflegung der Senioren einsetzen. Zudem würde der entsprechende Rückgang der Guthaben die Finanzindustrie schrumpfen lassen, womit wiederum Personal für die Herstellung von verzehrbaren Gütern und Dienstleistungen freigesetzt würde.

Wahrscheinlich ist es nicht das, was der NZZ vorschwebt. Schliesslich lebt sie nicht zuletzt von den Inseraten ebendieser Industrie. Also zurück auf Feld 1 – zum Humankapital.

Auch hier irrt die NZZ. Sie übersieht, dass man «Humankapital» auch dadurch bilden kann, dass man es importiert beziehungsweise einwandern lässt. Auf diese Weise haben wir die demographische Lücke bisher geschlossen und das Problem der Renten, wenn nicht gelöst, so doch entschärft. Mit der Folge, dass wir inzwischen den Pegelstand von 9 Millionen Einwohnern überschritten haben. Aber das ist eine andere Geschichte.


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Zum Infosperber-Dossier:

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Pensionskassen der Zweiten Säule

Die 2. Säule muss laut BV «die Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung in angemessener Weise» garantieren.

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4 Meinungen

  • am 24.09.2024 um 13:29 Uhr
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    Der Artikel ist sehr gut. Man sollte vielleicht doch erwähnen, dass ein sehr grosser Teil der deutschen Beschäftigten über eine gute 2. Säule verfügt. Die erste Säule könnte viel besser sein, wenn die Beitragsgrenze abgeschafft würde und eine Leistungsgrenze beibehalten würde. Diese Regelung hat sich bei uns seit dem Bestehen der AHV bewährt. Wenn ich dies meiner deutschen Verwandtschaft vorschlage, werde ich angesehen, als wenn ich in Deutschland den Kommunismus einführen wollte.

    • am 25.09.2024 um 01:43 Uhr
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      Tja ganz genau, die 1.3 Billionen werden uns nicht ernähren sondern das REALE Humankapital in Form von Arbeit.
      Nun wundere ich mich warum der neue «Chefökonom» von Infosperber, Christof Leisinger, seit Monaten in etlichen Artikeln hier das exakte Gegenteil erzählt, und dafür plädiert dass neben den Unternehmen und den Privaten auch der Staat fleissig keine Schulden macht (spart) … sondern im Falle der Schweiz weiterhin das Ausland und im Falle der USA (sein Lieblingsland für Kritik) oder gar der Welt wünscht er sich wohl noch unentdeckte Ausserirdische, die die Schulden übernehmen. Gerade wieder dramatisch sein Artikels vom 24.09.2024 (Das Zitat «Stimulierungsmassnahmen auf Pump» z.B. spricht der Unlogik förmlich aus dem Herzen!)

  • am 25.09.2024 um 21:11 Uhr
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    Man müsste sich fragen, ob das heutige System mit der Rentenfinanzierung aus Lohnprozenten noch zukunftstauglich ist. Die direkt von Menschen erledigte Arbeit wird weniger während immer mehr Arbeit im weitesten Sinn von Maschinen erledigt wird. Automatisierung, Robotisierung, Digitalisierung und bald wohl auch künstliche Intelligenz spülen direkt kein Geld in die Altersvorsorge.
    Höchstens noch indirekt durch entsprechende Anlagen der Pensionskassen.
    Zudem ist die Finanzierung über Lohnprozente ungerecht, da personalintensive Branchen einen viel höheren Beitrag an der Altersvorsorge zu tragen haben als hoch technisierte Branchen.
    Nicht vergessen sollte man auch, dass nur Arbeit im Inland diese Lohnprozente bringt.
    Daher würde ich es besser finden wenn Renten direkt aus dem Produktpreis generiert würden wie im System WuSt. Man könnte das auch Alterssteuer nennen. Man sollte nicht vergessen dass letztendlich das Geld aus dem Produkt kommt. Lohnprozente stellen nur einen Umweg dar.

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